Schopenhauer. Kuno Fischer
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Werfen wir einen Blick auf sein äußeres Leben, um nicht wieder darauf zurückzukommen. Mit Ausnahme einer viertägigen Rheinreise, die bis Koblenz ging (August 1835), hat er seinen Wohnort nicht mehr verlassen, denn eine gelegentliche Fahrt nach Mainz oder eine nach Aschaffenburg (um das pompejanische Haus zu sehen) zählten nicht als Reisen. Es gibt verschiedene Arten menschlicher Narrheiten, welche uns die deutschen Satiren des sechzehnten Jahrhunderts sehr anschaulich geschildert haben; es gibt auch verschiedene Arten von Teufeln, die bei unseren Narrheiten die Hand im Spiel haben. Eine der modernsten Teufelarten ist nach Schopenhauers treffender Benennung »der Reiseteufel«. Dieser hat ihn während seiner letzten fünfundzwanzig Lebensjahre nicht mehr heimgesucht. Mit den Wanderjahren war es für immer zu Ende.
Erst als er zweiundfünfzig geworden war (1840), schaffte er sich eigenes Mobiliar an und begann sich häuslich einzurichten bis auf die Mahlzeiten, die er stets im Gasthaus nahm; er wohnte Parterre, um im Fall einer Feuersbrunst sich leichter retten zu können. Während der letzten siebzehn Lebensjahre (1843 – 1860) hatte er seine Wohnung am rechten Mainufer (»Schöne Aussicht«), dem deutschen Ordenshaus in Sachsenhausen gegenüber, wo ein halbes Jahrtausend früher als Kustos und Priester der Verfasser der deutschen Theologie gewohnt haben sollte. Dieses Gegenüber tat ihm wohl, denn er sagte gern: »Buddha, der Frankforter und Ich«. Er zog den »Frankforter« selbst dem Meister Eckart vor, den er übrigens erst spät kennen gelernt hat. Das deutsche Herrenhaus nannte er, weil es einst den Verfasser der deutschen Theologie beherbergt hatte, »die heiligen Hallen«.
Sein Zimmer wusste er sich allmählich so auszuschmücken, dass sein Blick überall auf Gegenstände traf, die seine Gesinnungsart und Lehre verkündeten. Unter den tierischen Willenserscheinungen waren ihm die interessantesten und liebenswürdigsten, ohne welche das Menschenleben in seinen Augen viel von seinem Reiz und Wert eingebüßt haben würde, die Hunde, die treuen und klugen Freunde des Menschen, ganz besonders die Pudel. Rings an den Wänden sah man eine Galerie von Hunden unter Glas und Rahmen, sechzehn an der Zahl, als er zuletzt noch aus München das Bild des berühmten Mentor erhalten, der ein Menschenleben gerettet und die Medaille verdient hatte. Der einzige ihm unentbehrliche Stubengenosse war der Pudel, der auf einem Bärenfell zu seinen Füßen lag; als der schöne große weiße an Altersschwäche gestorben war, kam ein brauner an seine Stelle171; der Pudel hieß »Âtma« (Weltseele), als der lebendige Ausdruck der Lehre vom Brahm nach dem Oupnek’hat, welches aufgeschlagen auf dem Tisch lag. – An der Wand hingen die Bildnisse von Descartes und Kant, der beiden ihm verehrungswürdigsten Philosophen der neuen Zeit, auch das von Matthias Claudius wegen eines pessimistischen Aufsatzes, der ihm teuer war. – Er konnte nicht oft und nachdrücklich genug wiederholen, dass das letzte Jahrhundert zwei wahre und echte Genies erzeugt habe: Kant und Goethe. Goethes Ölbild hing über seinem Sofa, Kants Büste von Rauch stand auf seinem Schreibpult; er hatte sie bei Rauch bestellen lassen mit der ausdrücklichen Hervorhebung, dass sie »für den wahren und echten Thronerben Kants« bestimmt sei.
Es fehlte noch ein Schmuck, der höchste: das Bild des Buddha! Endlich kam die Statuette an, in Paris gekauft, in Tibet gegossen, von Bronze, schwarz lackiert; sie wurde von diesem Überzug befreit, auf eine Marmorkonsole gestellt, und hier thronte nun in der Ecke des Zimmers, glänzend wie Gold, der allerherrlichst Vollendete, »orthodox dargestellt mit dem berühmten sanften Lächeln«. Seit dem 30. Oktober 1851 stand die Büste Kants auf dem Schreibpult, seit dem 13. Mai 1856 die Statuette Buddhas auf der Konsole in der Ecke des Zimmers, welches nunmehr auch den Anspruch hatte, »die heiligen Hallen« zu heißen. Es gereichte dem Philosophen zu inniglicher Befriedigung, dass sein Buddha hoffentlich tibetanischen und nicht chinesischen Ursprungs war wie ein anderer, im Besitz eines reichen Engländers befindlicher, mit dem er den seinigen sorgfältig verglich. Aus Tibet, dem Reich des Lamaismus! Wenn er seinen Pudel »Âtma« rief, vergegenwärtigte sich ihm der Pantheismus und das Oupnek’hat; wenn er das tibetanische Götzenbild anblickte, lächelte ihm sanft der Atheismus und Pessimismus entgegen.172
In allem Übrigen war, dem Vorbild Kants gemäß, sein Lebenslauf nach Gesundheits- und Arbeitszwecken genau geregelt, und ein Tag ging wie der andere.
II. Die handschriftlichen Bücher
Seit seiner ersten italienischen Reise, die er im September 1818 antrat, pflegte Schopenhauer nach den jeweiligen Bedürfnissen und Antrieben der Gegenwart Aufzeichnungen zu machen, die er in der Form handschriftlicher Bücher von verschiedenen Namen, Umfang und Inhalt bis an sein Ende fortgeführt hat. Da wurden Erlebnisse, Selbstbetrachtungen, Ideen, philosophische, zur Aufnahme in die Werke bestimmte Materien niedergeschrieben, sodass in diesen Büchern gleichsam die »Vorratskammern« für neue Auflagen und Schriften angelegt waren.
Die erste dieser Sammlungen, im September 1818 angelegt, hieß das »Reisebuch«; in den Anfang der Berliner Zeit gehören der »Foliant« (Januar 1821) und »Εἰς ἑαυτόν«, jene Selbstbetrachtungen, die Schopenhauer nicht bloß in zwei späteren Sammelbüchern, den »Cogitata« und dem »Cholerabuch«, sondern auch in dem Handexemplar eines seiner Werke zitiert hat, im Hinblick auf Stellen, die in eine neue Auflage der »Parerga« aufgenommen werden sollten.
Aus Anlass der zweiten italienischen Reise im Mai 1822 entstand die »Brieftasche« und während des letzten Aufenthaltes in Dresden der »Quartant« (November 1824). Unter dem Eindruck seines vieljährigen und vielfältigen Missgeschicks nannte er das im März 1828 angelegte Buch »Adversaria«. Das Motto hieß: »Vitam impendere vero«. Im Februar 1830 begann er die »Cogitata« mit demselben Motto. Hier hat er jenen Warnungstraum erzählt, der ihn bewog, Berlin zu verlassen. Die »Adversaria« und »Cogitata« fallen in das Ende der Berliner Zeit.
Den 6. September 1831 begann er das »Cholerabuch«, so genannt, weil »geschrieben auf der Flucht vor der Cholera«. Ein Jahr später (im September 1832) wurden in Mannheim die »Pandektä« angelegt. Nach der Erneuerung seiner schriftstellerischen Tätigkeit wurden im April 1837 die »Spicilegia« (Ährenlese), sein neuntes Manuskriptbuch, nach Vollendung seines letzten Werks fünfzehn Jahre später (im April 1852) die »Senilia« angefangen, so genannt, weil sie in das Greisenalter des Philosophen gehören (1852 – 1860). Die Spicilegia und Senilia fallen recht eigentlich in die Frankfurter Periode.
III. Neue Schriften
1. Pläne
Schon zehn Jahre nach der Herausgabe des Hauptwerkes trug sich Schopenhauer mit dem Wunsch und Plan einer neuen zu vermehrenden Auflage, die in der Stille herangereift war; sie sollte den Manen des Vaters (»Piis patris manibus«) gewidmet sein, und er hat auf dieses Monument seiner kindlichen Liebe so viel künstlerische Sorgfalt verwendet, dass er die Dedikation dreimal umgeschrieben und erst in den Pandektä »einfach und kurz« festgestellt hat (1834).173
Auch die Vorrede zu der neuen im Plan befindlichen Auflage stand schon in den »Cogitata« (1833). Dann gedachte er die Vermehrungen in die Form »ergänzender Betrachtungen« zu fassen und in einem Supplementband dem Hauptwerke beizufügen. In den »Pandektä« findet sich der Entwurf zur Vorrede (1834).
Alle diese Pläne stießen auf die unüberwindlichen Hindernisse in dem beharrlichen Misserfolg des Hauptwerks. Wir kennen die Antwort, die ihm von Seiten der Verlagshandlung im November 1828 erteilt worden war. Als er jetzt nach sieben Jahren wieder anfragte, lautete die Antwort noch deutlicher und trostloser. Es sei in neuerer Zeit leider gar keine Nachfrage nach dem Werk gewesen; man könne ihm nicht verhehlen, dass man die Vorräte des Buchs, um wenigstens einigen Nutzen daraus zu ziehen, großenteils zu Makulatur habe machen lassen