Jutt & Jula. Brust Alfred

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Jutt & Jula - Brust Alfred

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geschrieben, einen Brief, der von Tränen der Verlassenheit sprach – dem jungen Mann stieg bei solcher Erinnerung hohe Schamröte ins Gesicht – und dieser Brief war gar nicht beantwortet worden. Große Einsamkeiten, nur unterbrochen von kleinen Reisen und langen Wanderungen, verhüllten Vergangenes durch Vorhänge. Alles Neue, das sich herandrängte, überschätzte sich selbst und war in kurzer Zeit abgetaner als Vorheriges. Darüber hinaus tat er den furchtbaren Blick in die kranke und bresthafte Menschheit. Und es gab Zeiten, in denen er vor Daseinsekel nur noch in Gummihandschuhen arbeitete. Er begriff dann nicht, wie Menschen, diese Wurm- und Madenbehälter, einander überhaupt berühren konnten, sich gegenseitig die Hände schüttelten oder gar gespenstisch auf Mund und Backen küßten. Er mußte sich in solchen Wochen anstrengen ja nicht zuviel zu sehen, denn dann begann sich alles Gegenständliche in den Formen zu verändern. Die Köpfe wurden unerhört dick und die Gesichter grimassenhaft. Aus jedem Schriftzeichen, aus jedem Strich und allen Punkten auf Papier, an Wänden oder draußen in der Natur setzten sich sonderbare Fratzen zusammen, die ihn drohend angrinsten. Alles was Raum war um ihn her, schien ihm dann angefüllt mit lebendigen Wesen, die nicht sichtbar waren, aber durch vielerlei Eindrücke dem aufgelösten Blick sich aufdrängten, um so wenigstens vorüberhuschend wahrnehmbar zu werden.

      Nur langsam löste sich jeweils dieser Zustand; meistens nach einem heftigen, kindlichen Weinen, weit draußen sehr einsam in den Wiesen, hingeworfen an die duldsame Brust unserer Mutter Erde . . .

      Und unter bitterm Lächeln riß er mit herbem Ruck den Umschlag auf und las:

      »Mein lieber Jutt!

      Du wirst so gut sein und sofort auf mein Besitztum kommen. Noch an demselben Tage, an dem Du diesen Brief bekommst, sollst Du reisen oder gehen. Denn es ist eilig. Deine Base Jula wird Dich erwarten. Jula und Dich habe ich zu meinen Erben eingesetzt, doch nur dann, wenn ihr die Wirtschaft gemeinsam versorgt und sie nicht vor Deinem dreißigsten Lebensjahr verkauft wird. Andernfalls wirst Du mit einem Zehntel abgefunden. Und Jula behält dann den Hof.

      Leb' wohl! Mach alles gut, wie bisher! Bleibe rein, wie Du bist! Halte Leib und Seele stets fest in Deiner Hand! Verbirg Dich! – Übrigens: wenn Du den Brief erhältst, bin ich natürlich schon tot.

      Maria.«

      Das war unerwartet. Aber das war groß. – Ganz benommen schloß er die Tür ab und ging wie in schwerem Traum die Treppe hinan. Sie war tot. Und er sollte hier fort. Noch heute. Und eine Base Jula gab es, die er sehen und sprechen würde. Und auf dem Lande sollte er arbeiten . . . Halte Leib und Seele stets fest in der Hand! Und verbirg dich! . . . Das war wirklich groß und nicht erwartet.

      Der Apotheker bekam bei der Eröffnung, daß Jutt noch am selben Tage das Geschäft verlassen würde, einen lähmenden Schreck, nach dessen Lösung ihm jedoch die Rheumabeine so gelenkig wurden wie seit Wochen nicht mehr. Er sprang auf, versuchte hin und her zu laufen. Und es ging. Es ging! Er wollte es selbst kaum glauben.

      »Eine Blutstauung. Weiter nichts,« rief der junge Mann wegwerfend. »Ich hatte es Doktor Hecht gleich gesagt. Aber der behandelt alle Krankheiten auf Gonitis und schwört auf Wasserglasverbände.«

      Mit kummervollem Antlitz beruhigte sich der Apotheker, als er hörte, es herrsche gerade Gesundheitspest, und es sei im Laden ebensowenig zu tun wie hier im Krankenzimmer.

      Und noch in derselben Stunde brachte Jutt die notwendigsten Pakete auf die Post und ordnete das Übrige zur Nachsendung. Denn er konnte es sich nicht entgehen lassen, seinen neuen Wohnort in Fußmärschen aufzusuchen, um sich auf diese Weise gleichsam in die neue Umgebung einzuleben und als schon Vertrauter an seiner neuen Wirkungsstätte zu erscheinen. Zehn Meilen waren es nur bis dorthin. Und wenn er heute nacht durchging, hatte er morgen abend die jammervolle Eisenbahn schon eingeholt.

      Als er, die Stadt im Rücken, den Stromweg hinabschritt, kam ihm mit aufgeregter Röte Fräulein Abendgern entgegen.

      »Oh – ich wußte doch, daß Sie kommen würden, Sie unhöflicher Mensch,« rief sie ihn mit lieblichen Blicken an.

      »Sie irren,« sagte Jutt förmlich. »Denn ich gehe nämlich. Fragen Sie nur Ihren Doktor Hecht, was zwischen Kommen und Gehen für ein Unterschied ist.«

      »Weshalb sind Sie so ungehobelt,« rief sie aus und stampfte mit dem Fuße. Der kleine Ärger schon trieb ihr Tränen in die übrigens sehr schönen Augen.

      Jutt empfand ein süßes Mitleid, trat näher und sagte leise, indem er ihre Hand faßte: »Nicht böse sein. Ich gehe wirklich für immer fort von hier. Wie schwach Sie doch sind. Da kullert wirklich eine Träne . . .«

      Und er dachte daran, indem das Mädchen kleine, dumme Sachen sagte, daß er in dieser Stadt eigentlich keinen Menschen habe, dem es leid tun würde, wie er jetzt den Ort verließ. Und wenn es wenigstens diesem Mädchen leid täte, so mußte das für ihn ein angenehmes Gefühl sein.

      Und da sie gerade etwas Sanftes, Einschmeichelndes sagte, das ihm leise übers Herz strich, fragte er mit flüsternder Stimme dicht an ihrem kleinen Ohr: »Und haben Sie auch schon geküßt?«

      »Aber ja doch,« jauchtzte sie leise und lachte hell.

      Er trat einen Schritt beiseite und sah zu Boden.

      »Wie schade das doch ist,« sprach er langsam und sprach es nüchtern. »Ich habe im ganzen Leben noch nie einen Menschen geküßt. Und bin wohl auch von keinem geküßt worden. Vielleicht von meinen Eltern. Aber vielleicht auch nicht. Die Menschen sind jetzt so sehr leichtfertig mit dieser großen Gunst. Leben Sie wohl . . . Und es ist schade . . . Ich will mich sauber halten . . . Denn ich hätte es sonst jetzt bestimmt getan . . .«

      Und er ging rasch davon – innerlich irgendwie hungrig geworden.

      Es war ein trauriger Abend . . .

      3

      Jula betrat zum ersten Male nach dem Tode der Tante Maria die weiten, luftigen Räume der Wassermühle. Der herbe Duft getrockneter Teekräuter schlug ihr entgegen, die hier zu kleinen Bündeln sortiert an Schnürlein unter den langen Balken und Stangen hingen. Es waren jedoch nur noch die Reste einer ehemals großen Ernte, deren Lieferung eine der bedeutenden pharmazeutischen Fabriken, welche ihren Bedarf an Heilkräutern nur von dieser »Wassermühle« bezogen, dringend angemahnt hatte.

      Zunächst kletterte Jula nach der Dachluke des mehrstöckigen Gebäudes empor. Das war sommers und winters ihr liebster Ausblick gewesen. Jetzt hatte sie ihn mehrere Wochen meiden gemußt, aber in den letzten Tagen war ihr Wunsch immer heftiger geworden, und nun hatte sich durch den neuerlichen Brief der Fabrik willkommene Gelegenheit geboten. Denn Jula hatte auf sich gescholten, daß sie so kurze Zeit nach Tante Marias Heimgange derartig äußeren Wünschlein anhing; um so mehr sich gescholten, als sie auch nicht eine Träne über diesen großen Tod vergossen hatte. Ja – sie war eigentlich freier und freudiger geworden und mußte immer an sich halten, daß sie im Überschwang ihrer jungen Seele nicht einen jubelnden Hymnus an den betörenden Frühling anstimmte. Das wäre ja wohl im Sinne der Tante gewesen, aber die Vielzahl der Menschen begriff solches nicht und lastete mit den starren Gesetzen leidend in den Heimaträumen.

      Das Mädchen stieg die Treppe hinan. Es war ein wenig kahl in den Stockwerken, doch sie sollten wieder gefüllt werden. Ganz unter dem Dach, wo es im Sommer glühte, lagen die getrockneten Wurzeln, und hier roch es besonders scharf von den hohen, luftigen Fächern her.

      Dann erklomm sie die schlanke Leiter zur Dachluke, stieß das Fenster im Grat auf und lehnte den Oberkörper weit hinaus. Sie atmete auf. Braun hatte am letzten Male das Land ringsher gelegen. Und heute lachte ein frisches Grün zu ihr empor. Dort hinten lag das Kirchdorf,

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