Die Geheimbünde. Marco Frenschkowski

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Die Geheimbünde - Marco  Frenschkowski marixwissen

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Menschen von unterschiedlichem Status und Hintergrund sehr unterschiedlich. Wir werden an der einen oder anderen Stelle Hinweise zu diesen soziologischen Gesichtspunkten geben, ohne sie befriedigend vertiefen zu können. Eine umfassende Aufarbeitung soziologischer Aspekte zum Thema existiert bisher nur für Teilbereiche.

      Wer sich für die vielen Service Clubs, Industrie-, Wirtschafts- und Business Clubs wie LIONS International (seit 1917) oder die Rotary Clubs (seit 1905, beide gegründet in Chicago), die heutigen Logen und logenähnlichen Vereinigungen, die studentischen Verbindungen bzw. Korporationen, die modernen Ritterorden und logenähnlichen Systeme, Vereine wie Schlaraffia etc. und ihre Bedeutung v.a. im deutschen Sprachraum sowie ihre jeweiligen Hintergründe, Aufnahmeregeln und Zielrichtungen interessiert, sei auf das faktenreiche Buch von Edwin A. Biedermann, Logen, Clubs und Bruderschaften. Düsseldorf 2004 (Neuausgabe angekündigt) hingewiesen, das sich vor allem der nachprüfbaren Beschreibung möglichst vieler einschlägiger Vereinigungen widmet. Es grenzt thematisch vielfach an unsere Fragen an, und zeigt sehr schön, dass auch ganz »säkulare« Vereinigungen ohne irgendwelche religiösen, okkulten oder auch politischen Abzweckungen in einem gewissen Umfang Nichtöffentlichkeit, Diskretion und Geheimhaltung praktizieren. Diese sind also offenbar menschliche Grundbedürfnisse in unserem allgemeinen Vergesellschaftungsstreben.

      2. Männerbünde, Frauenbünde und Einweihungsriten in archaischen Gesellschaften

      Zur Begrifflichkeit und Typologie

      Geheimbünde haben als eine Struktur religiösen und gesellschaftlichen Lebens eine Geschichte, die weit über die Mysterien der Antike zurückreicht. Dazu ist es erforderlich, einige Bemerkungen zur Begrifflichkeit und den Erscheinungsformen voranzuschicken. Von »Männerbünden« sprach zuerst 1902 der Völkerkundler Heinrich Schurtz im Blick auf Strukturen, die er in Ostafrika vorfand. Andere Begriffe in unserem Umfeld haben eine längere Geschichte, so diejenigen aus den Mysterien oder überhaupt aus der Antike. Die Rosenkreuzer hießen in den ältesten Texten einfach eine »Fraternität«, eine Bruderschaft, während manche reale Geheimgesellschaft sich als Orden (nach dem Vorbild der katholischen Orden) bezeichnet hat. Alle aus unserer Kultur genommenen Begriffe sind freilich als Beschreibungen fremder Gesellschaften ideologiegefährdet, insofern sie oft eurozentrische und moderne Voraussetzungen implizieren. Dieses Problem stand in der zweiten Hälfte des 20. Jhdts. im Mittelpunkt ethnologischer Arbeit, wo immer man über die Grenzen Europas und Nordamerikas hinausschauen wollte. Z.B. ist heftig diskutiert worden, inwiefern die europäischen Begriffe »Religion« und »Magie« geeignet sind, abgrenzbare Teilbereiche archaischer außereuropäischer Gesellschaften in den Blick zu bekommen, ohne sie zu verzeichnen. Das gilt nun auch für die aneinander angrenzenden Phänomene »Geheimbünde« und »Initiationsriten« in Hinsicht auf ihre ethnologischen Aspekte. Aber die ethnologische Forschung – die sich in Ansätzen bereits im 19. Jhdt. aus kolonialen missionstheologischen Leitinteressen emanzipierte – hat doch im Laufe der Jahre Strukturen in archaischen (schriftlosen) und vormodernen Gesellschaften beschrieben, die den kulturgeschichtlichen Hintergrund des Themas »Geheimbünde« bilden und daher hier zumindest knapp erwähnt werden müssen.

      Zahlreiche Gesellschaften kennen Bünde von Männern, Frauen oder (seltener) beiden Geschlechtern, die Geheimhaltung insbesondere ihrer Initiationsrituale, aber auch ihrer Symbole, ihrer Masken, ihres Erzählgutes praktizieren. Dabei ist zwischen Bünden zu unterscheiden, die größere Teile der Bevölkerung umfassen, also z.B. Männerbünden, welche praktisch alle – kaum je wirklich alle – Männer eines Stammes zu Mitgliedern haben, solchen, die nur aus einem kleineren Teil einer Gesellschaft bestehen, aber doch gesellschaftlich gut bekannt, greifbar und präsent sind, und schließlich solchen Bünden, die nur eine sehr kleine Gruppe von Menschen umfassten. Letzteres sind vor allem berufsspezifischen Bünde, z.B. die in manchen afrikanischen Gesellschaften wichtigen Schmiedebünde. Berufliches Fachwissen kann oft als Geheimwissen eines Bundes bewahrt und vor Außenstehenden geschützt werden; das Berufsgeheimnis erhält auf diese Weise eine soziale Absicherung. In der soziologischen und insbesondere in der feministischen Forschung wird der Begriff »Männerbund« über solche Erscheinungen hinaus auch benutzt, um heutige Formen elitärer Mitgliedschaft zu beschreiben, in denen Männer etwa durch indirekte Ausschlussverfahren Frauen den Zugang zu gesellschaftlichen Machtpositionen verwehren. Männerbünde dienen dann dem Patriarchat bzw. der Hegemonie des Männlichen. Dabei spielten weniger strikte Geheimhaltung eine Rolle, als »stillschweigende« Organisationsformen von Macht und Kommunikation, die Frauen faktisch eine Partizipation unmöglich oder zumindest schwer machen.

      Man kann durchaus von Männer- und Frauenbünden sprechen, da ein geschlechtsspezifisch eingeschränkter Zugang mehr Regel als Ausnahme ist. Geheimbünde in archaischen Gesellschaften definieren sich nicht unbedingt durch äußere gemeinsame Ziele, sondern eher durch Ätiologien, d.h. mythologische Ursprungsgeschichten. Nach außen wird ihre Gemeinschaft durch feste Regeln und Rituale und öfters durch bestimmte Kennzeichen abgegrenzt. Man trägt bestimmte Kleidungsstücke oder symbolische Accessoires, eine bestimmte Haartracht oder bestimmte Tätowierungen oder sonstige Körperveränderungen. Die Beschneidung hat hier eine ihrer Wurzeln. Hierarchie ist häufig, aber es gibt auch egalitäre Gesellschaften. Vor allem gibt es in jedem Fall ein klares »drinnen« und »draußen«, welches das durch Rituale und Aspekte gemeinsamen Lebens geschaffene Gemeinschaftsgefühl noch weiter stärkt. Zugang ist i.A. nur durch eine Initiation möglich (dazu gleich). In Männerbünden sind Frauen meist von der Mitgliedschaft ausgeschlossen (und vice versa). Speziell Männerbünde sehen sich selbst oft als gesellschafts-, ja welterhaltend. Ihre Initiationsriten haben dann nicht selten Bezüge zu kosmogonischen Mythologien. Sowohl in Männer- als auch Frauenbünden erhält die jeweils nächste Generation Unterweisung über das angemessene Verhalten in der Ehe und im Stamm u.ä. Oft verbinden ihre Rituale mit den Ahnen, die in Form von Masken oder noch in einem buchstäblicheren Sinn anwesend sind. Eigene Treffpunkte und Häuser – meist außerhalb der Wohndörfer und Siedlungen – sind häufig; fast immer dürfen sie durch Nichtmitglieder nicht betreten werden.

      Ganz allgemein erfüllen Geheimbünde in vielen Fällen protostaatliche Funktionen: Sie erziehen die Jugend, reglementieren das gesellschaftlich »Schickliche« und bestrafen Devianz, vor allem aber vermitteln sie Beheimatung über die biologischen Bande hinaus. Krieger und Priester besitzen darüber hinaus oft spezielle Bünde, und so auch oft die jungen, noch unverheirateten Männer eines Stammes, die vielfach bestimmte Freiheiten besitzen, die sie später nicht mehr haben. In Männer- und Frauenbünden geschieht geselliges Leben und finden religiöse Riten statt. Ihr z.T. protostaatlicher Charakter führt in kolonialen Situationen und überhaupt im Kontext der Entstehung moderner Staatswesen vielfach zu neuartigen Geheimbünden, die auch von ihren Trägergesellschaften als problematisch, zumindest als ambivalent in ihrem gesellschaftlichen Nutzen gesehen werden. Ein bekanntes Beispiel wäre die Mau-Mau-Bewegung im Kenia der 1940er und 1950er Jahre, die sich an Fragen des Landbesitzes entzündete. Nach der Unabhängigkeit Kenias 1963 wurden die Mau-Mau als Freiheitskämpfer geehrt, doch hat die neueren Forschung ihre tiefere Verwurzelung in afrikanischen Männerbünden gezeigt, die in Konflikt mit neuen sozialen und wirtschaftlichen Strukturen gerieten, und darüber zu einer kämpfenden Bewegung wurden. Die britische Armee nahm die Mau-Mau anfänglich als heidnischen, in Zauberei und grausame Rituale verstrickten Geheimbund wahr, dem eher durch Missionare als durch Kriegsführung beizukommen sei – und wurde sich erst allmählich der unentwirrbaren Einheit sozialer und religiöser Motive im gewaltsamen Kampf der Mau-Mau bewusst. Die Aussichtslosigkeit junger Männer, eigenes Land erwerben zu können, führte zu einem Interesse an alten Überlieferungen über Männergeheimbünde und ihre Rituale. Etwa 10 000 Mau-Mau verloren in dem Konflikt ihr Leben, jedoch nur etwa 100 Europäer. Dies ist ein Beispiel für die Entstehung einer politischen Geheimgesellschaft aus der Struktur archaischer Männerbünde.

      Gegenüber älteren Forschungen hat es neben der Infragestellung des eurozentrischen Blickwinkels in der Ethnologie zwei weitere wesentliche Verschiebungen gegeben, welche u.a. das Verständnis von Geheimbünden betreffen. Sehr plakativ lassen sich diese so beschreiben, dass diachrone Fragestellungen gegenüber synchronen

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