Die Geheimbünde. Marco Frenschkowski
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Umgekehrt ist auch der Fall denkbar, dass sich die Geheimhaltung auf Sachverhalte oder eher Erfahrungen bezieht, die ohnehin kaum oder gar nicht in Worten mitgeteilt werden können. Dies gilt v.a. für die Struktur von Mysterieneinweihungen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit bestand eines der zentralen Rituale der antiken eleusinischen Mysterien im Vorzeigen einer Getreideähre: Darauf wird nur äußerst verschlüsselt angespielt. Das »Geheimnis« besteht hier in einer außerhalb des Kontextes kaum zu übermittelnden mystischen Einsicht. Allerdings vermitteln die antiken Mysterien religiöse Erfahrungen, ohne wirkliche »Geheimbünde« zu begründen; die Eingeweihten bilden im allgemeinen keine eigenen, sozial stabilen Gruppen oder Verbände (Ausnahme sind die Isiaci der Isis und auch die Anhänger des Mithraskultes; dazu ausführlich in Kap. 3.) Die »Geheimhaltung« ist hier ein Schutz vor Profanierung; sie verdeckt nicht einen kognitiven Inhalt. Alle diese verschiedenen Fälle und Typen von Geheimhaltung werden uns vielfach begegnen, und wir werden dabei nach ihren sehr unterschiedlichen Funktionen fragen müssen. Geheimhaltung kann Schutz vor »Anderen« sein, aber auch einfach vor Profanierung.
Der leider früh verstorbene Hans Biedermann (1930-1989), u.a. Verfasser eines klugen Buches über die Freimaurer, schreibt über die eher »harmlosen« Aspekte der Geheimhaltung bzw. grundsätzlichen Nichtöffentlichkeit von Ritualen: »Mit der Geheimhaltung oder – vielleicht besser – Diskretion ist hingegen noch immer die Mitgliedschaft von Mitbrüdern zu behandeln, die sich nicht selbst öffentlich als Bundesbrüder zu erkennen geben. Dies erklärt sich einfach aus der historisch bedingten Tatsache, dass das Freimaurertum in vielen Ländern als suspekt gilt und dem Mitglied Nachteile erwachsen könnten, wenn seine Mitgliedschaft öffentlich bekannt würde. Schließlich wird der Großteil der Logenrituale mit dem Schleier des Mysteriösen umgeben; der Aufseher der Loge hat die Pflicht, bei ihrer Eröffnung zu untersuchen, ob die tempelartige Bauhütte »nach innen und außen gehörig gedeckt ist«, ob also wirklich kein Profaner die »Arbeit« miterleben kann. Dafür gibt es kaum andere Gründe als den, dass die Ritualteilnehmer unter sich sein wollen und befürchten, bei den – für Außenstehende oft pathetisch und schwülstig wirkenden, für sie selbst jedoch tief bedeutungsvollen – Ritualen hämisch begafft und lächerlich gemacht zu werden. Was für den in die »Bruderkette« Eingebundenen ergreifend wirkt, sieht für den »Profanen« nicht selten antiquiert und gewollt gravitätisch aus. Oft hört der Chronist Äußerungen der Verwunderung darüber, dass »erwachsene Männer sich einschließen, Lieder singen, sich an den Händen halten, eine Zeremonialtracht tragen und sich gebärden wie Kinder, die Pfarrer spielen« Dass die Freimaurer wenig Wert darauf legen, mit solchen Augen angesehen zu werden, ist klar« (Das verlorene Meisterwort. Bausteine zu einer Kultur- und Geistesgeschichte des Freimaurertums. Wien u.a. 3. Aufl. 1999, 44f.). Wer erlebt hat, wie eine unsensible und überhebliche Fernsehberichterstattung über religiöse Rituale und Erfahrungen durch Großaufnahmen zu unpassender Zeit Menschen lächerlich machen kann, wird solchen Erwägungen nicht leichtfertig widersprechen. Öffentlichkeit ist sicher nicht immer angemessen. Es sind freilich auch ganz andere Gründe für Geheimhaltung vorstellbar, und in der Tat sind nicht alle davon ehrbar. Auch kriminellen Geheimbünden werden wir begegnen, und einen kurzen Einblick in ihre innere Welt versuchen, sofern sie aus Mitgliederberichten, verdeckten Ermittlungen u.ä. bekannt geworden ist. Eine zu enge oder puristische Definition würde sicher in einer kulturgeschichtlichen Betrachtung nur schaden.
Nicht nur nach Art, Inhalt und Funktion ihrer Geheimhaltung lassen sich Geheimbünde typologisch gliedern, sondern auch nach ihrer gesellschaftlichen Einbindung und v.a. nach dem Grad ihrer »Realität« in dem breiten Spektrum zwischen geschichtlich manifester Existenz und gesellschaftlicher Imagination. Weiter ist natürlich zwischen »guten« und »bösen« Geheimbünden zu unterscheiden, wenn auch eine solche Unterscheidung nur bei den fiktionalen Bünden Sinn macht. Was die realen Geheimbünde betrifft, so besitzen selbstverständlich auch die aus einer Außenperspektive kriminellen Bünde eigene Legitimationsszenarios (z.B. solche nationalistischer oder wertekonservativer Art). Zwischen »guten« und »bösen« Gesellschaften wird daher nur bei den ausschließlich imaginierten Gruppen unterschieden. Eine solche Typologie kann etwa – wieder erst einmal sehr schlicht – so aussehen:
1 Reale Gesellschaften mit durchgehender bzw. weitgehender Arkandisziplin
2 Reale Gesellschaften bzw. Gruppen mit partieller Arkandisziplin
3 Reale Gesellschaften mit marginaler bzw. eher symbolischer Arkandisziplin
4 Reale Gesellschaften, deren Charakter als Geheimbund auf gesellschaftlicher Projektion beruht
5 Imaginierte ideale geheime Orden u.ä., an deren Realität doch geglaubt wird
6 Imaginierte verschwörerische, kriminelle geheime Gruppen, an deren Realität ebenfalls geglaubt wird
7 Nur literarisch, cineastisch etc. existierende ideale Geheimgesellschaften ohne Wirklichkeitsansprüche
8 Nur literarisch, cineastisch etc. existierende kriminelle Geheimgesellschaften ohne Wirklichkeitsansprüche
Eine kulturgeschichtliche Typologie muss immer auch die verschiedenen Konstellationen bedenken, in denen Geheimbünde innerhalb ihrer jeweiligen Gesamtgesellschaften begegnen. Sie sind ja in mehrerlei Hinsicht Gegenstand von Fantasien, Hoffnungen und Befürchtungen, überhaupt von gesellschaftlichen Projektionen. Das gilt nun in besonderer Weise auch für die rein fiktiven »bösen« Geheimbünde. Wenn es wahr sein sollte, dass jede Gesellschaft die Schrecken und Monster erfindet, die sie verdient hat, was besagt es dann für das Psychogramm einer Gesellschaft oder eine Gruppe, wenn sie sich als unterwandert, als gefährdet durch geheime Gesellschaften und Bünde erlebt? Die «Geheimgesellschaft” als Bild und Projektionsort von Furcht und Faszination reicht zwar vielleicht nicht so dicht an unsere Person, an unsere Vitalität heran wie Dämonen, Hexen, Massenmörder, Vampire und andere traditionelle Ikonen der Furcht, sie ist aber dafür um so stärker auf die Gesellschaft selbst, nicht nur auf das Individuum ausgerichtet. Sie stellt damit eine grundsätzliche und tiefsitzende Angst der Moderne dar, dass die überschaubare, rational geordnete (eventuell – in der jüngeren Vergangenheit – demokratisch verantwortete) Gesellschaft nur eine Maske für andere »Machtverhältnisse« sein könnte. Wo die Mechanismen der Macht undurchschaubar werden, stellen sich Verschwörungsfantasien ein. Diese sind also eine bestimmte Art und Weise, Ohnmachtserfahrungen zu verarbeiten, und offenbar nur für bestimmte Typen von Menschen reizvoll. Es ist daher nicht überraschend, dass sie in den USA, wo der Staat in mancher Hinsicht weiter entfernt vom Bürger ist als in den überschaubareren und kleineren europäischen Ländern, eine besondere Rolle spielen. Nicht wenige US-Bürger können sich ihren Präsidenten oder sonstige hohe Funktionäre als Mitglieder finsterer Geheimbünde vorstellen: In Deutschland ist schon die bloße Vorstellung kaum nachvollziehbar. Dies selbst in ein kulturelles Faktum, das der Erklärung bedarf und mit dem imaginativen Spielraum zusammenhängen muss, den die unterschiedlichen