Schopenhauer. Kuno Fischer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Schopenhauer - Kuno Fischer страница 35
Wie vor fünf Jahren in der Einleitung seiner Schrift »Über den Willen in der Natur«, so verhallten auch die Schmähungen dieser Vorrede, obwohl ihre Keile verstärkt waren, völlig ungehört. Unterdessen stand die Hegel’sche Philosophie in vollster Blüte und übte in den »Hallischen Jahrbüchern«, die unter A. Ruge und Th. Echtermeyer eine Menge der tüchtigsten schriftstellerischen Kräfte ins Feld führten, einen herrschenden Einfluss in der Tagesliteratur. Man mochte diesen Einfluss bekämpfen und beklagen, aber denselben »verdummend« nennen konnte nur die blinde und ohnmächtige Wut.179
Es gehörte die damalige weite Verbreitung der philosophischen Interessen infolge des Einflusses der Hegel’schen Philosophie dazu, dass zwei gelehrte Gesellschaften im Norden auf den Gedanken kamen, rein philosophische Themata, wie die Fragen über die menschliche Willensfreiheit und die Grundlage der Moral, als Preisaufgaben zu verkünden. Schopenhauer selbst, über die Seltenheit solcher Aufgaben erstaunt, sagt in seiner Vorrede: er habe beide Fragen »pour la rareté du fait« beantwortet; die dänische Akademie hätte sich hüten sollen, eine so hohe, ernste, bedenkliche Frage zu stellen. »Denn hinterher, nachdem auf eine ernste Frage eine ernste Antwort eingegangen, ist es nicht mehr an der Zeit, sie zurückzunehmen. Und wenn einmal der steinerne Gast geladen worden, da ist bei seinem Eintritt selbst Don Juan zu sehr ein Gentleman, als dass er die Einladung verleugnen solle.«
Er verglich sich außerordentlich gern mit dem steinernen Gast. Als er zehn Jahre später einem Professor und Hegelianer von großem Ruf auf dessen höfliche, wohl etwas scheue Bitte seinen Lebensabriss schickte, berichtet er diese Begebenheit an Frauenstädt mit den Worten: »Tritt er im Briefe nicht zu mir ein wie ein athenischer Jüngling zum Minotaur? oder Leporello mit ›Du Bild von Erz und Steine, mir zittern die Gebeine‹?« Noch lieber verglich er sich mit dem Montblanc, wenn er in der Morgensonne strahlt; am liebsten mit der Sonne selbst.
Nicht bloß die Vorrede blieb unbeachtet, sondern das ganze Buch. In keiner Literaturzeitung wurde es besprochen oder auch nur erwähnt. Und es war, sachlich genommen, ein höchst interessantes, geistvolles und lehrreiches Werk.180
Sechstes Kapitel
Der zweite Abschnitt der Frankfurter Periode (1841 – 1850)
I. Neue Werke und Ausgaben
1. Die Erneuerung des Hauptwerks
Dieser vorletzte Abschnitt seines Lebens, in welchem die öffentliche Anerkennung zu dämmern beginnt, reicht von den »beiden Grundproblemen der Ethik« bis zu den »Parerga und Paralipomena«, dem letzten seiner Werke. Seit der Vollendung seines Hauptwerks war er unablässig mit den »Ergänzungen« desselben beschäftigt, die in einer vermehrten Auflage oder in einem besonderen Supplementband erscheinen sollten. Die Ausführung dieses Planes hatte er schon in den Jahren 1828 und 1835 eifrig, aber umsonst betrieben und als das Ziel seiner literarischen Bestrebungen im Auge behalten.181
Mit den Jahren hatten sich diese Ergänzungen vermehrt und waren im Mai 1843 endlich in einem Umfange von fünfzig Kapiteln zum Abschluss gekommen. Nunmehr konnte nur noch von einer neuen Auflage des Hauptwerks in zwei Bänden die Rede sein.
Aber die Verlagshandlung Brockhaus verhielt sich zu seinem Antrag ablehnend, da von der ersten Auflage noch genug Exemplare für die Nachfrage vorrätig seien und sie mit derselben »ein zu schlechtes Geschäft« gemacht habe (13. Mai 1843). Auch die Versicherung, dass sein neues Werk aus vierundzwanzigjährigem Nachdenken entstanden und das Beste sei, was er geschrieben habe, dass er nun endlich den Widerstand der stumpfen Welt zu besiegen hoffe, konnte ihre Bedenken nicht wegräumen. Endlich entschloss sie sich, eine neue Auflage des ganzen Werks zu veranstalten, den ersten Band in 500, den zweiten in 750 Exemplaren drucken zu lassen, ohne Kosten und ohne Honorar für den Verfasser. Damit war sein Hauptziel erreicht. »Sie haben mir«, schrieb er den 14. Juni, »eine unerwartete große Freude gemacht, wie ich aufrichtig gestehe; aber eben so aufrichtig versichere ich Sie meiner festen Überzeugung, dass Sie durch Übernahme meines vervollständigten Werks ein gutes Geschäft machen, ja, dass einst der Tag kommen wird, wo Sie über Ihre Bedenklichkeit, die Druckkosten daran zu wenden, herzlich lachen werden.«
»Nicht den Zeitgenossen, nicht den Landsgenossen, – der Menschheit übergebe ich mein nunmehr vollendetes Werk.« So begann die im Februar 1844 geschriebene Vorrede, die sich alsbald in neue Schmähungen wider die Gegenwart und die nachkantischen Scheinphilosophien der drei berufenen Sophisten ergoss, unter denen Hegel auf der Leiter der Beschimpfungen noch eine Sprosse, die letzte, aufzusteigen hatte: er hieß jetzt »dieser geistige Kaliban«. Wenn er dann später nur noch als »Unsinnsschmierer«, »plumper Scharlatan«, »Bierwirtsphysiognomie« bezeichnet wurde, so befand er sich schon auf den Sprossen abwärts und Schopenhauer auf dem Wege der Mäßigung. Es herrsche eben jetzt auf dem Gebiete der Philosophie ein Schreiben und Reden in äußerer Regsamkeit, deren versteckte Triebfedern lediglich egoistische Motive und die Rücksichten auf Staat und Kirche seien. Absichten, nicht Einsichten wären der Leitstern »dieser Tumultuanten«. Von Seiten der Regierung werde die Philosophie als Staatsmittel, von Seiten der Philosophen als Erwerbsmittel betrieben; eben darin bestehe der Unterschied zwischen ihm und den Philosophieprofessoren, dass diese von der Philosophie leben, er dagegen für sie.
Diese Tumultuanten? Auf dem Gebiete der Philosophie am Anfang der vierziger Jahre? Darunter können nur Männer gemeint sein wie D. Fr. Strauß, Ludw. Feuerbach, B. Bauer, Fr. Th. Vischer, Arnold Ruge u.a., die, wie man auch sonst über sie und ihre Werke urteilen möge, sämtlich um ihrer Reden und Schriften willen Amt, Stellung und Wirksamkeit einbüßten. Und diese sollen aus Rücksicht auf Staat und Kirche geredet und geschrieben haben? Der Mann, der diese Verleumdungen niederschrieb, war nicht bei Troste. Und was den »Kaliban« betrifft, fortan die typische Bezeichnung Hegels im Munde Schopenhauers, so sind die ersten Worte, welche Shakespeare dieses sein Monstrum ausstoßen lässt, boshafte und verleumderische Schimpfreden, für welche ihn Prospero züchtigt.
Der Ruhm, auch der verdiente, lässt sich nicht erschimpfen. Wenn das möglich wäre, so müsste ihn Schopenhauer durch seine drei letzten Werke in Überfülle gewonnen haben. Aber er blieb völlig unbeachtet, mehr als je. Niemand las den Willen in der Natur; es war »ein Raffael in der Bedientenstube«: so tröstete er sich selbst. Keine Literaturzeitung erwähnte auch nur die beiden Grundprobleme der Ethik, und als er in großer Spannung nach den Erfolgen seines nunmehr vollständigen Hauptwerks sich erkundigte, schrieb ihm der Verleger (den 14. August 1846): »Ich kann Ihnen zu meinem Bedauern nur sagen, dass ich damit ein schlechtes Geschäft gemacht habe, und die nähere Auseinandersetzung überlassen Sie mir wohl«.
2. Die neue Ausgabe der Dissertation
Eben waren die »Ergänzungen« vollendet, als Schopenhauer erfuhr, dass von seiner ersten Schrift kein Exemplar mehr vorhanden sei. Dieselbe war nicht etwa vergriffen, sondern die Rudolstädter Buchhandlung, die sie in Kommission hatte, war in Konkurs geraten und der ganze noch übrige Vorrat jener Doktordissertation eingestampft worden. Nun ließ er eine »zweite, sehr verbesserte und beträchtlich vermehrte Auflage« erscheinen und nahm die Verse des pythagoreischen Schwurs zu deren Motto, indem er