Die Geheimbünde. Marco Frenschkowski

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Die Geheimbünde - Marco  Frenschkowski marixwissen

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was die Gesellschaft als ganze so offensichtlich nicht zustande bringt: umfassende Aufklärung, Erziehung und »Besserung des Menschengeschlechts«. Neben die »gefährlichen« treten also immer die »idealen« Geheimgesellschaften. Die Präsenz dieser imaginierten Geheimbünde ist zu unterschiedlichen Epochen ganz verschieden und trägt nicht wenig zum kulturellen Profil dieser Epochen bei. Ein ganz wesentliches Thema gesellschaftlicher Imagination waren sie z.B. in der Epoche der deutschen Klassik, d.h. in der Zeit Goethes und Schillers, und man muss fragen, warum dies so gewesen ist (sowohl Goethe als auch Schiller haben ausführlich zum Thema geschrieben).

      Die Spannung zwischen »guter« und »böser« Geheimgesellschaft, vor allem im Fall fiktionaler Bünde, wird immer wieder in den Blick zu nehmen sein. Zwei Polaritäten überschneiden sich also bzw. bilden ein komplexes Koordinatensystem, in das die zu besprechenden Geheimbünde einzuzeichnen sind: jene zwischen weltverschwörerisch-gefährlichen und aufklärerisch-erzieherischen Geheimgesellschaften einerseits, und jene zwischen rein literarisch imaginierten Gruppen und realen Gruppen, die zur Projektionsfläche für Fantasien unterschiedlichster Art werden, andererseits. Insofern aus Angst Aggression und aus dem Gefühl der Gefährdung Verfolgung werden kann, ist unser Thema von erheblicher politischer Brisanz, auch wenn wir ausschließlich politisch motivierte Gruppen hier gar nicht behandeln. Das Szenario potentieller Verschwörungen z.B., das eine Gesellschaft prägt, durchdringt alle Bereiche des kulturellen Lebens, wozu man nicht erst an den impliziten Einfluss der RAF auf die BRD der 1970er oder der Al-Qaida auf die USA der Gegenwart denken muss. Energisch muss in jedem Fall daran erinnert werden, dass Phänomene von Geheimhaltung, Nichtöffentlichkeit, Bundes- und Ordensbildung auch in gänzlich harmlosen Zusammenhängen eine Rolle spielen. Das Thema darf nicht zu sehr im Sog von Verschwörungsfantasien oder kriminellen Vereinigungen und ihrer Entlarvung oder Analyse verschwinden, um solide behandelt werden zu können.

      Von Geheimbünden (»secret societies«) wird v.a. in den USA auch z.B. in Hinsicht auf Studentenverbindungen (»collegiate fraternities«, »fraternal organizations«) gesprochen, von denen immerhin eine (Skull & Bones) in den letzten Jahren in einen Mittelpunkt gesellschaftlichen Interesses gerückt ist. Andere studentische Verbindungen, die in gewissem Umfang Geheimhaltung praktizieren, waren bzw. sind der Flat Hat Club (gegründet 1750) und Phi Beta Kappa (gegründet 1776) sowie Phi Gamma Delta (1848). Der dritte Präsident der USA, Thomas Jefferson, war Mitglied im Flat Hat Club, bezeichnete diesen Verein aber später als nutzlos. Tatsächlich besitzen nach wie vor die meisten amerikanischen Universitäten Studenten- und Studentinnenverbindungen, die in gewissem Umfang Geheimhaltung praktizieren, ein dem deutschen Universitätsleben völlig fremdes Phänomen, das mit den Korporationen und ähnlichen Verbänden kaum zu vergleichen ist. Wir sehen hier den ganz unterschiedlichen Stellenwert des Themas in verschiedenen nationalen und kulturellen Kontexten und Traditionen.

      Alexandra Robbins, Pledged. The Secret Life of Sororities. New York 2004 * Alexandra Kurth, Männer – Bünde – Rituale. Studentenverbindungen seit 1800. Frankfurt u. New York 2004.

      Wir lassen in lockerer Folge einige Beispiele für Geheimbünde meist fiktionaler Art Revue passieren, um die immense Faszination und das erzählerische und cineastische Potential des Themas in den Blick zu nehmen, eher wir uns den genauer zu beschreibenden realen Beispielen zuwenden. Erfolgsbücher, wie die Romane Dan Browns, wären nicht vorstellbar ohne die Funktion, welche Illuminaten und Opus Dei, die (vollständig fiktive) Prieuré de Sion und andere Geheimbünde in ihnen spielen. Das kaum entwirrbare Ineinander von Fakten und Fiktionen macht hier offenbar gerade den Reiz der Sache aus. Jede Leserin, jeder Leser versucht herauszubekommen, was real, was erfunden ist. Solche Bücher laden zu Spekulation ein und damit zu einem imaginativen »Es könnte doch sein, dass...«. Das Thema sinkt leicht ins Klischeehafte ab und eignet sich auch für Parodie und Satire. Die »ernsthaften« Umsetzungen richten sich erstaunlicherweise in unseren Jahren um die Jahrtausendwende herum, d.h. in unserer Gegenwart, eher auf »gefährliche« Geheimbünde: Die Fiktion wohltätiger, tatsächlich an einer Besserung der Menschheit interessierter Orden scheint aus Literatur, Kino und Fernsehen weithin verschwunden. Sie ist allenfalls noch in der Esoterikszene anzutreffen. Oft »kippt« das Szenario, d.h. eine geheime Gesellschaft, die als Träger sozialer Unterstützung und eines guten Gemeinsinnes auftritt, entpuppt sich in Film und Buch als etwas durchaus Sinistres. Dieses auf den ersten Blick sehr schlichte Motiv verkörpert offenbar ein tiefsitzendes Misstrauen der Moderne gegenüber Geheimbünden, überhaupt gegenüber undurchsichtiger Macht. Lange vorbei sind die Tage, wo sich wie in den Tagen der Rosenkreuzermanifeste (ab 1614) auf die (vollständig fiktionale) Erklärung eines Bundes der edlen Wissenden halb Europa auf den Weg macht, diesen Bund zu finden. In der Gegenwart ist das allenfalls Gegenstand der Parodie. Wir nähern uns unserem Thema locker-assoziativ, um nicht durch zu frühzeitige Systematisierung unseren Blick einzuschränken.

      Vor allem im »Mystery«-Bereich ist das Thema allgegenwärtig. »Twin Peaks« hatte seine »Bookhouse Boys«, »Alias« hatte die »Alliance of 12«, »SD-6« und natürlich »The Trust«, »Get Smart« hatte »KAOS«, »Millennium« hatte die besonders düstere »Millennium Group«, und selbst die »Gilmore Girls« haben ihre »Life and Death Brigade«. Es fällt wie gesagt ein starkes Übergewicht »böser«, gefährlicher, machtversessener Gruppen in diesen Produkten der v.a. amerikanischen und britischen Populärkultur auf. Die zahlreichen kriminellen Verbindungen der James Bond-Filme gehen letztlich auf »SPECTRE« in den Romanen Ian Flemings zurück. Im deutschen Sprachraum wird man an Dr. Mabuses »Herrschaft des Verbrechens« denken, die durch die bekannte Filmreihe Fritz Langs aus der Romanform in den Film transponiert wurde (vgl. weiter in Kap. 15). Auch die »Sith« bzw. »Sith Lords« der Episoden I-III von »Star Wars« (USA 1999-2005) inszenieren offenbar kulturelle Ängste. Die ihrem Ende entgegengehende Republik dieser Filme ist ja eine Karikatur einer UNO-ähnlichen, umfassenden aber letztlich machtlosen Bürokratie, wie sie sich aus amerikanischer Sicht darstellt. Sie hat der anwachsenden Stärke des »Imperiums« nichts entgegenzustellen. »Star Wars« hat damit in den Episoden I-III (die ja viel später als die Episoden IV-VI von 1977-1983 entstanden sind) eine sehr amerikanische, populäre Wahrnehmung von politischer Welt mit den Themen Dekadenz, Untergang einer Republik, Totalitarismus und neuer Hoffnung aus uramerikanischen Werten und Leitbildern heraus inszeniert. Das historische Rahmenmuster erinnert nicht zufällig an das Ende der römischen Republik und den Beginn der Kaiserzeit, wird aber zum Vehikel für eine durchaus neue und für Europäer nicht sofort wahrnehmbare Inszenierung eines sehr amerikanischen Weltbildes. Die »Täter-Opfer«-Symbolik bzw. die Thematisierung von »Stärke« und »Schwäche« in diesen Filmen kann nahezu bruchlos als untergründige Bearbeitung der Eigenarten amerikanischer Selbstwahrnehmung mit ihrem extremen Schwanken zwischen Opfer- und Täterrollen gesehen werden.

      Neben bedrohlichen, gefährlichen Geheimgesellschaften produziert die Populärkultur immer wieder auch die Idee uralter Bünde, die ein wertvolles Geheimnis bewahren (den Gral o.ä.). Ein bekanntes Beispiel wäre der Film »Indiana Jones and the Last Crusade« (USA 1989) mit seiner »Brotherhood of the Cruciform Sword«. Selbst die studentischen Verbindungen sind Gegenstand populärkultureller Klischees (oft mit beherrschenden Verschwörungselementen) geworden, so die Yale Society »Skull & Bones« in den Filmen »The Good Shepherd« (Robert de Niro, USA 2006) und »The Skulls« (USA 2000, mit zwei Fortsetzungen). Der chinesische Film »The House of Flying Daggers« (2004) des Regisseurs Zhang Yimou thematisiert die Geheimgesellschaft aus den Tagen der Tang Dynastie (die Handlung spielt im Jahr 859 n. Chr.), nach der er in seiner amerikanischen Version benannt ist, ebenso »The League of Extraordinary Gentlemen« (USA 2003), um auch an einem eher naiven Beispiel nicht vorbeizugehen. Und Stanley Kubricks »Eyes Wide Shut« (1999, sehr frei nach der Erzählung »Traumnovelle« von Arthur Schnitzler, 1926) ist die faszinierende Geschichte eines Mannes (im Film Tom Cruise), der in einer Ehekrise in den Bann einer sexualmagischen Geheimgesellschaft gerät, wobei für ihn diese Erfahrung in ihrer traumhaft-albtraumhaften Ambiguität eine kathartisch-läuternde Wirkung hat. Dieser Film darf als eine der bedeutendsten neueren

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