Trauma. Lutz Wittmann
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2.3.2 Frühes psychoanalytisches Traumaverständnis
Wie sich bereits aus den Abschnitt 1.1 einleitenden Zitaten angedeutet hat, lag der pathologische Kern des Traumas für Freud und Breuer (1895/1987) in einer Erinnerung, die sich der Abreaktion assoziierter Emotionen verschloss und deshalb nicht weiterverarbeitet werden konnte. Hierfür erkannten sie zwei mögliche Ursachen. Entweder entzog sich die Erinnerung mittels Verdrängung dem Bewusstsein, wohinter Eigenschaften des Ereignisses, soziale Umstände oder persönliche Motive stehen konnten. Oder das Ereignis erfolgte in einem hypnoid-dissoziativen Zustand und bleibt deshalb vom normalen Bewusstseinszustand abgespalten. In der Folge dieser Bedingungen kann die Erinnerungsspur nicht assoziativ verarbeitet werden. In Jenseits des Lustprinzips formuliert Freud (1920) sein Traumakonzept in psychoökonomischen Termini. Die mit traumatischen Ereignissen assoziierten großen Erregungsbeträge durchbrechen den Reizschutz des psychischen Apparates und zwingen ihm eine im schlimmsten Fall endlose Reihe von Wiederholungen im Versuch, sich der Energie durch Abreaktion oder Bindung zu erledigen, auf. Dieser Zustand ist eng mit dem Erleben von Hilflosigkeit und Angst verbunden. Friedrichs (1950) lehnt eine solch »physikalische Betrachtungsweise« bei »Annahme eines eindeutigen Kausalverhältnisses […] unter dem Aspekt des Energiehaushaltes ohne Rücksicht auf inhaltliche Bestimmungen und Sinnbezüge« (S. 819) ab. Für ihn gehört der »traumatische Charakter eines Erlebnisses […] der subjektiven Seite des Erlebens an; er wird nicht in seinem objektiven, ereignishaften Anteil begründet« (S. 822). Seither haben unzählige AutorInnen versucht, die Natur der traumatischen Erfahrung zu erfassen. An erster Stelle ist hier die seminale Darstellung der Entwicklung des psychoanalytischen Traumakonzepts von Bohleber (2000) anzuführen. Im Folgenden sollen zentrale Schnittmengen unterschiedlicher Beiträge herausgearbeitet werden.
2.3.3 Vom objektiven Ereignis zur subjektiven Erfahrung
Die obenstehende Übersicht über die psychoanalytische Begriffsinflation hat es bereits klar gemacht: die Definition des objektiven, einer Traumatisierung zugrundeliegenden Ereignisses gehört nicht zu den Stärken des psychoanalytischen Beitrags. Ohne zu verkennen, was – wenn auch erst seit nicht allzu langer Zeit – als Binsenwahrheit gelten kann, dass nämlich die Belastbarkeit der menschlichen Seele nicht im Unendlichen liegt4, zielt ihr Instrumentarium auf die subjektive Erlebensseite. Nach Nijdam und Wittmann (2015) ist es in der klinischen Situation ratsam, sich nicht von der überwältigend traumatischen Natur eines Ereignisses verführen zu lassen. Stattdessen bleibt es notwendig, mit PatientInnen zusammen eine detaillierte Analyse der Bedeutung des Ereignisses zu entwickeln. Nehmen wir das Ereignis einer Vergewaltigung: für eine Person mag das Unerträgliche der Erfahrung im eigentlichen Akt der aggressiv-sexuellen Überwältigung und der dabei empfundenen Hilflosigkeit, Unterwerfung und Demütigung oder Schmerzen liegen. Für eine andere Person mag die unterlassene Hilfe eines zufälligen Zeugen oder gar einer nahestehenden Person im Zentrum stehen. Die traumatisierende Eigenschaft erhält die Erfahrung also weniger aus dem Ereignis selbst als aus seiner Beziehung zu früheren Lebenserfahrungen, aktuellen Lebensthemen, oder persönlichen Werten. In diesem Sinne spricht Mitscherlich (1954, S. 565) von der Notwendigkeit, »das Trauma seiner falschen Objektivität zu entkleiden«. Der Verzicht auf die Inklusion normativer oder allgemein belastender Lebensereignisse erscheint dennoch dringend ratsam, wenn das psychoanalytische Traumakonzept nicht in Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit münden soll. Wie angeführt (Fonagy & Bateman, 2008) ergibt sich so die Möglichkeit, die Interaktion traumatischer Ereignisse mit sonstigen widrigen Lebensumständen und Erfahrungen zu betrachten und in ein traumatisches Prozessmodell zu integrieren.
2.3.4 Die unmittelbare Reaktion
Die innere Situation im traumatischen Ereignis wird einerseits mit Erfahrungen »der Überwältigung und eines Überschusses an Gewalt, Angst und Erregung, die seelisch nicht zu binden sind« (Bohleber, 2000, S. 828) oder »Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe« (Fischer & Riedesser, 2009, S. 84, Hervorhebung im Original) beschrieben. Zahlreiche psychoanalytische AutorInnen erkennen in diesen Reaktionen eine Möglichkeit, traumatische von anderen pathogenen Erlebnissen abzugrenzen (Baranger, Baranger & Mom, 1988; Hurvich, 2015; Stern, 1972). Bohleber (2000) schlägt vor, zu ihrer erklärenden Beschreibung am psychoökonomischen Modell festzuhalten. Metapsychologisch werden diese Reaktionen mit einer je nach AutorIn bis zum vollständigen Zusammenbruch reichenden Beeinträchtigung von Abwehrprozessen und weiteren Ich-Funktionen (z. B. Realitätsprüfung oder Handlungskontrolle) in Verbindung gebracht (Freud, 1967; Lorke & Ehlert, 1988; Varvin, 2000)5. Ein Versagen der entwicklungsstufengerechten Abwehrorganisation hat aus psychoanalytischer Perspektive zwangsläufig den Versuch einer Stabilisierung durch Regression auf frühere oder primitivere Abwehrformen zur Folge. So beschreiben Lorke und Ehlert (1988) einen reinfantilisierenden, regressiven Sog, welcher aus dem der Täter-Opfer-Dynamik inhärenten Macht-Ohnmachtsgefälle und der begleitenden überflutenden Angst resultiert. In der Täter-Opfer-Konstellation erkennen sie eine strukturelle Identität mit der infantilen Position. Eine Nebenwirkung dieses Notlösungsversuchs liegt dann darin, dass das Ich von zwei Seiten her unter Druck gerät: »einmal von »außen«, von unkontrollierbaren Reizen, die es völlig zu überschwemmen drohen, und zum anderen von »innen«, durch die Reaktivierung infantiler Ängste, die es nicht mehr zuverlässig von der Realität unterscheiden kann« (Lorke & Ehlert, 1988, S. 506).
2.3.5 Die Ebene der Persönlichkeitsstrukturen
Aus welcher Eigenschaft beziehen traumatische Ereignisse ihr besonderes pathogenes Potenzial? Bereits Lorenzer (1966, S. 490) betrachtete »eine strukturelle – und d. h. bleibende – Veränderung des psychischen Apparates […] unter dem Druck des Traumas« als entscheidendes Kriterium. Als von Traumatisierungen betroffene strukturelle Dimensionen werden unter anderem Abwehrorganisation und Objektbeziehungsrepräsentanzen angeführt. In Ergänzung des für die akute traumatische Phase beschriebenen Zusammenbruchs der Abwehr nehmen zahlreiche AutorInnen spezifische – typischerweise unreife – Abwehrmechanismen als kennzeichnend für Traumafolgestörungen an (z. B. Fernando, 2012; Grubrich-Simitis, 1979; Lorenzer, 1965). Ein weiterer zentraler Ansatzpunkt der strukturzersetzenden Wirkung traumatischer Ereignisse sind aus psychoanalytischer Perspektive die Niederschläge insbesondere früher interaktioneller Erfahrungen. Unter diesen Erfahrungen bilden sich unser Selbstkonzept, unsere inneren Arbeitsmodelle in Bezug auf andere Menschen und das, was wir von ihnen zu erwarten haben, sowie resultierende Reaktionstendenzen heraus. Naturgemäß kommt der Interaktionen mit unseren zentralen Bezugspersonen eine besondere Rolle in diesem Prozess der Prägung unserer Persönlichkeit und der psychischen Strukturen, auf denen diese beruht, zu. Zahlreiche TheoretikerInnen haben diese Verhältnisse mit spezifischen Modellen abzubilden versucht. So spricht Kernberg (z. B. Clarkin, Yeomans & Kernberg, 2006) von inneren Objektbeziehungen, in welchen er die Bausteine unserer psychologischen Struktur erkennt. Diese bestehen aus einer Selbst- und einer Objektrepräsentation sowie einem beide verbindenden Affekt.