Schopenhauer. Kuno Fischer
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II. Die erste Anhängerschaft und das letzte Werk
1. Drei Juristen
Allmählich kamen einige Anhänger, die aber in dem Jahrzehnt von 1840 – 1850 die Vierzahl nicht überschritten. Darunter waren drei Juristen: der geheime Justizrat Dorguth in Magdeburg, zehn Jahre älter als Schopenhauer, für dessen Lehre er in einer Reihe von Schriften (1843 – 1854) Propaganda zu machen bestrebt war; er hat »über die falsche Wurzel des Idealrealismus« an seinen Landsmann, den Professor Rosenkranz in Königsberg, ein Sendschreiben gerichtet, worin er Schopenhauer für »den ersten realen Denker der ganzen Literatengeschichte« erklärte; der zweite war der pfälzische Advokat Johann August Becker aus Alzey, der aus dem Studium der Schriften Schopenhauers das Interesse an der Philosophie wiedergewonnen hatte und mit dem Philosophen selbst im Juli 1844 in brieflichen und persönlichen Verkehr trat, er hat diesem stets als einer der gründlichsten Kenner seiner Lehre gegolten; Adam v. Doß war noch Rechtspraktikant, als er den Meister im April 1849 besuchte und durch den schwärmerischen Eifer, den er für seine Lehre an den Tag legte, ganz für sich gewann; er schrieb, um Leser zu werben, Briefe an Personen von Gewicht und Bedeutung, wie Dav. Fr. Strauß und Leopold Schefer, und tat, was er konnte, um Brüder in Schopenhauer zu stiften.
2. Julius Frauenstädt
Aber der eigentliche Jünger und Famulus, der zur wirksamen Ausübung der Propaganda die erforderliche philosophische Schulung und rührige Schreibfertigkeit besaß, fand sich in Julius Frauenstädt, einem Manne jüdischer Abkunft aus Bojanowo, der in den Jahren 1833 – 1836 Philosophie und Theologie in Berlin studiert hatte, ohne je den Namen Schopenhauer zu hören. Um einer psychologischen Arbeit willen las er das Hauptwerk, auf welches der Zufall ihn geführt. In seinen »Studien und Kritiken zur Theologie und Philosophie« schrieb er eine Seite über Schopenhauer; in einem Artikel, der in den Hallischen Jahrbüchern erschien und dem Philosophen Krause gewidmet war (1841), erwähnte er wiederum »den genialen tiefsinnigen Schopenhauer«, der unerkannt und verdunkelt in der Abgeschiedenheit lebe, während er an Geist und Wissen alle anderen überstrahle. Solche Worte waren Balsam für den Frankfurter Einsiedler, der immer lauschte und aufhorchte, ob sein Name genannt werde? wo und wie?
Damals hielt der wieder auferstandene Schelling in Berlin seine Vorlesungen über die Philosophie der Offenbarung und Mythologie, deren Inhalt kennen zu lernen alle Welt gespannt war. Aus seinem nachgeschriebenen Hefte gab Frauenstädt ohne alle Berechtigung eine Darstellung jenes Inhalts, welche Schelling für »das Produkt einer bettelhaften und schmutzigen Buchmacherei« erklärt hat.184
Als Hauslehrer in einer vornehmen russischen Familie185 kam Frauenstädt im Juli 1846 nach Frankfurt und machte nun Schopenhauers persönliche Bekanntschaft, der ihn auf Grund seiner literarischen Verdienste nach Gebühr empfing. Er konnte im Oktober zurückkehren und fünf Monate hindurch den Verkehr mit Schopenhauer pflegen; er ist im September 1847 wiedergekommen und bis in den Dezember geblieben. Es war das dritte- und letztemal. Dann verkehrten beide neun volle Jahre hindurch in ununterbrochenem Briefwechsel.
An diesem 25 Jahre jüngeren Manne gewann Schopenhauer einen Schüler und Jünger, der bewundernd zu ihm emporsah, einen wohl unterrichteten, seiner Werke kundigen Famulus, einen unermüdlichen Leser und Schreiber, mit einem Wort einen literarischen Hausgeist, der im Laufe der Jahre ihm so viel schätzenswerte Dienste erwiesen, dass er denselben zuletzt zum Erben des Hauses, d. h. seiner Werke und seines literarischen Nachlasses ernannt hat.
Man muss Frauenstädts »Memorabilien« und Schopenhauers Briefe an ihn lesen186, um jenem Schein einer düsteren Erhabenheit, worin sich der Einsiedler von Frankfurt so wohl gefiel, jener »solitude of kings«, die er mit Byron gemein haben wollte und auch zuweilen hatte, nicht zu trauen. Man muss hören, wie er den Famulus drängt, auf dem Lesezimmer in Berlin alle Bücher, Blätter und Zeitungen zu durchstöbern und zu prüfen, ob, wo und was über ihn zu lesen steht, mit welcher Ungeduld er diese Nachrichten erwartet, mit welcher Gier er sie verschlingt, welche Klagen und Seufzer er ausstößt, dass jener nicht emsig genug nachgeforscht hat, dass ihm wohl Dreiviertel der gedruckten Lobpreisungen verborgen bleibe; nun berechnet er aus der bekannten Größe die unbekannte, aus der gedruckten Bewunderung die ungedruckte und sieht seinen Ruhm ins Unermessliche wachsen. Man kann ihm nicht genug berichten, was alles die Leute über ihn sagen, schreiben und drucken. Jedes Blatt mit dem Preise seines Namens, heute gedruckt, morgen vergessen, wie es der Wind der Tagesliteratur treibt, ist ihm ein neues Pfand der Unsterblichkeit. Ist das der scharfblickende Denker, der alle Scheinwerte so gründlich durchschaut? das der ausgemachteste, Einsamkeit blickende Pessimist, der Menschenverächter, den jedes elende Menschlein beglückt, wenn es ihn lobt?
Hat aber jemand ihn getadelt oder nicht genug gelobt oder etwa nicht erwähnt oder gar von einem ihm widerwärtigen Philosophen mit Anerkennung gesprochen, da heißt es: »der Lump«, »der Schuft« usw. Wenn er die ihm verhassten Philosophen öffentlich schmäht, lässt er sich vorher von seinem juristischen Freund beraten, wie weit er gehen dürfe, ohne verklagt zu werden. In seinen Briefen schimpft er nach Herzenslust. Wehe dem Famulus, wenn er einmal die Lehre und Werke des Meisters nicht kräftig genug gepriesen, wenn er sie ungenau, inkorrekt, fehlerhaft dargestellt oder gar zu bekritteln den Versuch gemacht, wenn er die verhassten Gegner nicht abschätzig genug verurteilt und nicht mit vollen Backen in die Verdammung der Philosophieprofessoren eingestimmt hat, dann wird er auf das schärfste getadelt, abgekanzelt und heruntergemacht. Aber die Dienste dieses Mannes sind für ihn einzig in ihrer Art, unersetzlich, unentbehrlich. Alsbald besinnt und besänftigt sich Schopenhauer und schreibt als wohlaffektionierter König: »Unser lieber getreuer Dr. Frauenstädt!«
In seinen Memorabilien berichtet dieser den guten Empfang, den er bei Schopenhauer gefunden, und rühmt wiederholt, wie er ihn neben sich auf dem Sofa habe sitzen lassen. Als er aber eines Tages zu ungelegener Stunde eintrat, wurde er angefahren und bedeutet, dass man nicht nach Belieben bei ihm Audienz habe. Wenn er sich dann wieder der vielen Schriften, der Artikel und Artikelchen erinnert, die Frauenstädt schon über ihn geschrieben, wodurch er ihm Leser geworben und erworben hat, dann wird er gerührt und nennt ihn seinen Theophrast und Metrodorus, seinen »apostolus activus, militans, strenuus, acerrimus«. Die Behandlung wechselt zwischen Prügeln und Streicheln, er streichelt mit unsanfter Hand. Am Ende aber wurde er der flackernden und irrlichtelierenden Art seines Famulus so überdrüssig, dass er ihn wie Mephistopheles das Irrlicht behandelte:
Geh er nur gerad’ in Teufels Namen,
Sonst blas ich ihm sein Flackerleben aus!
Nun ging dem andern auch die Geduld aus, und er antwortete mit heftigen Vorwürfen, worauf Schopenhauer die Korrespondenz abbrach (1856), eigentlich für immer; denn der einzige Brief, den er noch drei Jahre später an ihn geschrieben hat, war nur eine Antwort (Dez. 1859). Er hat nicht