Schopenhauer. Kuno Fischer

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Schopenhauer - Kuno  Fischer Kleine philosophische Reihe

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Euch, Herr Doktor, zu spazieren,

      Ist ehrenvoll und bringt Gewinn.

      Diesen Gewinn hat es ihm reichlich gebracht; der Gewinn war größer als sein Verdienst.

      Kaum war das Hauptwerk vollständig hergestellt und herausgegeben, als dem Verfasser neue Ergänzungen nötig erschienen, die in Ausführungen teils nebensächlicher, teils einschlägiger in dem bisherigen Werke noch unerledigter Themata bestanden. Jene sollten »Parerga« (Nebenwerke), diese »Paralipomena« (Zurückgebliebenes) heißen. Nach einer sechsjährigen Arbeit (1844 – 1850) war das Ganze in einem so beträchtlichen Umfang vollendet, dass jeder der beiden Teile einen Band für sich ausmachte. Die Parerga bestanden in sechs Abhandlungen, die »Aphorismen über die Lebensweisheit« eingerechnet; die Paralipomena in einunddreißig Kapiteln, wozu noch »einige Verse« kamen. Die Vorrede wurde im Dezember 1850 geschrieben, kurz und ohne Galle; diese hatte sich in dem dritten Stück der Parerga, welches »über die Universitätsphilosophie« handelte, reichlich abgelagert.

      Im behaglichen Vollgenuss ungestörter Muße und »imperturbabler Gesundheit und Kraft«, deren er sich nunmehr erfreute, nur in den beiden ersten Morgenstunden nach stets erquickendem Schlaf hatte er an diesen »opera mixta« gearbeitet und sie mit stilistischer Meisterschaft ausgeführt, insbesondere die Paralipomena, seine »Philosophie für die Welt«, wie er sie nannte: eine Reihe von Essais, die jedem Literaturkenner als Muster ihrer Art in deutscher Sprache gelten dürfen. Im Gefühl der Vollendung war er entschlossen, kein neues Buch mehr zu schreiben, und sagte von seinem Werke, wie Hamlet von seinem Schicksal: »Der Rest ist Schweigen«.

      Aber jetzt, wo er auf der Höhe seiner schriftstellerischen Laufbahn angelangt war, schien er als Schriftsteller allen Kredit verloren zu haben. Vergebens wurden drei Buchhandlungen, darunter den beiden bisherigen Verlegern, die Parerga und Paralipomena für nichts angeboten. Brockhaus hatte mit der neuen Auflage des Hauptwerks wieder ein so schlechtes Geschäft gemacht, dass er sich genötigt sah, den Preis herabzusetzen.

      Endlich nach einigen erfolglosen Bemühungen gelang es seinem Frauenstädt, diese letzten Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen und einen Berliner Buchhändler zur Herausgabe des Werks zu bewegen, das in 750 Exemplaren gedruckt wurde und im November 1851 erschien. Schopenhauer behielt das Recht auf die zweite Auflage und erhielt von der ersten zehn Freiexemplare.187

      Es war gewiss kein schwieriges Verdienst, das sich Frauenstädt in dem gegebenen Fall um die Person und Sache Schopenhauers erworben, aber unleugbar einer der wichtigsten Dienste, den er ihm geleistet hat. »Sie sind ein wahrer Treufreund«, schrieb Schopenhauer den 30. September 1850, »et optime meritus de nobis et philosophia nostra, in alle Wege. Herzlichen Dank für Ihre Mühe und Eifer in Herbeischaffung eines Verlegers. Ich hoffe, dass der Mann ein gutes Geschäft macht, da vieles, namentlich die Aphorismen zur Lebensweisheit, die fast den halben ersten Band füllen, sehr populär sind. Aber die Zeitläufe sind schuld, dass man so schwer einen Verleger zu solchen Büchern findet. Alles steckt noch bis über die Ohren in der Politik.«

      1. Die politischen Stürme

      Dass ein tiefer Ruhe und Stille, als des Elementes, in welchem allein die Werke des Genies und des Gedankens reifen können, so bedürftiger und allem Lärm so gründlich abgeneigter Mann, wie Schopenhauer, mit seinem ausgeprägt aristokratischen Selbstgefühl und seiner grenzenlosen Verachtung der Masse die Volksbewegungen der Jahre 1848 und 1849 und den Aufruhr, den sie hervorriefen, gehasst hat, versteht sich nach allem, was wir schon über ihn wissen, wohl von selbst.

      Der März 1848 hatte ihn dermaßen in Schrecken versetzt, dass er sogar seine Bücherbestellungen zurücknahm. Als den 11. Juni der Erzherzog Johann einzog, atmete er auf. »Das ist auch recht«, schrieb er an Frauenstädt, »erhebt sich der Sturm, so zieht man alle Segel ein, aber man breitet sie wieder aus, wenn die Sonne hervorkommt. Diese lässt sich hier, eben diesen Augenblick, herrlich sehen als Erzherzog Johann, dessen Einfahrt sogleich die Kanonen verkünden werden. Der Horizont hellt sich überall auf: Vernunft fängt wieder an zu sprechen und Hoffnung wieder an zu blühen, und die Hundsfötter aller Orten machen lange Gesichter.« Aber den Erzherzog, der ihm jetzt als Sonne leuchtete, nannte er sehr bald den »Johann ohne Land«.

      Höchst anschaulich und charakteristisch hat er dem dienstfertigen Freund den Aufruhr und die Kämpfe des 18. September geschildert, die ihm bis in sein Zimmer gedrungen waren. »Was haben wir erlebt! Denken Sie sich eine Barrikade auf der Brücke und die Schützen bis dicht vor meinem Haus stehend, zielend und schießend auf das Militär in der Fahrgasse, dessen Gegenschüsse das Haus erschütterten: plötzlich Stimmen und Gebrülle an meiner verschlossenen Stubentür: ich, denkend, es sei die souveräne Canaille, verrammle die Tür mit einer Stange: jetzt geschehen gefährliche Stöße gegen dieselbe, endlich die feine Stimme meiner Magd: ›es sind nur einige Österreicher!‹ sogleich öffne ich diesen werten Freunden: 20 blauhosige Stockböhmen stürzen herein, um aus meinem Fenster auf die Souveräne zu schießen; besinnen sich aber bald, es ginge vom nächsten Haus besser.«188

      Als endlich die aufrührerischen Bewegungen unterdrückt und die völlige Ruhe durch Waffengewalt wiederhergestellt war, fühlte er sich den preußischen Kriegern, die den inneren Frieden erkämpft hatten, zu höchstem Dank verpflichtet. Darum ernannte er »den in Berlin errichteten Fonds zur Unterstützung der in den Aufruhr- und Empörungskämpfen der Jahre 1848 und 1849 für Aufrechterhaltung und Herstellung der gesetzlichen Ordnung in Deutschland invalide gewordenen preußischen Soldaten, wie auch der Hinterbliebenen solcher, die in jenen Kämpfen gefallen« durch Testament vom 26. Juni 1852 zu seinem Universalerben.

      Gegen Ende des Jahrzehnts, zur Zeit der Siege über die Volksaufstände, vielleicht im Zusammenhange mit der Freude darüber erwachte in Schopenhauer ein Gefühl davon, dass seine Zeit herannahe. Das Märchen von der Verschwörung der Philosophieprofessoren wider ihn, woran er steif und fest glaubte – sie hatte ja schon vor dreißig Jahren mit Beneke begonnen –, nahm jetzt in seiner Einbildungskraft eine Wendung zum Besseren; es ging ihr, wie es jeder schändlichen Verschwörung gehen soll: sie kam an das Licht des Tages! Infolge seiner so oft wiederholten Donnerworte und der jüngsten Schriften von ihm und über ihn ist sie endlich entdeckt und die Verschwörer in Furcht und Schrecken gejagt worden. Schon ist es so weit, dass die heimtückischen Feinde seine Schriften nicht mehr ignorieren, sondern nur noch sekretieren, d. h. alles tun, um dieselben geheim zu halten. Das ängstliche Manöver stellte sich ihm vor Augen: die Philosophieprofessoren haben seine Schriften zu Hause und sehen sie an »wie das Galgenmännlein im Fläschchen oder wie der Magus das Teufelchen Asmodäus im Fläschchen und sagen: ›ich weiß, kommst du heraus, so holst du mich‹«. – Im Stillen weidet er sich an den Angstzuständen der Professoren, die jetzt nur noch auf ihre gemeinsame Rettung bedacht sind. »Ich möchte den Kriegskonseil der Herren behorchen, ihre Verlegenheit muss unbeschreiblich sein.« »Aber dies irae kommt!« So schreibt er den 9. Dezember 1849. Noch sechs Jahre später kann er sich ihre Furcht vor ihm nicht lebhaft genug ausmalen: »Ich glaube, dass sie alle den ganzen Tag an mich denken und herumschleichen wie der Abt zu St. Gallen – ›ihm wird’s vor den Augen bald gelb und bald grün, o guter Hans Bendix‹ usw. – und dass ich ihnen nachts noch im Traume vorkomme als Werwolf«.189

      Es gab übrigens nach seiner Meinung noch einen zweiten Fall einer solchen schändlichen Verschwörung zur Unterdrückung der Wahrheit. Wie sich die Philosophieprofessoren zu ihm, so haben sich die Physiker zu Goethe verhalten. Als er nun zur ersten Säkularfeier der Geburt des Dichters einen Beitrag in

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