Heimatkinder Staffel 3 – Heimatroman. Kathrin Singer
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»Dann hol’ ich ihn gleich.« Nani rannte schon über die Matte, scheuchte Kühe zur Seite, bis sie bei dem Jungen war. Sie zog ihn hoch. »Komm mit! Es ist jemand da, der dich zu sich holen will. Jetzt mach aber keine Scharwenzchen.«
Als Franzi das hörte, hätte sie beinah den Kopf geschüttelt. War es wirklich möglich, dass sich eine Mutter so leichten Herzens von ihrem Kind trennte? Diese Nani schien in ihrer Gefühlskälte ihrem wilden Vater zu ähneln.
Stepherls Gesicht hellte sich auf, als er Franzi sah. »Du bist wieder da«, sagte er, und nun klang Freude in seiner Stimme.
»Ja, und sie nimmt dich mit.« Nani schob den Jungen ganz nahe zu Franzi.
»Ist das wahr?«, fragte der Kleine. »Wohin?«
»Auf einen schönen kleinen Hof, Stepherl.« Franzi beugte sich zu ihm und strich ihm über den Kopf. »Unterwegs erzähle ich dir alles. Du wirst auch einen ganz lieben Großvater haben.« Sie wandte sich an Nani. »Ich möchte mich nicht lang verweilen, damit ich mit Stepherl nicht zu spät nach Hause komme. Pack mir bitte etwas von seiner Kleidung ein, die er für den Anfang brauchen wird.«
»Er zieht jeden Tag dasselbe an, nur das Hemd wechsle ich ihm manchmal. Hier sind wir nicht in der Stadt, wo die Kinder so viel Kleidung haben wie die Großen.«
»Ist schon gut, dann wird es auch so gehen.« Franzi fasste den Jungen an der Hand. »Komm, ein Stück wirst du es schaffen, wenn ich nicht zu schnell geh’. Sobald du müde wirst, kommst du auf die Hucke. – Nani, vergiss nicht, mir die Papiere zu schicken.« Franzi nannte ihre Adresse, dann ging sie schon mit Stepherl von der Sennhütte weg. Sie hatte nicht das Gefühl, dass sich Nani von ihrem Sohn verabschieden wollte.
*
Franzi war es gewohnt, auch mal schwere Arbeit zu tun, und sie konnte kräftig zupacken, aber der Weg mit Stepherl auf der Hucke wurde doch hart für sie. Der Kleine hatte zu Fuß nur ein kurzes Stück mithalten können, dann war er müde geworden. Auf der Hucke hatte er bequem gesessen und nicht herunterfallen können, immer wieder hatte er etwas gefragt. Meistens wollte er wissen, ob er wirklich bei Franzi bleiben könnte, und nun nie mehr ins Heu müsste. Durch die Lieblosigkeit seiner Mutter hatte er kein tieferes Gefühl für sie entwickelt. Er schien sich hauptsächlich an die schlechten Dinge zu erinnern, die er in der Sennhütte immer wieder hatte erleben müssen.
Franzi wurde nicht müde, den kleinen Buben zu trösten, und sie versuchte, ihm auszumalen, wie schön er es von nun an haben würde, zusammen mit ihr und seinem neuen Großvater.
Es war später Nachmittag, als Franzi durch das Dorf ging, zu dem ihr Hof gehörte. Im Ort sahen ihr manche neugierig nach, einer aber, der mit dem Pferdewagen unterwegs war, sprang vom Kutschbock und kam auf sie zugelaufen. Es war Korbinian.
»Franzi, was soll das bedeuten?«, fragte er und zeigte auf den Jungen. »Ich hab’ doch gehört, dass du heil zurückgekommen bist, aber jetzt warst du anscheinend schon wieder unterwegs.«
»Ja, um den Buben hier zu holen. Bis zu der Sennhütte, in der er bisher lebte, war der Weg noch nicht zu beschwerlich. Ich muss weiter, Korbinian, sonst verlassen mich die Kräfte.«
Korbinian sah in ihr verschwitztes Gesicht, in ihre müden Augen. »Komm, ich nehm’ dir den Buben ab, gleichgültig, was du mit ihm vorhast. Ihr steigt zu mir auf den Kutschbock.« Er hob Stepherl schon von der Hucke.
»Du meinst es gut, Korbinian«, sagte Franzi, »aber den Steig hinauf muss ich den Jungen doch wieder tragen.«
»Du willst also mit ihm nach Hause?«
»Ja.«
»Dann werd’ ich dir den Jungen tragen. Nein, keine Widerrede. Die Zeit nehm’ ich mir, und mehr Kraft als du hab’ ich auch.« Korbinian half Franzi auf den Kutschbock, reichte ihr den Jungen und setzte sich neben sie. Gleich darauf knallte er mit der Peitsche. Darüber erschrak Stepherl zuerst, dann fand er es anscheinend lustig. Er lachte und klatschte erfreut in seine Händchen.
Franzi war darüber erschüttert. Zum ersten Mal sah sie den Kleinen lachen.
»Was soll das nun mit dem Kind?«, fragte Korbinian nach einer Weile.
»Es ist Ulis Sohn. Ja, glaub es mir. Ich hatte noch keine Gelegenheit, dir das zu erzählen. Hör zu!« Franzi schilderte nun Korbinian, wie sie Stepherl bei der Sennerin Nani angetroffen hatte und was sie von ihr hatte hören müssen.
»Das hat also Uli auch noch auf sein Gewissen geladen.« Korbinians Gesicht verdüsterte sich. »Hast du unterwegs irgendeinen Anhaltspunkt gefunden, was aus ihm geworden sein könnte?«
»Nein, Korbinian, aber ich will jetzt nicht mehr so viel an Uli denken, sondern versuchen, an Stepherl gutzumachen, was man ihm bisher angetan hat. Ich hätte zu Hause keine Ruhe gefunden, weil ich immer wieder daran hätte denken müssen, wie sehr er da oben verkümmert.«
Sie mussten jetzt das Pferdegespann stehen lassen und den Steig zu Fuß hinaufgehen.
Korbinian machte es nichts aus, nun Stepherl auf der Hucke zu schleppen.
Unterwegs sagte er: »Wenn das Ulis ist, würde er eher zu Vater und mir auf den Stettner-Hof gehören als zu dir, Franzi.«
Franzi blieb ruckartig stehen und sah ihn erschrocken an. »Du willst mir den Buben wegnehmen? Nein, das lass ich nicht zu. Mir ist er lieb geworden, ich will ihn aufpäppeln, damit er ein fröhliches Kind werden kann. Seine Mutter hat ihn mir übergeben, und ich werde die Pflegschaft für ihn beantragen.«
»Beruhige dich, Franzi, ich nehm’ dir den Buben nicht weg, wenn dein Herz an ihm hängt. Ich mach’ mir nur Sorgen, dass du dir mit dieser Pflegschaft zu viel aufbürdest.«
»Diese Sorgen brauchst du dir nicht zu machen. Nach dem, was ich erleben musste in der letzten Zeit, werd’ ich nun eine schöne Aufgabe haben. Aber einmal muss es ausgesprochen werden, dass ich für Uli nur ein Spielzeug war, eine von vielen, denen er nachrannte. Deshalb hat es auch Krach mit eurem Onkel gegeben.«
»Warst du doch bei ihm, Franzi?«
»Ja, ich hab’s geschafft, aber erinnere mich nicht daran, welche Ängste ich unterwegs ausgestanden hab’. Lass uns am besten nicht mehr davon reden. Ich bin ja nur dafür bestraft worden, was ich dir angetan hab’.«
»Ich will dir das nie vorhalten, Franzi, so schwer es mich auch getroffen hat. Da, schau, dein Vater kommt uns entgegen.«
Franzi lächelte. »Er wird neugierig auf Stepherl sein. Er weiß ja, dass ich ihn mitbringen wollte.«
Josef Feistauer sah Korbinian erstaunt an und fragte: »Hast du den Buben mit Franzi geholt?«
»Nein, Vater, Korbinian und ich haben uns nur zufällig im Ort unten getroffen. Das war gut, weil mir das Heraufsteigen mit Stepherl auf der Hucke sicher zu schwer geworden wär’. Unterwegs konnte ich Korbinian auch gleich erzählen, wessen Kind Stepherl ist. Aber lass uns doch schnell ins Haus gehen, der Bub muss auch müde sein.«
Josef Feistauer hob Stepherl von der Hucke und nahm ihn auf die Arme. »Für einen Jungen aus den Bergen bist du aber zu bleichsüchtig, du Hascherl, aber wir werden dich schon auffüttern.« Aus seiner Stimme klang viel Mitgefühl.
Korbinian blieb stehen. »Ich