Trauma. Lutz Wittmann
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Ein hilfreiches Konzept, welches die gesellschaftliche Dimension massenhafter traumatischer Erfahrungen wie eines Genozids abbildet, ist das des sozialen Traumas (Hamburger, 2018). Hier werden die Auswirkungen für die Verarbeitungsmöglichkeiten einer individuellen traumatischen Erfahrung beschrieben, wenn TäterInnen und Opfer soziale Gruppen repräsentieren und die Viktimisierung von übergeordneten sozialen Strukturen sanktioniert wird (Laub & Auerhahn, 1989). Hamburger (2017, S. 82, eigene Übersetzung) erkennt »die Auslöschung der kulturellen Umgebung als Resonanzkörper« als entscheidenden Mechanismus. Einen etwas anderen Schwerpunkt setzt der bereits angeführte Ansatz des kontinuierlichen traumatischen Stresses (Straker et al., 1987). Hier fehlt es unter anderem an einem gesellschaftlich verankerten Referenzpunkt einer nicht-traumatischen Realität, welcher erlaubt, das Erlebte als ethisch zu verurteilende Abweichung von dieser einzuordnen.
Solche Konzepte erlauben es, die Aspekte der individuellen traumatischen Erfahrung, der Bedeutung gesellschaftlicher Verhältnisse für ihre Verarbeitung, und Prozesse der Gruppenidentität voneinander zu trennen. Entsprechend ist Brunner (2010, S. 10) beizupflichten, wenn er schlussfolgert:
»Ich glaube, dass wir dieser Problematik nur begegnen können, wenn wir uns vom Begriff des ›Kollektiven Traumas‹ verabschieden. Entweder wird ein solches ›kollektives Trauma‹ nämlich nur metaphorisch als Erschütterung der Kommunikationsstrukturen einer Gesellschaft oder als narzisstische Kränkung einer Großgruppe verstanden. Für ein solches Verständnis ist aber ein Rekurs auf die Traumatheorie selbst unnötig, sorgt eher für Verwirrung. Oder aber es werden damit wirklich die gesellschaftlichen Auswirkungen massenhafter Traumatisierungen nach massiven Gewaltereignissen zu fassen versucht, und dafür verdeckt der Begriff des ›kollektiven Traumas‹ in seiner Unterkomplexität mehr als er erhellt, denn traumatisiert im klinischen Sinne werden nur Einzelpersonen.«
Die Langzeitreaktion aus Perspektive der Zwei-Personen-Psychologie
Erlebnisse, die geeignet sind, traumatische Prozesse in Gang zu setzen, führen häufig zu nur vorübergehenden Erschütterungen im Sinne von Anpassungsleistungen (
Kap. 3). Bei einem Teil der Betroffenen persistieren oder entwickeln sich jedoch überdauernde Verschiebungen im psychischen Gleichgewicht. Die zentrale Frage ist also, welcher Aspekt verhindert ein nachträgliches Durcharbeiten, eine nachträgliche Integration der traumatischen Erfahrung? Horowitz (1976) nimmt an, dass dem Bedürfnis nach Integration der neuen Information die Vermeidung extremer belastender Emotionen entgegensteht, so dass es zu einem Oszillieren zwischen dem Wiedererleben und der Vermeidung traumatischer Erinnerungen kommt. Ganz ähnlich spricht Lorenzer (1965, S. 698) davon, »[…] daß in der traumatischen Situation »ein unerträgliches Erlebnis Wirklichkeit wird«, das Ich also in seiner Wahrnehmung genau in jene Lage gerät, die es aus Gründen der Beziehung zu den anderen intrapsychischen Instanzen unbedingt vermeiden muß«. Dies ist weitgehend intrapsychisch oder aus der Perspektive einer Ein-Personen-Psychologie argumentiert. Dies deckt sich mit der Auskunft eines Patienten, der seine Erzählungen, wenn sie sich einem katastrophalen Unfallereignis annäherten, jedes Mal mit Tränen in den Augen abbrach und auf Nachfrage erklärte, dass er nicht weiter auf seine Erfahrung eintreten wolle, da dies nicht gut für ihn sei. Hier darf aber nicht vergessen werden, dass sich unsere psychischen Strukturen in der Interaktion mit unserer sozialen Umwelt entwickeln. Denkt man diesen Ansatz zu Ende und legt der posttraumatischen Vermeidung eine konsequente Zwei-Personen-Psychologie (Gill, 1982) zu Grunde, dann ist die Vermeidung des Durcharbeitens und Integrierens der traumatischen Erfahrung im realen oder verinnerlichten Gegenüber und assoziierten Selbstzuständen begründet. Dabei ist die Wahrnehmung des realen Gegenübers natürlich immer von den verinnerlichten und verallgemeinerten Erfahrungen mit früheren wichtigen Bezugspersonen vermittelt. Als zentraler Mechanismus, welcher der Chronifizierung posttraumatischer Zustände zugrunde liegt, sei an dieser Stelle also die aus früheren sozialen Erfahrungen resultierende Notwendigkeit, das Erleben und Kommunizieren eines spezifischen kognitiv-emotionalen Zustands zu vermeiden, postuliert. Der interpersonelle Ursprung der Kriterien, anhand derer über den Vermeidungsbedarf entschieden wird, ist sicherlich oft nicht erinnerbar oder bewusstseinsfähig. So individuell wie die der Persönlichkeitsstruktur zugrundeliegenden Objektbeziehungsrepräsentanzen, so ideosynkratisch muss auch das Vorgehen bei der Rekonstruktion dieses Vermeidungsbedarfs ausfallen. Dieses Konzept hat weitreichende behandlungstechnische Implikationen ( Kap. 5).Zusammenfassung
Für ein psychoanalytisches Traumakonzept sind bis hierhin die folgenden Annahmen zentral:
• Trauma ist kein objektives Ereignis, sondern eine subjektive Erfahrung
• Die unmittelbare Reaktion ist gekennzeichnet durch Hilflosigkeit, Zusammenbruch der Abwehr und Regression.
• Zentraler Wirkort der traumatischen Erfahrung sind Persönlichkeitsstrukturen mit Funktionen wie Abwehr oder Repräsentanzen von Objektbeziehungen.
• Mit der Beschädigung der Welt der inneren guten Objekte geht eine Einschränkung der Symbolisierungsfähigkeit und Integrierbarkeit der traumatischen Erfahrung einher
• Trauma impliziert einen nicht abschließbaren sozialen Prozess.
• Aufrechterhaltender Faktor ist die aus einer Perspektive der Zwei-Personen-Psychologie zu verstehende Vermeidung. Diese verhindert das für Durcharbeiten und Integrieren der traumatischen Erfahrung notwendige Erleben