Die vierzig Tage der Lagune. Erik Nolmans

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Die vierzig Tage der Lagune - Erik Nolmans

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mit ihren dicken Beinchen und ihren Wurstfingerchen, wie sie ihr Kissen zwischen den Eiswürfeln verstaute, und als er vorwurfsvoll ihren Namen ins Dunkel der Küche gerufen habe, habe sie in seiner Stimme tiefe Verachtung gehört. Vaters Liebling sei die Schwester gewesen, die alles immer richtig gemacht habe und dabei natürlich auch noch toll ausgesehen habe.

      Sie streckt ihre Beine in den Männerhosen von sich, an den Füssen trägt sie ein paar Schuhe von Maurizio. Sie sind sicher drei Nummern zu gross, ich wundere mich, wie sie in den Dingern laufen kann. Die Hose reicht ihr nur knapp bis übers Knie, auf ihren Unterschenkeln bildet sich Hühnerhaut, ihr unsichtbares Fell stellt sich auf, sie hat ganz feine Härchen an den Beinen.

      Ich lege meine Hand auf ihre Haut, um sie etwas zu wärmen, sie dankt es mir, indem sie sich noch enger an mich schmiegt.

      «Du hast schöne Hände», sagt sie und streichelt mit ihren Fingern meinen Handrücken. Sie legt ihre Hand in meine und drückt sie fest, ich schliesse meine Finger um ihre Knöchel und spüre wie sie ihre Nägel in meine Handballen gräbt, sie drückt mich ganz fest, fast verzweifelt. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass sie weint, nicht nur ein paar stille Tränchen, sondern richtiggehend schluchzt. Ich löse meine Hand von ihrem Schenkel und nehme sie in die Arme, und sie sagt: «Vincent, ich will weg von hier». Dann merke ich, dass auch ich anfange zu weinen. Ich beisse die Zähne zusammen – das genügt, um das aufkommende Gefühl zu unterdrücken. Gott sei Dank, ich ziehe den sich lösenden Rotz meine Nase hinauf, ich hätte Lust ihn jetzt so richtig schön aggressiv auszuspucken, doch ich schlucke das Zeug hinunter, denn sie hat den Kopf zu mir gedreht und setzt ihre Lippen auf meine. Ich packe sie am Hinterkopf und drücke sie an mich, das Zittern nimmt ab. Abrupt löst sie sich dann und bedeckt mein Gesicht mit Küssen, nicht zart, sondern wild, ja ungestüm, sie schlägt ihre Zähne an meine Backenknochen, an meine Lippen.

      Dann senkt sie den Kopf und putzt ihre Tränen am Stoff meiner Jacke ab. Ich suche irgendwo in meinen Hosentaschen nach einem Taschentuch und finde ein Päckchen Tempo-Tücher, Relikt aus der Welt des Alltags. Es tut gut, das schön eingepackte Produkt zu sehen – die Vereinigten Papierwerke Nürnberg retten mich in diesem Augenblick, auch Anna hilft das vertraute Tüchlein, die Contenance wiederzuerlangen, indem es sie an die hunderten Male erinnert, an denen sie unnötigerweise geweint hat.

      Sie schnäuzt ins Taschentuch und streckt es mir dann hin. Ich weiss auch nicht, was ich damit soll, nass wie es ist stecke ich es in meine Brusttasche. Sie zieht die Beine an den Körper, macht sich ganz klein. Wie sie aufs Wasser hinausschaut, sehe ich sie von der Seite her lange an, will mir jede ihrer Züge merken, ihre Ohrläppchen, ihre hohen Wangenknochen, ihre langen Wimpern. Ein paar Minuten sitzen wir so da, anfangs atmet sie noch schnell und ruckartig, doch das Schluchzen verebbt nach einer Weile, und sie wird ruhig. Ich sehe ihren Mund sich öffnen, an der Seite bildet sich eine lange, dünne Falte.

      «Fische», sagt sie, «schau dort, Fische.»

      In der Tat sieht man im Wasser deutlich einen ganzen Schwarm der Tiere, riesige Exemplare.

      «Als Kind hatten wir ein Aquarium», sagt sie, «wir hatten Zierfische drin. Ich sass gern davor und schaute den Tieren zu. Es war irgendwie beruhigend.»

      «Ganz schön langweilig», sage ich und sie lacht: «Ja, so kann man das auch sehen.»

      «Wir hatten eine Katze», sage ich nach einer Weile, «einen mächtig grossen, stolzen Kater. Es war unumstritten der Herr unseres Viertels. Manchmal kam er zerkratzt und mit blutigen Wunden im Fell aus dem Kampf, aber immer mit erhobenem Haupt. Mit allen nahm er es auf, mit den Hunden der Nachbarn, mit dem fetten Kater, den die neuen Bewohner unserer Mietskaserne mitbrachten. Ich habe selten ein Lebewesen mit so viel Stil gesehen.»

      «Dein Vorbild ist ein Kater, das kann ja heiter für mich werden», frotzelt sie.

      «Na ja», werfe ich schmunzelnd ein, «aber vielleicht stimmt das mit dem Vorbild sogar. Alle andern in unserem Haus, mein Vater, mein Bruder, waren vorsichtig, ja geradezu feige. Nur dieses Tier hatte wirklich Mut.»

      «Was ist mit ihm geschehen?»

      «Er kam eines Tages einfach nicht mehr zurück. Ich habe mir als Knabe eingeredet, er sei weiter gezogen durch die Wälder in die Berge, um sich ein noch grösseres Reich zu unterwerfen. Doch wahrscheinlich wurde er einfach von einem Auto überfahren oder so.»

      «Hm», sagt sie und nach einer Weile: «Ich hatte auch mal ein Kätzchen. Ein ganz kleines, unglaublich süss. Nach ein paar Wochen habe ich es aber wieder weggegeben.»

      «Warum?»

      «Mark, mein damaliger Freud, hat mich dazu überredet. Die Tierhaare seien doch nicht gut für meine Allergien. Er denke dabei vor allem an meine Gesundheit, und so weiter. Heute ist mir klar, dass er das Tier ganz einfach nicht mochte und es aus dem Haus haben wollte.»

      «Nicht eben einfühlsam.»

      «Er war ein Arschloch.»

      «Warst du lange mit ihm zusammen?»

      «Vier Jahre.»

      «Du warst vier Jahre mit einem Arschloch zusammen?»

      «Er war nicht immer ein Arschloch.»

      Ich verkneife mir einen Kommentar und runzle nur die Stirn.

      Die Fische ziehen in immer grösseren Schwärmen an uns vorbei, ich wusste gar nicht, dass es in diesem trüben Gewässer derart viele Fische gibt.

      «Fische haben es gut, die sind frei, die können überall hin», sagt Anna.

      «Bis sie im Netz irgendeines Fischers landen», entgegne ich.

      «Diese fetten Viecher isst sicher niemand», sagt sie.

      «Noch schlimmer», entgegne ich, «gefangen zu werden, um dann weggeworfen zu werden.»

      Wir schauen den Tieren nach, die Richtung Torcello schwimmen, immer weiter in die Lagune hinein. Sie werden auf ihrem Weg auch unter den grauen Motorbooten durchschwimmen müssen, die in regelmässigen Abständen um unsere Insel patrouillieren. Der Aufwand scheint mir übertrieben, auf der ganzen Insel gibt es nur ein einziges Boot, ein Ruderboot, das vielleicht sieben oder acht Leuten Platz bietet, ein träges schweres Gefährt, bei dem man sich die Arme aus dem Leib rudern müsste, um zum Festland zu gelangen.

      «Komm, lass uns zurückgehen», sagt Anna, «mir wird langsam kalt.»

      Sie steht auf und putzt sich den Staub vom Hintern. Filiberto hat im Cheminée des grossen Saales Feuer gemacht, wir erkennen es am Rauch, der aus dem Kamin aufsteigt.

      Auf dem Weg zurück lege ich den Arm um Anna. Unsere Schritte gehen im Gleichtakt, auch unsere Körper passen ineinander, sie ist etwas kleiner als ich, gerade richtig, sodass ihre Schulter schön weich auf meinen Brustmuskeln ruht. Und wie wir so über die Schwelle der Eingangstüre schreiten, kann ich mir für einen Augenblick einbilden, wir wären ein Paar, das nach einem Sonntagsspaziergang nach Hause kommt, in freudiger Erwartung, sich aufs Sofa zu legen und etwas zu faulenzen. Vielleicht kommen ja noch Freunde zu Besuch auf ein Glas Wein, und wenn sie weg sind, räumen wir die Gläser nicht ab, nein, kaum fällt die Tür ins Schloss, stelle ich mich hinter sie und ziehe ihren Rock und ihren Slip aus, im Zurückgehen kippen wir um, landen auf dem Teppich und lieben uns, was solls, wenn die Gardinen offen sind, diesen Körper gönne ich auch meinen griesgrämigen Nachbarn, und dann können wir auf dem Boden einschlafen, den Teppich als Matratze, wie hier auf den grauen Matten mit dem hässlichen, verwaschenen

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