Schopenhauer. Kuno Fischer

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Schopenhauer - Kuno  Fischer Kleine philosophische Reihe

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wurde er fast vier Jahre lang unterrichtet und für den kaufmännischen Beruf vorbereitet. Schon jetzt nahmen seine Wünsche eine Richtung, die den väterlichen zuwiderlief: er sehnte sich nach der wissenschaftlichen und gelehrten Laufbahn und suchte durch unablässige Bitten die Erlaubnis des Vaters dafür zu gewinnen. Dieser aber, der den Sohn zu lieb hatte, um einen harten Zwang auf ihn auszuüben, und doch die gelehrte Profession für das Handwerk ohne goldenen Boden ansah, nahm zur List seine Zuflucht: er versprach ihm eine große und herrliche Reise, wenn er auf die gelehrten Studien verzichten und dem Gymnasium das Comptoir vorziehen wollte; er lockte ihn mit den Reichen der Welt, und dieser Anblick wirkte auf den jungen Arthur, wie in der Volkssage die Helena auf den Faust.

      Die Reise begann im Mai 1803 und dauerte bis gegen Ende des folgenden Jahres. Der erste längere Aufenthalt war London. Als dann die Eltern durch England und Schottland reisten, wurde der Sohn während der drei Sommermonate in der Pension des Rev. Lancaster zu Wimbledon bei London zurückgelassen, um sich in der Sprache und den Sitten der Engländer einheimisch zu machen. Er hat sich hier lange nicht so wohlgefühlt, wie in Havre; die englischen Sitten haben ihn weniger angemutet als die französischen, und besonders ist die englische Bigotterie ihm zuwider geworden und zeitlebens geblieben. Dagegen hat er die englische Sprache sehr gut erlernt und liebgewonnen, er hat später durch fortgesetzte Übung sich den Gebrauch derselben in einem Grad angeeignet, dass er im Gespräche mit Engländern stets für einen Engländer galt, und erst nach einiger Zeit gemerkt wurde, dass er es nicht sei. Übrigens hatte er sich in Wimbledon, wie aus den abmahnenden Briefen der Mutter hervorgeht, zu viel mit dichterischen Werken, namentlich den Tragödien Schillers beschäftigt.

      Der zweite längere Aufenthalt war Paris. Hier diente ihnen ein merkwürdiger Mann, einer der genausten Kenner der Stadt und ihrer Geschichte, zum täglichen Führer: der bekannte Schriftsteller Louis Seb. Mercier, der Verfasser des bändereichen »Tableau de Paris«. Dass diesem Manne ein interessanter Moment unserer großen Literatur zu danken war, ahnten weder die Reisenden noch er selbst. Vor zwanzig Jahren hatte Mercier ein dramatisches Porträt Philipps II. veröffentlicht und in dem »Précis historique«, der vorausging, den Untergang der Armada in poetischer Prosa verherrlicht. Schiller, noch in der Dichtung seines Don Carlos begriffen, hatte jenen Prosahymnus in Verse übertragen, welche er »Die unüberwindliche Flotte« nannte. Ohne dieses Gedicht, deren eigentlicher Urheber Mercier ist, wäre der Medina Sidonia und mit ihm eine der schönsten und gelungensten Szenen nicht in das Trauerspiel unseres Don Carlos gekommen. Noch heute lesen wir die lebendige Schilderung mit Vergnügen, welche Johanna Schopenhauer von der Person Merciers gegeben hat.122

      Nachdem man zwei Monate in Paris verweilt hatte, wurde gegen Ende Januar 1804 die Reise fortgesetzt, sie ging in das südliche Frankreich und dann von Lyon nach Genf, Savoyen und der Schweiz. In den Erzählungen der Mutter, obwohl sie den Sohn nicht nennt, erkennen wir die unvergänglichen Eindrücke, die seine Phantasie damals empfangen hat. Einer der grausigsten war der Bagno in Toulon, worin sechstausend Galeerensklaven das freud- und hoffnungsloseste Dasein führten: ein Stück Dantescher Hölle auf Erden! In Lyon erinnerten einige der öffentlichen Plätze an die schrecklichsten Gräueltaten der Revolution, die vor wenigen Jahren hier geschehen waren, und jetzt sprach man darüber leichtfertig und geschwätzig, wie über amüsante Begebenheiten. Von einer ungeheuren Wirkung war in St. Férioles das Getöse der unterirdischen Gewässer, die in den Kanal von Languedoc herabstürzten. Doch der erhabenste aller Eindrücke war der Anblick des Montblanc in Chamonix, der das Herz des jungen Arthur so mächtig ergriff, dass er den Vater bat, ihn dort länger bleiben zu lassen. Wie oft hat später der Philosoph in seinen Schriften den Montblanc, wann sein Gipfel sich plötzlich entschleiert und im Morgenlicht strahlt, mit dem Genie in seiner Schwermut und in seiner Heiterkeit verglichen!123

      Der letzte mächtige Eindruck der Schweiz war der Rheinfall bei Schaffhausen. Man reiste durch Schwaben, Bayern und einen Teil Österreichs, besuchte Wien und Pressburg und auf der Rückreise Dresden und Berlin. Hier trennte sich die Familie, der Vater kehrte nach Hamburg zurück, Mutter und Sohn gingen nach Danzig, wo Arthur den 20. November 1804 konfirmiert wurde und seine Vaterstadt zum letzten Mal sah. Es war schon ein weiter Gesichtskreis, den jetzt die äußere Weltkenntnis des siebzehnjährigen Jünglings umfasste.

      Der Vater hatte sein Versprechen erfüllt; nun war die Reihe am Sohn. In den ersten Tagen des Jahres 1805 trat er bei dem Senator Jenisch zu Hamburg in die kaufmännische Lehre, ganz im Widerstreit mit seiner innersten Neigung. Die Befriedigungen, welche seiner Phantasie und Wissbegierde die Reise in vollem Maß gewährt hatte, waren wirklich nicht geeignet, den Drang nach weiterer Erkenntnis zu hemmen. Vielmehr hatten sie denselben, wie es nicht anders sein konnte, verstärkt.

      Da änderte sich durch den plötzlichen Tod des Vaters im April 1805 mit einem Mal die Lage der Familie. Von einem Speicher war oder hatte sich der unglückliche Mann, den in der jüngsten Zeit Geistesstörungen heimgesucht hatten, in den Kanal herabgestürzt und ein jähes Ende genommen. Die Frau mit ihren beiden unmündigen Kindern war nicht imstande, das Geschäft des Mannes fortzuführen, sie löste es auf und wählte Weimar zu ihrem künftigen Aufenthaltsort; Arthur aber musste in Hamburg zurückbleiben, um seine kaufmännischen Lehrjahre zu vollenden.

      1. Anerzogene und angeerbte Gemütsart

      Wir dürfen diesen ersten Abschnitt seiner Jugendgeschichte nicht beschließen, ohne eine deutliche Vorstellung von der ihm angeborenen und anerzogenen Gemütsart mitzunehmen, die gleichsam die Basis seiner Persönlichkeit, den Grundbass seines Lebens ausmacht.

      Er hat mit fünf Jahren seine Vaterstadt und Heimat verloren und nie eine zweite gefunden: so hatte es der väterliche Wille gefügt. Er hat der väterlichen Absicht und Führung gemäß im Ausland und auf Reisen eine fremdländische und kosmopolitische Erziehung empfangen, deren Vorteile er stets als eine Wohltat gepriesen hat, die er dem Vater nicht genug danken könne: daher kann man sich nicht wundern, dass ihm die Heimats- und Vaterlandsgefühle, die volkstümlichen und nationalen Sympathien und Antipathien völlig gefehlt haben, dass er diesen Mangel nicht als eine Entbehrung, sondern als einen Vorzug empfunden, den er seine »liberale Bildungsart« nannte, dass ihm das deutsche Vaterland nie mehr bedeutet hat, als die deutsche Sprache und Literatur, soweit beide ihm und seiner Geistesart homogen waren. Es hat vielleicht nie jemand gegeben, der den Wert und die Macht der Literatur so hochgehalten und so überschätzt hat wie er.

      Noch tiefer liegen die angeborenen Charakterzüge, die bis in die Wurzeln seines Daseins hinabreichen. Seine eigene Vererbungslehre, nach welcher die Willensart väterlicher, die Geistesart mütterlicher Herkunft sein soll, scheint sich an ihm selbst bestätigt zu haben, und seine unablässige Selbstergründung ist wohl der erste und nächste Weg gewesen, der ihn zu dieser Lehre geführt hat. Das heftige, ungestüme Wollen, diese so hervorstechende Eigenschaft sowohl seines Vaters als seines Großvaters Trosiener, war auch sein unveräußerliches Erbteil.

      In der väterlichen Familie waren Geisteskrankheiten einheimisch: eine wahnsinnige Großmutter, zwei wahnsinnige Oheime, ein von Anwandlungen des Wahnsinns heimgesuchter Vater, der wohl zuletzt dem Schicksal der Geistesumnachtung erlag! Etwas von dieser Belastung war auf den Sohn übergegangen und gehörte zu seiner väterlichen Mitgift: er trug die Disposition zu Wahnideen in sich, woraus die unerklärlichen und schrecklichen Angstgefühle hervorgingen, die ihn plötzlich ergriffen und mit unbezwinglicher Gewalt bemeisterten. Überall sah er sich von Gefahren umgeben, die auf ihn lauerten, die schlimmsten sah er in den Menschen: daher seine unwiderstehliche Menschenscheu, die eine beständige Quelle der Furcht und feindseligen Erregung, des Argwohns und Misstrauens war, Stimmungen, die nicht etwa durch Gewohnheit geschwächt, sondern durch die Lebhaftigkeit seiner Einbildungskraft ins Maßlose gesteigert wurden. Es gibt nichts Fürchterlicheres als die Furcht, hat Bacon gesagt. Die Tapferkeit befreit uns vom Schicksal, die Furcht macht uns zu seinem Sklaven. Wenn dieser

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