Schopenhauer. Kuno Fischer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Schopenhauer - Kuno Fischer страница 28
Als er eines Tages auf dem Lido mit seiner Freundin spazieren ging, jagte plötzlich ein Reiter im Galopp an ihnen vorüber. »Ecco il poeta inglese!« rief die Freundin aus und konnte den Eindruck Byrons nicht mehr vergessen. Dadurch wurde die Eifersucht Schopenhauers dergestalt erregt, dass er die Bekanntschaft dieses großen und interessanten Dichters vermied, was er in späteren Jahren außerordentlich bereut hat. So hat er jene Begegnung einem jüngeren Freunde, dem Musiker R. v. Hornstein, erzählt und hinzugefügt, dass damals die drei größten Pessimisten der Welt zugleich in Italien gewesen seien: Byron, Leopardi und er selbst.151
III. Die Unglücksbotschaft
1. Kampf und Sieg
Schopenhauer hatte Venedig verlassen und war schon in Mailand angelangt, als ihn im Juni 1819 hier ein Brief seiner Schwester mit einer schweren Unglücksbotschaft ereilte. Das Danziger Handlungshaus Ludwig Abraham Muhl & Co., dem die Mutter fast das ganze Vermögen der Tochter und den Rest des ihrigen, Arthur über den dritten Teil des seinigen zu hohen Zinsen anvertraut hatten, war zusammengebrochen. Jetzt war es Zeit nach Hause zu eilen und zu retten, was zu retten war. Als er im August nach Weimar kam, wo er Goethe zum letzten Mal sah und besuchte, waren Mutter und Schwester in Danzig. Er hatte der letzteren gleich nach dem Empfang der Nachricht geantwortet, dass er bereit wäre, das Wenige, das ihm verblieben, mit den Seinigen zu teilen (Juni 1819).
Jenes angesehene Handlungshaus wollte sich mit den Gläubigern auseinandersetzen und eine Zahlung von 30 % leisten unter der Bedingung, dass alle ohne Ausnahme den Vergleich eingingen; im andern Fall stand zu fürchten, dass sich das Haus völlig bankrott erklärte und keiner etwas bekam, womit der ökonomische Ruin der Mutter und Schwester Schopenhauers besiegelt war.
Er selbst bot der Gefahr Trotz und weigerte sich, den Vergleich anzunehmen; er wollte für seine Person das Abkommen weder hindern noch daran teilnehmen, sondern den Gang der Dinge abwarten und seine drei Solawechsel, die eine Forderung von 8000 Talern (zu 6 % verzinslich) repräsentierten, in der Hand behalten, um damit vorläufig, wie man im Kartenspiele sagt, »zu passen«. Er rechnete, dass der Akkord ohne ihn zustande kommen und nach Wiederaufrichtung der Firma das Haus ihm die Schuld bezahlen werde und müsse. Die Rechnung erwies sich als richtig. Sobald der erwartete Zeitpunkt eingetreten war, half den Danziger Herren kein Bitten und Sträuben, keine Versprechungen und keine Einladungen; er präsentierte einen Wechsel nach dem andern und bestand auf seiner Forderung bei Heller und Pfennig, nicht ohne heimliche Angst, um so mehr mit offenem Hohn und Spott in einer Reihe sehr grober, witziger und amüsanter Briefe. »Sollten Sie«, schrieb er den 1. Mai 1821, »doch noch Zahlungsunfähigkeit vorschützen wollen, so werde ich Ihnen das Gegenteil beweisen durch die famose Schlussart, welche der große Kant in die Philosophie eingeführt, um damit die moralische Freiheit des Menschen zu beweisen, nämlich den Schluss vom Sollen aufs Können. Das heißt: zahlen Sie nicht gutwillig, so wird der Wechsel eingeklagt. Sie sehen, dass man wohl ein Philosoph sein kann, ohne deshalb ein Narr zu sein.«152
Er siegte vollständig. Binnen zehn Monaten wurden seine Wechsel mit 9400 Talern eingelöst. Freilich hat er einige Jahre später diese Summe großenteils wieder verloren, da er sie auf den Rat eines Freundes in mexikanischen Scheinwerten anlegte, ein Verlust, den er bis an das Ende seines Lebens gespürt hat. Doch ist es ihm gelungen, durch weise Sparsamkeit ohne alle Kargheit und durch kluge finanzielle Maßregeln seine Mittel so gut zu verwalten, dass sich im Lauf der Jahre seine Einkünfte verdoppelt haben.
2. Das Zerwürfnis der Geschwister
Eine sehr traurige Folge jenes ökonomischen Unglücks war ein Bruch mit der Schwester, der über zehn Jahre gewährt hat. Adele Schopenhauer stand zwischen der Mutter und dem Bruder, dem sie mit zärtlicher Liebe zugetan, auch in mancher Hinsicht geistesverwandt war, aber ihre Lebensanschauungen liefen einander zuwider. Dass man von ihm als einem Gottes- und Menschenverächter sprach, empfand sie höchst schmerzlich; sie teilte weder seine unpatriotische Gesinnung, denn sie liebte ihr Vaterland, noch weniger seinen Unglauben und seine Misanthropie, obwohl sie über manche Scheinwerte der kirchlichen Religion und des geselligen Weltverkehrs keineswegs verblendet war. Wenn sie sein Werk las und auf Stellen traf, die ihren Gefühlen und Ansichten völlig widerstritten, so legte sie das Buch weg, »aus Feigheit«, wie sie ihm schrieb, denn sie scheue den Schmerz der Verschiedenheit. Voller Freude teilte sie ihm mit, dass Goethe sein Buch lese und lobe, dass er es eifrig und gründlich lesen wolle, auch gewisse Stellen, die ihm besonders Wohlgefallen, angestrichen habe;153 neuerdings aber sei er unterbrochen und auf das Gebiet der Politik abgelenkt worden, denn die Ermordung Kotzebues habe ihn bis ins Innerste erschreckt und empört. Adele Schopenhauer war, wie schon erwähnt, im Goethe’schen Hause einheimisch und Ottilie von Goethe, die Tochter und Frau des Hauses, ihre geliebteste Freundin.
Nun drängte sich die Danziger Katastrophe zwischen die Geschwister. Adele bemühte sich vergeblich, den Bruder zur Nachgiebigkeit zu bewegen; er beharrte auf seinem Entschluss, und der Erfolg hat ihm Recht gegeben, aber ihre Bitten hatten zuletzt seinen Argwohn erregt und ihn glauben machen, dass man ihr aus Ländereien, die nicht zur Konkursmasse gehörten, größere Deckungen versprochen habe, wenn sie dazu helfe, den Vergleich zu Stande zu bringen; er hat diesen Verdacht nicht bloß gehegt, sondern auch merken lassen und dadurch die Gefühle der Schwester schwer verletzt. Ihr Brief vom 22. November 1819 schloss mit den Worten: »Ich bin so wund, gedrückt und habe so verschiedene schmerzliche Losreißungen mit mir selbst in der Stille abzumachen, dass ich nichts weiter ertragen kann. Argwohn hat noch nie zu dem gehört, was ich erduldet; auch die leiseste Andeutung tritt scheidend zwischen uns. Ich habe Deine Festigkeit, aber auch Deinen Stolz, das vergiss nicht.« Er muss in seiner Antwort von dem drohenden Vermögensverlust wohl in Ausdrücken der Verzweiflung gesprochen haben, denn sie schließt ihren nächsten Brief (den 9. Dezember 1819) mit den Worten: »Endlich bleibt noch zu bemerken, dass ich als Mann mich nicht einmal vom Stuhl, viel weniger von einer Brücke stürzte, weil ich kein Geld hätte. Adio, es gehe dir gut, besser als mir!«
Die Jugendgeschichte Schopenhauers endet mit seinen Familienzerwürfnissen: im Beginn ihres letzten Abschnittes war der Bruch mit der Mutter erfolgt, am Schluss desselben erfolgte der Bruch mit der Schwester. Das waren keine guten Vorzeichen für die nächste Lebensperiode, nach deren Ablauf es wieder zu einigen Annäherungen kam, die von ihm ausgingen.
Viertes Kapitel
Die Berliner Periode und die letzten Wanderjahre (1820 – 1831)
I. Die akademische Lehrtätigkeit
1. Die Habilitation und die Vorlesungen
Von der Unstetigkeit des ererbten Geldbesitzes zu augenscheinlich überzeugt, suchte Schopenhauer gleich nach seiner Heimkehr sich eine erwerbsfähige Laufbahn zu gründen, die natürlich keine andere als die der akademischen Lehrtätigkeit sein konnte. Über den Ort der Habilitation erbat er sich von Blumenbach in Göttingen und von Lichtenstein in Berlin briefliche Ratschläge und wählte, nachdem er sie empfangen hatte, Berlin, wo Hegel seit dem Herbst 1818 mit großem Erfolge lehrte, und durch Solgers kürzlich erfolgten Tod eine Professur der Philosophie erledigt war.
In einem an die philosophische Fakultät gerichteten Schreiben, das er in Dresden am letzten Tag des Jahres 1819 abgefasst hatte, bewarb er sich um die venia legendi; unter Böckhs Dekanat hat er vor versammelter Fakultät den 23. März 1820 seine Probevorlesung in deutscher Sprache über die vier Arten des Grundes gehalten und in dem nachfolgenden Kolloquium mit Hegel disputiert, wobei dieser (nach einer mündlichen und späteren Überlieferung Schopenhauers) sich eine Blöße gegeben haben soll, indem er die »animalischen« Funktionen und Ursachen von den »organischen« nicht richtig zu unterscheiden gewusst habe. In seiner lateinischen Rede (declamatio in laudem philosophiae