Schopenhauer. Kuno Fischer
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Das erste Buch gründet sich auf die Kritik der reinen Vernunft, die Schopenhauer, wie schon erwähnt, damals nur in der zweiten Auflage kannte. Hier aber hatte er eine Reihe Mängel und Fehler gefunden, welche dargelegt und berichtigt werden mussten, um die idealistische Grundansicht in ihrer vollen und folgerichtigen Geltung festzustellen. Dies geschah in seiner »Kritik der kantischen Philosophie«, die er als »Anhang« dem System hinzufügte. So entstand sein Hauptwerk.
Alle bisherigen Schriften greifen ineinander und bilden eine zusammenhängende Gruppe. Die Abhandlung »über die vierfache Wurzel des Satzes vom Grunde« dient zur Einleitung in das Ganze, das sich ohne dieselbe nicht verstehen lässt; die Schrift »über das Sehn und die Farben« gehört in das erste Kapitel des ersten Buchs und darf nicht so abgesondert genommen werden, wie der Verfasser später gewollt hat; der Anhang bezieht sich auf das erste Buch in seinem ganzen Umfange. So hat Schopenhauer selbst in seiner Vorrede (August 1818) den Zusammenhang jener Schriften bestimmt.
Die kantische Philosophie bezeichnet er in eben dieser Vorrede als die wichtigste Erscheinung seit zwei Jahrtausenden; ihre Wirkung auf den menschlichen Geist und dessen Weltansicht vergleicht er der Staroperation eines Blinden, sein Werk verhalte sich zu dem kantischen, wie die Starbrille zu der Staroperation. Um seine Lehre zu verstehen, müsse man seine beiden ersten Schriften gelesen, die Hauptwerke Kants studiert, womöglich auch »die Schule des göttlichen Plato« kennen gelernt und die Wohltaten der Vedas empfangen haben. Er vermute, dass die Sanskritliteratur sich zum neunzehnten Jahrhundert verhalten werde wie die griechische zum sechzehnten, eine Vorhersagung, welche in diesem Umfange sich weder erfüllt hat noch erfüllen konnte. Seine Vorrede schloss mit den Worten: »Das Leben ist kurz und die Wahrheit wirkt ferne und lebt lange: sagen wir die Wahrheit«.
Wo die Vorrede in die ironische Tonart fällt, indem sie den Lesern, die das Buch nicht zu verstehen imstande sind, andere Arten der Verwendung empfiehlt, da spürt man den Einfluss der Lektüre Tiecks und ist an den Traum des Diplomaten in »des Lebens Überfluss« erinnert.
Schon den 28. März 1818 hatte Schopenhauer dem Buchhändler Arnold Brockhaus, der kurz vorher von Altenburg nach Leipzig übergesiedelt war, den Verlag seines Werkes angetragen, das er als eine im höchsten Grade zusammenhängende Gedankenreihe kennzeichnete, die bisher noch nie in irgendeines Menschen Kopf gekommen sei, fern von dem hochtönenden, leeren, sinnlosen Wortschwall der neueren philosophischen Schule. Die Bedingungen, nach welchen das Buch in einem Umfang von vierzig Bogen in achthundert Exemplaren zur Michaelismesse erscheinen und der Verfasser einen Dukaten für den Bogen erhalten sollte, wurden ohne weiteres angenommen, da der Verleger von befreundeter Seite schon auf das Werk aufmerksam gemacht und günstig gestimmt war. Als aber in der Druckerei zu Altenburg Hemmungen eintraten, an denen der Verleger nicht die mindeste Schuld trug, wurde Schopenhauer nach seiner gewohnten Art von Ungeduld, Misstrauen und Argwohn dergestalt überwältigt, dass er die ehrenrührigsten Briefe an Brockhaus schrieb, bis dieser zuletzt allen Verkehr mit ihm abbrach und sich die weitere Korrespondenz verbat (24. September). Den letzten Druckbogen erhielt der Verfasser den 12. Dezember, als er nicht mehr in Dresden war. Das Werk erschien mit der Jahreszahl 1819.149
Noch ehe er die Vorrede geschrieben hatte, kündigte er Goethe in dem letzten seiner Briefe (den 23. Juni 1818) sein Werk an und nannte den Titel, den außer ihm selbst und dem Verleger noch kein Mensch wisse. »Nach mehr als vierjähriger Arbeit hier in Dresden habe ich das Tagewerk meiner Hände vollbracht und so fürs erste das Ächzen und das Krächzen abgetan.« »Mein Werk ist die Frucht nicht nur meines hiesigen Aufenthalts, sondern gewissermaßen meines Lebens, denn ich glaube nicht, dass ich je etwas Besseres oder Gehaltvolleres zustande bringen werde, und bin der Meinung, das Helvetius recht hat zu sagen, dass bis zum dreißigsten, höchstens fünfunddreißigsten Jahr im Menschen durch den Eindruck der Welt alle Gedanken erregt sind, deren er fähig ist, und alles, was er später liefert, immer nur die Entwicklung jener Gedanken ist.« »Ich kann nach unsern einstigen philosophischen Dialogen nicht umhin, mir viel Hoffnung auf Ihren Beifall zu machen, falls Sie noch die Geduld haben, sich in einen fremden Gedankengang hineinzulesen.« »Meinen Weg über Weimar zu nehmen«, schrieb er in demselben Brief, »verhindern bekannte Missverhältnisse, so gern ich auch meine Schwester sähe, die ein außerordentliches Mädchen geworden sein muss, wie ich nach ihren Briefen urteile und nach ausgeschnittenen Figuren mit poetischem Text, welche mir Graf Pückler mit Ekstase vorzeigte. Der ist übrigens ein geistreicher Mensch, und ich freue mich, ihn in Rom wiederzufinden.«
II. Die italienische Reise
1. Venedig und Rom
Seit dem Wechsel der Laufbahn waren elf Jahre verflossen. Jetzt war das Ziel erreicht und die Aufgabe seines Lebens in der Hauptsache gelöst. Seines Werkes froh, seines Ruhmes gewiss und einer längeren Erholung bedürftig, verließ Schopenhauer Dresden den 22. September 1818 und eilte in das gelobte Land Italien, für dessen Sprache und Literatur sein Interesse schon durch Fernow lebhaft erregt war. Bei seiner außerordentlichen Sprachbegabung ist es ihm während eines Aufenthaltes von nur acht Monaten gelungen, sich die italienische Sprache sogar in einigen ihrer Mundarten anzueignen.
Die Reise ging über Wien und Triest nach Venedig, von dort über Bologna und Florenz nach Rom, dann nach Neapel und Bajä, Pompeji und Herkulanum, und führte ihn bis Pästum, wo er »mit Ehrfurcht die Tempel erblickte, die vielleicht Plato betreten habe«. Im Laufe des Dezember kommt er nach Rom, wo er die nächsten Monate bleibt und wohin er im April 1819 zurückkehrt, nachdem er den März in Neapel zugebracht hat. Noch vor Ablauf des Jahres hat er in Rom durch Freund Quandt das erste gedruckte Exemplar seines Werks erhalten. Er fühlt sich in Rom nicht heimisch. Die moderne Stadt und die damaligen Künstlerkreise neuchristlicher und deutschtümelnder Art stießen ihn ab und waren gar nicht geneigt, den »Jupiter tonans« humoristisch gelten zu lassen wie die Dresdner Schöngeister. Bald zirkulierten schlimme Gerüchte über seine Impietät gegen die Mutter, seinen Unpatriotismus und seinen Unglauben.150
Dagegen war sein Aufenthalt in Venedig, wo er im Herbst 1818 und im Mai des folgenden Jahres verweilte, voll zauberischer Eindrücke; er hat in dieser märchenhaften Stadt einen Liebestraum genossen, der in seinem Leben wohl nicht der erste, auch nicht der letzte, aber vielleicht der glücklichste und erinnerungsreichste gewesen ist. Seine Schwester war von der weichen Stimmung überrascht, in welcher seine Briefe von dem geliebten Venedig und seinen dortigen Erlebnissen redeten, sie hatte ihm so leidenschaftliche Gefühle gar nicht zugetraut. Nach seiner Schilderung war die Geliebte reich und von Stand, auch bereit, ihm zu folgen, sodass einer Heirat nichts im Weg stand als sein Widerwille gegen die Ehe.
2. Lord Byron
Während Schopenhauer sich zweimal längere Zeit in Venedig aufhielt, lebte hier Lord Byron, der im Mai 1818 wiederum nach Venedig gekommen war und im Landhaus La Mira, dann im Palast Mocenigo mit venezianischen Frauen niederen Standes ein tolles Leben führte, bis er im April 1819 die Gräfin Teresa Guiccioli kennen lernte und die Liebe zu ihr dem wüsten Treiben ein Ende machte. Seine jüngsten Dichtungen waren »Childe Harold«, »Der Gefangene von Chillon« und »Manfred«.
Schopenhauer hatte beim Antritt seiner Reise von Goethe eine Empfehlungskarte an Byron erhalten. Man weiß, welche hohe Verehrung beide Dichter füreinander, welche schwärmerische Bewunderung Goethes Schwiegertochter Ottilie für Byron hegte; diese Bewunderung wurde von ihrer vertrautesten Freundin Adele Schopenhauer geteilt,