Schopenhauer. Kuno Fischer

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Schopenhauer - Kuno  Fischer Kleine philosophische Reihe

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ist, so sah er sich jetzt vor die Frage gestellt: woher der Leib und sein Dasein? Dass dieser als eine Gruppierung materieller Atome aufzufassen und lediglich mechanisch und chemisch zu erklären sei, diese scheinbar nächste Erklärungsart, die materialistische, ist ihm stets als die seichteste, vielmehr als gar keine erschienen, und er hat sie später, als sie in Flor stand, gern als »die Barbiergesellenphilosophie« bezeichnet.

      Die Frage musste sich ihm generalisieren. Die Leiber sind Körper und sie bilden einen Teil der Körperwelt, der Sinnenwelt, die durchgängig den Charakter der Erscheinung oder Vorstellung hat. Was liegt den Erscheinungen zugrunde? Was ist, kantisch zu reden, »das Ding an sich«? das wahrhaft Reale? Diese Frage fällt zusammen mit dem Grundthema aller Metaphysik, mit dem Rätsel des Daseins: sie enthält das Problem, welches Kant in seiner Tiefe erfasst und richtiggestellt, aber nicht gelöst, nicht zu Ende gedacht habe, auch keiner nach ihm, ausgenommen Schopenhauer allein.

      Was in uns dem Intellekt zugrunde liegt, denselben macht, hervortreibt und steigert, ist der Wille: dieser Primat des Willens in uns ist die unmittelbarste und gewisseste aller Tatsachen; der Intellekt ist die Funktion des Gehirns und die Frucht des Willens. Wenn aber unsere Erkenntnis ein organisches Produkt ist, welches im Willen wurzelt, so leuchtet mit zwingender Notwendigkeit ein: dass der Wille nicht bloß die Erkenntnis, sondern auch das Erkenntnisorgan hervorbringt, dass er nicht bloß motivierend, sondern auch organisierend verfährt, was er, wie sich von selbst versteht, nicht als Willkür oder mit Überlegung, sondern nur als blinder oder bewusstloser Wille vollbringen und leisten kann. Unser Leib ist demnach eine Willenserscheinung oder, wie Schopenhauer sich ausdrückt, eine »Willensobjektivation«; der Leib ist das unmittelbare, der Intellekt das mittelbare (nämlich durch die Organisation vermittelte und bedingte) Willensprodukt. Der Wille zu leben, auf diese bestimmte Art, unter diesen gewissen Bedingungen zu leben und leben zu müssen: dieser Wille ist es, der die Organe gestaltet, den Lebensbedingungen anpasst, verändert und durch Abstammung (Vererbung) und Anpassung neue Lebensformen oder Arten hervorruft, wie der französische Naturforscher de la Marck in seiner »Zoologie philosophique« (1809) und fünfzig Jahre später Charles Darwin in seinem epochemachenden Werk: »Von der natürlichen Entstehung der Arten« dargetan haben. La Marck hat auf die Ausbildung der Lehre Schopenhauers einen bemerkenswerten Einfluss ausgeübt, wogegen er Darwins Werk, welches er kurz vor seinem Tod las, nicht zu würdigen gewusst hat. (Er hat es wohl nur obenhin gelesen oder aus Berichten in den Times kennen gelernt, da er »platten Empirismus« und eine bloße Variante der Lehre La Marcks darin erblickte.)

      4. Wenn nun in jeder Erscheinung sich eine bestimmte Willensart darstellt oder objektiviert, so enthält jede ihr eigenes Thema, ihre Wesenseigentümlichkeit, ihr charakteristisches Was (τό τί ἐστι): dieses in reiner begierdeloser Anschauung vorzustellen und abzubilden, ist die Sache des Genies, der Kunst und des Künstlers. Die Wesenseigentümlichkeit der Erscheinung als Gegenstand der künstlerischen Anschauung nennt Schopenhauer »die platonische Idee«. Hier greift die platonische Grundansicht, die zweite jener beiden oben erwähnten Grundüberzeugungen, in seine Lehre ein: auf der idealistischen beruht seine Erkenntnislehre, auf der platonischen seine Ästhetik und Kunstlehre.

      5. Aus der sekundären Beschaffenheit des Intellekts und der primären des Willens ergibt sich nun diejenige Folgerung, welche das System erst zu einem Ganzen macht und zusammenschließt. Wenn der Wille unabhängig ist vom Intellekt, so ist er auch unabhängig von Zeit, Raum und Kausalität, als welche die Formen des Intellekts sind; so ist er auch unabhängig von aller Vielheit und Mannigfaltigkeit, als welche nur in Zeit und Raum sein können: demnach hat der Wille, der allen Erscheinungen zugrunde liegt, dieselben trägt und bewirkt, den Charakter der All-Einheit. Was unser eigenstes innerstes Selbst ausmacht, ist auch das innerste Selbst in jeder anderen Erscheinung, ist die alles durchdringende Urkraft, das Wesen der Welt, das All-Eine, »Ἕν ϰαὶ πᾶν«. Jetzt heißt das Thema: »Die Welt als Wille«. Die Ausführung desselben ist nicht Erscheinungs- und Erkenntnislehre, sondern Wesens- oder Prinzipienlehre, d. h. Metaphysik.

      6. Die Erkenntnis aber, dass wir nicht, wie es den Anschein hat, getrennte Individuen, deren jedes für sich besteht, sondern in Wahrheit ein einziges Wesen sind, bricht den Einzelwillen, den Egoismus, die Selbstsucht, mit einem Worte die Bejahung des Willens zum Leben, und hat die Verneinung desselben zu ihrer Folge: die Selbstverleugnung, die völlige Weltentsagung, mit einem Worte diejenige Umwandlung des Charakters, welche das Wesen aller echten Moral und Religion ausmacht. Erst dadurch kommt das Heil und die Heiligkeit in die Welt. Vorher herrschen in ihr Unheil und Übel. Hier ist die Stelle, welche in der Lehre Schopenhauers den Pessimismus begründet. Die Erkenntnis des Guten gründet sich auf die des Wahren; die Ethik auf die Metaphysik.

      7. Die pantheistische Lehre von dem All-Einen und dessen Entfaltung in der Welt und dem Stufengang der Dinge ist uralten Stammes: es ist die altindische Lehre vom Brahma (Brahm) als dem Ursein, welches identisch ist mit der Weltseele (Âtman) und unserem eigenen innersten Wesen. In dieser Lehre besteht die Religionsphilosophie des Brahmanismus, die Vedântaphilosophie, enthalten in den Upanischaden, den theosophischen Abhandlungen in den vier Teilen des Veda: die Einheitslehre ist ihr Kern und Geheimnis, der auserlesenste Inhalt der Upanischaden. Als solcher findet sich die Einheitslehre dargestellt in dem »Oupnek’hat«, welches ein persischer Fürst, der nach Indien gekommen war, um die heiligen Bücher kennen zu lernen, im Jahre 1640 unserer Zeitrechnung aus dem Sanskrit in seine Sprache übersetzen ließ. Aus dem Persischen hat der französische Sprach- und Altertumsforscher Anquetil du Perron, der Übersetzer des Zendavesta, jenes Werk ins Lateinische übertragen, in den unheilvollen Zeiten des Terrorismus, unter Entbehrungen aller Art, sich zum Trost und zur Erbauung. Die beiden Quartanten erschienen in den beiden ersten Jahren unseres Jahrhunderts.148

      Dieses Werk hat Schopenhauer, der schon in Weimar zum Studium des indischen Altertums angeregt war, in Dresden studiert, er ist tief davon ergriffen und in dem pantheistischen Charakter seiner Willenslehre bestärkt worden. Als er später in den Besitz des seltenen Werkes gelangt war, hat er es stets auf seinem Tische aufgeschlagen gehabt, täglich darin gelesen und oft gesagt, dass es sein Trost im Leben gewesen sei und im Sterben sein werde.

      8. Aus dem Brahmanismus und im Gegensatz zu ihm, unabhängig von aller vedischen Gelehrsamkeit und Philosophie, entsprang der Buddhismus, die Religion des Buddha, d. i. des Erweckten oder Wissenden, »des Allerherrlichst Vollendeten«, wie seine Gläubigen sagen: es ist der Glaube, dass in der Welt das Unheil herrsche und im Dasein wurzle, dass es eine Erlösung von der Qual des Daseins, von dem rastlosen Wechsel der Geburten und Wiedergeburten gebe, und zwar eine Erlösung für alle, dass dieselbe einzig und allein in der völligen Abwendung von der Welt, in der völligen Verneinung des Willens zum Leben, in der vollkommensten Selbstverleugnung mit allen ihren Tugenden bestehe, dass nur auf diesem Wege aus der Welt des Verlangens und der Gelüste in die des Nichts und der Stille, aus dem Sansara in das Nirwana gelangt werde. Der Stifter dieser Religion, nach der Legende ein Königssohn, in Wahrheit der Sprössling eines aristokratischen Geschlechts (Çakja), heißt als der Einsiedler dieses Geschlechts »Çakja muni«, als Büßer und Asket »Gautama«, als der Wissende und siegreich Vollendete »Buddha«. Aus seinen Schülern ist eine Gemeinde, aus dieser mit der Zeit eine Kirche, eine Hierarchie, eine Weltreligion, die der ostasiatischen Völker geworden, die heute den dritten Teil der Menschheit zu ihren Bekennern zählt.

      In seiner pantheistischen Lehre von dem Einen, welches in allem lebt (Brahm = Âtman), ist Schopenhauer völlig einverstanden mit der Vedântaphilosophie und dem Oupnek’hat. In seiner pessimistischen, darum auch atheistischen Weltansicht, in dem Weg wie in dem Ziel der Erlösung stimmt er mit dem Buddhismus überein und fühlt sich in seiner Lehre wesentlich dadurch bestärkt, dass er die zahlreichste der Weltreligionen für sich hat.

      Der eine Grundgedanke aber, in welchem die Ideen Schopenhauers als in ihrem Zentrum zusammentreffen, lässt sich in kürzester Fassung so aussprechen: Das Thema der Welt ist »die Selbsterkenntnis des Willens«. Dieser Grundgedanke teilt sich in zwei Hälften: »Die Welt als Vorstellung« und »Die Welt als Wille«. Daher

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