Schopenhauer. Kuno Fischer

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Schopenhauer - Kuno  Fischer Kleine philosophische Reihe

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als 57 Seiten; dagegen fand sich eine »Widerlegung des Idealismus«, die in der ersten Auflage fehlte. Jene Weglassung glich dem amputierten Bein, diese Hinzufügung dem hölzernen. Schopenhauer fand, dass die Kritik der reinen Vernunft in der zweiten Ausgabe ein sich selbst widersprechendes, verstümmeltes, verdorbenes Buch geworden sei und einen gewissermaßen unechten Text biete. Die neue Widerlegung des Idealismus sei »so grundschlecht, so offenbare Sophisterei, zum Teil sogar so konfuser Gallimathias, dass sie ihrer Stelle in dem unsterblichen Werke ganz unwürdig erscheine. Kants eigene Verschlimmbesserung habe das Missverstehen der Kritik, welches Anhänger und Gegner sich gegenseitig vorwerfen, zur Folge gehabt, denn wer könne verstehen, was widersprechende Elemente in sich tragen?

      Zweifache Furcht habe den Königsberger Philosophen zu einer solchen Verunstaltung seines Werks bewogen: einmal die Besorgnis für die eigene Originalität, da man seine Lehre in ihrer ursprünglichen Gestalt für Berkeley’schen Idealismus erklärt hatte, dann wegen der Zerstörung der rationalen Psychologie die Angst vor dem Nachfolger Friedrichs des Großen und seiner Regierung. So richtig Schopenhauers Urteil über die Verschiedenheit und den Wert der beiden Ausgaben ist, so unrichtig ist seine Ansicht von dem Charakter, der Altersschwäche und Untertanenfurcht Kants.

      Die volle Übereinstimmung seiner eigenen Lehre und ihrer idealistischen Grundansicht mit der kantischen Vernunftkritik in ihrer eigentlichen und wahren Gestalt musste jener zur Hebung gereichen. Deshalb lag ihm so viel daran, dass in der ersten Gesamtausgabe der Werke Kants die Kritik der reinen Vernunft vom Jahre 1781 als der Grundtext behandelt werde. Zu diesem Zwecke richtete er den 14. August 1837 an Karl Rosenkranz, den philosophischen Mitherausgeber, einen der angesehensten Schüler Hegels, ein ausführliches Schreiben, worin er die beiden Ausgaben verglich und mit allen den Gründen, die schon erörtert sind, die Bedeutung der ersten ans Licht stellte. Die Herausgeber haben seinen Rat befolgt und mit einigen kleinen, unmotivierten Auslassungen und Änderungen sein Schreiben abdrucken lassen.176

      Die schriftstellerischen Pläne des Philosophen blieben auf die Erneuerung seines Hauptwerks gerichtet, das der Vermehrung und Ergänzung, auch in manchen Punkten neuer Begründungen und Erläuterungen bedurfte. Der dazu angesammelte Ideenvorrat lag bereit; die jüngste Schrift »über den Willen in der Natur« war dem zweiten Buch, welches die Lehre von der »Objektivation des Willens« enthielt, zustatten gekommen. Nun würde es sich auf das beste gefügt haben, wenn er eine solche dem Hauptwerk dienende und doch von ihm unabhängige Schrift auch zu dem vierten Buch, welches die Lehre von der »Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben bei erreichter Selbsterkenntnis« d. h. die Ethik enthielt, hätte schreiben können.

      Da kam es ihm wie gerufen, dass eben jetzt zwei skandinavische Akademien Preisaufgaben verkündet hatten, welche die Grundfragen der Ethik betrafen und mit dem Thema seines vierten Buchs auf das genaueste zusammenhingen. Die königlich norwegische Sozietät der Wissenschaften zu Drontheim hatte gefragt: »Num liberum hominum arbitrium e sui ipsius conscientia demonstrari potest?« Deutsch nach Schopenhauer: »Lässt die Freiheit des menschlichen Willens sich aus dem Selbstbewusstsein beweisen?«

      Die königlich dänische Sozietät der Wissenschaften zu Kopenhagen hatte nach einer vorangeschickten, weitläufigen und unklaren Einleitung die Frage aufgestellt: »Philosophiae moralis fons et fundamentum utrum in idea moralitatis, quae immediate conscientia contineatur, et ceteris notionibus fundamentalibus, quae ex illa prodeunt, explicandis quaerenda sunt, an in alio cognoscendi principio?« Deutsch nach Schopenhauer: »Ist die Quelle und Grundlage der Moral zu suchen in einer unmittelbar im Bewusstsein (oder Gewissen) liegenden Idee der Moralität und in der Analyse der übrigen, aus dieser entspringenden moralischen Grundbegriffe, oder aber in einem andern Erkenntnisgrund?« Die Frage der norwegischen Akademie ging auf die Freiheit des Willens, die der dänischen auf die Grundlage der Moral. Die Verkündigung der ersten hatte in der Hallischen Literaturzeitung vom April 1837, die der zweiten in derselben Zeitschrift vom Mai 1838 gestanden. Dort hatte sie Schopenhauer gelesen.

      Die Abhandlung über die menschliche Willensfreiheit mit dem Motto: »La liberté est un mystère« wurde in Drontheim den 26. Januar 1839 mit dem ersten Preise gekrönt und der Verfasser zugleich zum Mitglied der königlich norwegischen Sozietät der Wissenschaften ernannt. Es war die erste öffentliche Anerkennung, die dem einundfünfzigjährigen Mann zuteil wurde. Die deutsche Zuschrift der Akademie beantwortete er in einem lateinischen Danksagungsschreiben (28. September 1839), worin er das Wort Petrarcas auf sich anwandte: »Si quis toto die currens pervenit ad vesperam, satis est«. Er hat dieses Wort, das Motto seiner Spicilegia, oft gebraucht und sich damit getröstet: »Wenn einer den ganzen Tag über läuft und gegen Abend ans Ziel gelangt, so ist es genug«.

      Als er die Abhandlung nach Drontheim gesandt hatte, ging er sogleich an die Bearbeitung des dänischen Themas. Sobald er die Nachricht von der Krönung der Schrift und seiner Erwählung zum Mitglied der Sozietät erhalten hatte (Februar 1839), schickte er die neue Abhandlung nach Kopenhagen, mit dem seinem Buch »über den Willen in der Natur« entlehnten Motto: »Moral predigen ist leicht, Moral begründen schwer«. Der verschlossene Brief mit seinem Namen sollte erst nach zuerkanntem Preise eröffnet werden. Hier stand zu lesen: dass für eine Arbeit von verwandtem Thema die königlich norwegische Sozietät der Wissenschaften zu Drontheim ihm die große Medaille und das Diplom ihrer Mitgliedschaft erteilt habe, dass er auf die Ehre der zweiten Art ein größeres Gewicht lege als auf die der ersten, und dass er die beiden Abhandlungen nunmehr unter dem gemeinsamen Titel herauszugeben wünsche: »Die beiden Grundprobleme der Ethik, in zwei gekrönten Preisschriften gelöst«.177

      Vergebens harrte er auf die Siegesbotschaft. Als er sich endlich nach dem Ausgang erkundigte, wurde ihm die Antwort erteilt, dass den 30. Januar 1840 das Urteil gefällt und seine Arbeit des Preises nicht für würdig erachtet worden sei: er habe den Zielpunkt der Aufgabe außer Acht gelassen und anhangsweise behandelt, was er als Hauptsache hätte behandeln solle: den Zusammenhang des Prinzips der Ethik mit dem der Metaphysik; er habe als Prinzip der Ethik das Mitleid aufgestellt, aber weder die zureichende Geltung desselben bewiesen, noch durch die Art seiner Darstellung den Preisrichtern genügt; endlich wolle man nicht verschweigen, dass man an den ungeziemenden Ausdrücken, in denen er von einigen der angesehensten Philosophen der Zeit geredet habe, gerechten und ernsten Anstoß genommen.

      Nunmehr veröffentlichte er beide Abhandlungen unter dem gemeinsamen Titel: »Die beiden Grundprobleme der Ethik, behandelt in zwei akademischen Preisschriften von Dr. Arthur Schopenhauer, Mitglied der königlich norwegischen Sozietät der Wissenschaften. I. Über die Freiheit des menschlichen Willens, gekrönt von der königlich norwegischen Sozietät der Wissenschaften zu Drontheim am 26. Januar 1839. II. Über das Fundament der Moral, nicht gekrönt von der königlich dänischen Sozietät der Wissenschaften zu Kopenhagen, den 30. Januar 1840.«178

      Das Urteil der dänischen Akademie hatte ihn auf das bitterste enttäuscht und in einen Aufruhr von Ärger versetzt, dem er nun in der »Vorrede« ungezügelten Lauf ließ. Dass seine klare und bündige Auslegung des Themas nicht als richtig befunden wurde, hatten die Preisrichter selbst durch die unsichere und etwas missverständliche Fassung desselben verschuldet. Unter den Gründen wider ihn war der triftigste, dass er Männer wie Fichte, Schelling und Hegel auf schmähsüchtige Art erwähnt hatte. Gerade diese Philosophen zählten damals unter den dänischen Akademikern Anhänger und Verehrer. Ich nenne nur den einen: Hans Christian Oersted, den Entdecker des Elektromagnetismus. Selbst wenn eine Abhandlung wegen ihres wissenschaftlichen Wertes den Preis verdient, kann eine Akademie ihr denselben unmöglich erteilen, wenn sie genötigt sein soll, Schmähungen, die sie verwirft, mitzukrönen. In einer solchen Lage sah sich die dänische Akademie dem Bewerber gegenüber und war mit diesem Grund wider ihn ganz in ihrem Recht.

      Aber gerade dieser Tadel mit der Hinweisung auf die »summi philosophi« hatte ihn am meisten erbost. Was nach seiner Ansicht die dänische Akademie an ihm gesündigt hatte, sollte nun Hegel entgelten,

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