Die Geheimbünde. Marco Frenschkowski

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Die Geheimbünde - Marco  Frenschkowski marixwissen

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die klassischen Romane des Genres Science Fiction bieten Beispiele, so die Bene Gesserit (ein Bund aufgeklärt-mächtiger »Hexen«) und die Bene Tleilax im »Dune Universum« des Frank Herbert, die »Brotherhood« in George Orwells »Nineteen Eighty-Four« (1948), das »Central Anarchist Council« in G. K. Chestertons »The Man Who Was Thursday« (1908), »Cabal« in diversen Romanen Robert A. Heinleins, das »Committee to Unelect the Patrician« und die »Elucidated Brethren of the Ebon Night« in der »Discworld Series« des Terry Pratchett, usw. Ein Geheimbund sind die Talamasca in Anne Rice´ Serie »Witches Chronicles« (1990ff.). Die Beispiele lassen sich nahezu beliebig vermehren. Häufig ist eine vage Anlehnung an reale, geschichtlich vorgegebene Gruppen, so in den Romanen von Dan Brown, aber auch z.B. in Elizabeth Kostovas hochgelobtem neueren Vampirroman »The Historian« (»Order of the Dragon«), der 2005 erschien. Die »Second Foundation« in Isaac Asimovs »Foundation«-Serie ist ursprünglich ein Geheimbund. In den Harry Potter-Romanen der J. K. Rowling spielen zahlreiche Geheimgesellschaften – oft zu einem bestimmten, begrenzten Zweck gebildet – eine tragende Rolle, im Guten wie im Bösen, so der »Order of the Phoenix«, die »Death Eaters« und schließlich »Dumbledore´s Army«. Parodien sind häufig: Wer könnte je die Simpsons-Episode »Homer the Great« (Erstsendung 1.8.1995) vergessen mit ihrer geistreichen, nicht unfreundlichen, aber doch heftigen und in vielem nur für Insider verständlichen Satire auf das Brauchtum der Freimaurer (unter dem Namen »The Stonecutters«)? Schon die Hanna Barbera-Zeichentrick-Serie »The Flinstones« (1960-1966) hatte mit ihren »Wasserbüffeln« eine Parodie auf geheimnistuerische Männerbunde nach freimaurerischem Muster; auch hier war das satirische Element nicht unfreundlich. Kaum erinnern müssen wir an den Klassiker dieses Genres, den Film »Sons of the Desert« (dt. »Die Wüstensöhne«) mit Stan Laurel und Oliver Hardy (USA 1933). Gerade satirische Bearbeitungen sind für die Klischee- und Stereotypforschung oft besonders aufschlussreich.

      In solchen literarischen und filmischen Umsetzungen, in denen der »Geheimbund« zum stabilen Motiv wird, spiegeln sich erwartungsgemäß jeweils konkrete gesellschaftliche Erfahrungen und vor allem öffentliche Diskussionen, die hier nun weitergeführt, radikalisiert, eventuell parodiert werden. Manche scheinbar fantastische Darstellung ist vielleicht erst im Rückblick als Bearbeitung zeitgenössischer Fragestellungen erkennbar. Als John Ronald Reuel Tolkien (1892-1973) plante, eine Fortsetzung zu »The Lord of the Rings« (1954), dem ohne Frage bekanntesten Fantasy-Roman des 20. Jhdts., zu schreiben, wählte er als Thema das Erstarken einer böse Geheimgesellschaft, gewissermaßen einer Untergrundreligion in einer Welt, die einige Jahre nach dem Tod der letzten Figuren des »Lord of the Rings« zu datieren ist. Es ist viel zu wenig bekannt, dass Tolkien eine solche Fortsetzung seines Magnum opus nicht nur geplant, sondern tatsächlich schon seit Ende der 1950er Jahre in mehreren Anläufen angefangen hatte zu schreiben, auch wenn der Text erst 1996 posthum unter dem Titel »The New Shadow« publiziert wurde. Dieses Fragment eines neuen Romans ist in seiner letzten Fassung intensiv durch die breite Diskussion dieser Jahre in Hinsicht auf neue, irritierende Religionen (damals sagte man: »Jugendreligionen«) geprägt. Es sind geheime Kulte unter Jugendlichen, die den Ring-Krieg nicht erlebt haben und Sauron wieder zu Kraft und Einfluss verhelfen wollen: »secret societies practising dark cults, and ‹orc-cults’ among adolescents« nennt sie Tolkien in einem Brief 15 Monate vor seinem Tod. Er schreibt dies zu einer Zeit, als sich die bürgerliche Angst gegenüber neuen Religionen unter Jugendlichen in Großbritannien (und Deutschland) auf einem Höhepunkt befand, Ländern, die zu dieser Zeit erst langsam in die multireligiösen Verhältnisse der Gegenwart hineingewachsen sind. Die verschwörerischen Jugendlichen in Tolkiens Romanfragment tragen schwarze Kleidung und nehmen sich die Orks und ihre Lebensverachtung zum Vorbild. Tolkien benutzt hier die Klischees der Sekten- und Satanismusangst: Es ist sehr schade, dass der Text Bruchstück geblieben ist, obwohl Tolkien mindestens drei Anläufe nahm, ihn fortzuführen. (Als Gründer satanistischer Geheimkulte erscheinen in Tolkiens Briefen übrigens auch die beiden »blauen Zauberer«, von deren Geschick wir in »The Lord of the Rings« nichts erfahren.) Tolkien hat sich in diesem Fragment in der Gestalt des greisen, aber körperlich rüstigen Borlas, der die geheimen Vorgänge zuerst beobachtet, ein literarisches Selbstporträt geschaffen. Die Ratlosigkeit, in der das Fragment endet, ist diejenige der bürgerlichen Gesellschaft vor neuen, als »geheim« und »untergrundhaft« empfundenen neuen Religionen und ihrer (gelegentlichen) Affinität zu »dunklen« Aspekten von Kultur. Aus dieser Aporie könnte sich erklären, warum Tolkien diesen Text trotz der genannten drei Anläufe nicht weiterschreiben konnte.

      Unser kurzer exemplarischer Rundblick über Literatur und Film einschließlich der Populärkultur sensibilisiert uns für das imaginative Potential des Themas und seine bleibende gesellschaftliche Faszination. Erklären wir an dieser Stelle anhangsweise noch rasch die Herkunft der gehobenen, humanistendeutschen Redewendung »sub rosa« (eigentlich lateinisch »unter der Rose«), der seit alters die verborgenen Treffen von Geheimbünden und überhaupt alles bezeichnet, was im geheimen geschieht. Sie soll auf einen römischen Mythos zurückgehen: Cupido habe dem Gott Harpokrates (der mit einem Finger über dem Mund dargestellt und mit dem Schweigegebot der Mysterien zusammengebracht wurde) Rosen geschickt mit der Bitte, die Liebesaffären seiner Mutter Venus unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu wahren. Diese Geschichte deutet den römischen Brauch, Rosen über der Tür eines nichtöffentlichen Treffens aufzuhängen. Die Humanisten übernahmen dies als Redensart und übertrugen es auf diverse Lebensbereiche. »Was wir kosen, bleibt unter den Rosen«, schreibt Sebastian Brandt im »Narrenschiff« (1494), und später bei Goethe finden sich die Verse: »Dichter lieben nicht zu schweigen, wollen sich der Menge zeigen, Lob und Tadel muss ja sein! Niemand beichtet gern in Prosa, doch vertrauen wir oft sub rosa in der Musen stillem Hain.« (»An die Günstigen«, Hamburger Ausgabe 1, 244). Über katholischen Beichtstühlen werden seit der Renaissance gerne geschnitzte Rosen dargestellt, ein Hinweis auf das strikte, in der Katholischen Kirche unverbrüchlich geltende Beichtgeheimnis.

      John R. R. Tolkien, The History of Middle-Earth XII. The Peoples of Middle-Earth. Ed. by Christopher Tolkien. Boston u. New York 1996, 409-421 * Ders., Letters. A Selection by Humphrey Carpenter. London 1981, 344 u. 419 * Marco Frenschkowski, Leben wir in Mittelerde? Religionswissenschaftliche Beobachtungen zu Tolkiens »The Lord of the Rings«. In: Thomas Le Blanc, Bettina Twrsnick (Hrg.), Das Dritte Zeitalter. J.R.R. Tolkiens »Herr der Ringe«. Tagungsband 2005. Schriftenreihe und Materialien der Phantastischen Bibliothek Wetzlar 92. Wetzlar 2006, 240-264 * Über Dan Browns Romane und ihren Gehalt an Realität und Fiktion s. mit weiterführenden Literaturangaben Marco Frenschkowski, Mysterien des Urchristentums. Wiesbaden 2007, 41-99. 229-244 u.ö.

      Last not least wäre es auch möglich, eine Typologie realer Geheimbünde unter rein soziologischen Kategorien zu entwerfen. Die Spannbreite wäre freilich sehr groß, selbst wenn wir nur Bünde des 20. Jhdts. und moderner Sozietäten betrachteten und außer acht lassen, was Antike, Mittelalter und archaische Gesellschaften zum Thema beitragen. Manche Vereinigungen haben einen ausgesprochenen Oberschichtscharakter, andere finden ihre Mitglieder in eher unteren schlichteren Verhältnissen. Die kleinen okkulten Gesellschaften im Deutschland der Jahre 1900-1930 trafen sich oft im Hinterzimmer von Kneipen, in Wohnzimmern oder sonst privaten Verhältnissen, während die gleichzeitigen okkulten Vereinigungen Großbritanniens sich auf höheren sozialen Niveaus bewegten und of über eigene Häuser verfügten. Gesellschaften wie die Freimaurer besitzen seit langem eine völlig andere gesellschaftliche Stellung und auch ein anderes Potential als die zahlreichen kleinen Bünde, die oft nur wenige Jahre bestehen. Manche »Geheimgesellschaft« war und ist in Wahrheit ein Lesezirkel und Debattierclub, der sich selbst einen mysteriösen Anstrich gibt. Die Frage, aus welcher Klientel sich ein Geheimbund nährt, ist auch ohne sozialempirische Untersuchungen (die selten möglich sind) oft überraschend schnell zu beantworten, wenn Mitgliederlisten oder sonst Rahmenfakten bekannt sind. Indizien sind z.B. auch Werbeträger und Kommunikationswege eines Bundes, die manchmal besser bekannt sind als die Namen der Mitglieder. Dabei sind die nationalen Unterschiede erheblich. Die deutsche Okkultszene des frühen 20. Jhdts. hat sich z.B. in ihrem Bildungsniveau im Allgemeinen deutlich unterhalb der

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