Schopenhauer. Kuno Fischer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Schopenhauer - Kuno Fischer страница 29
Vierundzwanzig Semester hindurch hat Schopenhauer der Berliner Universität als Privatdozent der Philosophie dem Namen nach angehört, aber nur während eines einzigen Semesters gelesen. Im Frühjahr 1820 begann seine Lehrtätigkeit: er las »über die gesamte Philosophie oder die Lehre vom Wesen der Welt und vom menschlichen Geist«, sechsmal wöchentlich in der Stunde von 4 – 5 und schloss noch vor dem Ende des Semesters.155 In den beiden folgenden Semestern wurde dieselbe Vorlesung fünfstündig angekündigt, aber sie kam nicht zustande; ebenso ging es im Winter (1820/21) mit der zweistündigen Vorlesung über die Erkenntnislehre. Für das Sommersemester 1822 hatte er wieder die sechsstündige Vorlesung über die gesamte Philosophie angekündigt, aber nun fehlten nicht bloß die Zuhörer, sondern auch der Dozent, der seit dem 27. Mai 1822 auf Reisen war. Während der nächsten acht Semester (vom Winter 1822/23 bis Sommer 1826) fehlt sein Name in den Lektionsverzeichnissen. Während der folgenden acht Semester (vom Winter 1826/27 bis Winter 1831/32) hat er zwar Vorlesungen angezeigt, aber keine gehalten. Zu der Wintervorlesung 1826/27 hatten sich drei Mediziner gemeldet. Auf dem Anmeldungsbogen für die Wintervorlesung 1828/29 stehen fünf Namen: außer dem bekannten Hofrat Dorow ein Wechselmakler, ein Zahnarzt, ein Stallmeister und ein Hauptmann.156 Die angekündigte Stunde (12 – 1) war dieselbe, in welcher Hegel vor einer großen Zuhörerschaft las, die mit jedem Semester an Zahl und Eifer zunahm.
Warum er mit seiner Lehrtätigkeit ein so augenfälliges und selbstverschuldetes Fiasko gemacht hat, ist eine wohl aufzuwerfende Frage. Ich suche den Grund weder in der Wahl der Stunde noch in dem privaten Charakter der Vorlesung, am wenigsten in einem persönlichen Mangel an Lehrgabe, sondern hauptsächlich darin, dass er nicht über die herkömmlichen Fächer der Philosophie lesen, sondern sein eignes System vortragen wollte, soweit dasselbe ausgebildet und festgestellt war. Aus der Art der Ankündigung, wie aus den nachgelassenen Aufzeichnungen der Vorträge erhellt, dass er sein Werk zum Leitfaden derselben nahm. Nun aber war »Die Welt als Wille und Vorstellung« lange nicht so groß als ein Semester, wenn nämlich ein ganzes Semester hindurch fünf oder gar sechs Stunden wöchentlich darüber gelesen werden soll. Ich möchte glauben, dass Schopenhauer mit seinem Lehrstoff früher fertig war als das Semester, und dann für immer genug hatte. Das Missverhältnis zwischen dem Umfange seiner Lehre und dem eines akademischen Semesters auszugleichen, scheint er entweder nicht vermocht oder nicht gewollt zu haben. Warum sollte er es mit seiner mündlichen Lehre anders gehalten haben als mit seiner schriftlichen? Noch kurz vor seinem Tod hat er in dem Entwurf einer Vorrede zu einer Gesamtausgabe seiner Werke erklärt: »Ich habe stets nur dann geschrieben, wenn ich etwas zu sagen hatte. Wenn dieser Grundsatz allgemein würde, dürften die Literaturen sehr zusammenschrumpfen.« Nicht auch die Vorlesungen?157
2. Die Händel mit Beneke
Gleichzeitig mit oder unmittelbar nach ihm habilitierte sich der junge Philosoph Ed. Beneke, der nachmals durch seinen Standpunkt, seine Schriften und Schicksale die Aufmerksamkeit vieler erregt hat; er besuchte die Vorlesung seines zehn Jahre älteren Kollegen und schrieb über dessen Werk eine ausführliche Rezension in die jenaische Literaturzeitung, wobei er sich die tadelnswerte Freiheit nahm, in der Darstellung der Lehre Sätze, welche keineswegs der wörtliche Ausdruck des Verfassers waren, mit Anführungszeichen zu versehen.158 Dieser, der mit vollem Rechte auf seine eigene Ausdrucksweise das größte Gewicht legte und über ein solches Verfahren höchst entrüstet war, witterte, worin er ganz unrecht hatte, dahinter die bösen Absichten eines neidischen Nebenbuhlers und schrieb sogleich an Eichstädt, den Redakteur der Literaturzeitung, einen so groben und beleidigenden Brief, dass er denselben zurückerhielt. Der Verfasser der Rezension hieß darin »Ihr nobler Rezensentenjunge«. Nun ließ er auf eigene Kosten im Intelligenzblatt der Zeitung eine Gegenerklärung: »Notwendige Rüge erlogener Zitate« drucken, worin er das oben erwähnte Verfahren als »empörende Verfälschungen und verleumderische Lügen« bezeichnete (Februar 1821).
An eine Fälschung im schlimmen Sinne war nicht zu denken. Die Rezension war durchaus in dem ruhigen und anständigen Ton einer objektiven Besprechung gehalten. Gleich im Eingang wurde gesagt: »Das vorliegende Buch zeigt einen so großen philosophischen Scharfblick, einen solchen Reichtum geistvoller Gedanken, eine so seltene Gabe deutlicher und anschaulicher Darstellung; es enthält in der Widerlegung fremder und in der Aufstellung eigener Ansichten so viele helle und erhellende Bemerkungen über alle Teile der Philosophie, dass (Rez. muss auch diesen Panegyrikus elegisch schließen) wir die fast grenzenlosen, fast an Wahnsinn streifenden Verirrungen, zu welchen den Verfasser die folgerechte Durchführung weniger falscher Sätze geführt hat, nicht genug beklagen können.« Die Ästhetik wurde als der vorzüglichste Teil hervorgehoben, der einen großen Reichtum tiefer und geistreicher Bemerkungen über einzelne Gegenstände der Kunstlehre enthalte, Bemerkungen, welche der Beherzigung und des Studiums in ausgezeichnetem Maß würdig seien.
Die Rezension schloss mit einem gerechten Tadel, der die Person traf. Schopenhauer hatte von Fichtes Lehre als von »Windbeuteleien«, von der nachkantischen Philosophie als von Possenspielen geredet, die man über dem Grabe Kants aufführe. Beneke, obwohl er sich selbst im Gegensatze zu der angefeindeten Richtung fühlte, war über eine solche Art der Schmähung entrüstet und sagte mit vollem Recht: »Wir halten diese Sprache für eines Philosophen höchst unwürdig«.159
Wir können nicht umhin, hierbei zu bemerken, dass Fichte schon fünf Jahre tot war, bevor es Schopenhauer für gut fand, ihn öffentlich zu schmähen. Er hat es später mit Hegel genau ebenso gehalten. – Seine argwöhnischen Aufregungen grenzten allemal an Manie und waren unheilbar. Dass Beneke keineswegs der neidische Nebenbuhler und Streber war, für den er ihn hielt, hat er nie glauben wollen, auch nicht, als demselben kurze Zeit nach jenem Zwiste die venia legendi (auf Hegels Wunsch) durch den Minister Altenstein entzogen wurde; und noch dreißig Jahre später, als Beneke ein unglückliches und freiwilliges Ende genommen hatte, beharrte er bei seiner Meinung.
In einem Schriftchen, welches Rätze, ein Gymnasiallehrer in Zittau, verfasst und Beneke in jener Rezension mitbeurteilt hatte, wurde die Bedeutung der Ethik Schopenhauers hervorgehoben und in ihrem pessimistischen Charakter bekämpft. Noch sei wohl nirgends eine phantastische Heiligkeit so blendend, scharfsinnig und philosophisch dargestellt worden als in diesem Werk, das von allen wissenschaftlich Gebildeten studiert zu werden verdiene.160
Die erste Beurteilung war im »Hermes« erschienen, anonym, von der Hand des Philosophen Herbart in Königsberg, der sie auf den Wunsch des Verlegers geschrieben. Hier war Schopenhauer als ein ausgezeichneter, geistreicher Schriftsteller gewürdigt und mit Größen, wie Lichtenberg und Lessing, verglichen worden; unter den nachkantischen Philosophen sei Reinhold der erste, Fichte der tiefsinnigste, Schelling der umfassendste, Schopenhauer, der in diese Reihe gehöre, der klarste, gewandteste und geselligste, was an dieser Stelle so viel sagen wollte, als der geistreichste und unterhaltendste.
Seit dem Erscheinen des Werks waren im Lauf der ersten fünf Jahre diese drei Stimmen wohl die einzig bemerkenswerten, die sich darüber haben vernehmen lassen: Herbart, Rätze und Beneke; die beiden letzten waren Neulinge, von denen der erste unbekannt geblieben. Wären ihre Stimmen beachtet worden, so hätte die Begierde, ein Buch von so seltenen Eigenschaften kennen zu lernen, wohl in weitere Kreise dringen müssen. So aber blieb es fast ein Menschenalter hindurch so gut wie unbemerkt und ungelesen.
II. Die letzten Wanderjahre und die Rückkehr
1. Die zweite italienische Reise. München und Dresden
Ende Mai 1822 begab sich Schopenhauer wiederum auf Reisen und kehrte erst nach einer dreijährigen Abwesenheit im Mai 1825 zurück. Sein Weg ging diesmal durch die Schweiz nach Mailand und Venedig, er brachte den Winter in Florenz, das Frühjahr in Rom zu und war Mitte Mai 1823 schon auf der Rückreise in Trient; sein nächstes Aufenthaltsziel war München, wo er ein volles Jahr bis Ende Juni 1824 verweilte, nachdem er kurz vorher noch eine Badekur in Gastein durchgemacht hatte. Er hatte sich in München elend gefühlt, ohne allen geselligen