Trauma. Lutz Wittmann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Trauma - Lutz Wittmann страница 7
Hierbei merkt Küchenhof in einer Fußnote an, dass sich die Psychoanalyse »von ihrem Alleinvertretungsanspruch in vielen psychiatrisch-psychologischen Bereichen verabschieden [muss], sie muß die Befunde der Nachbarwissenschaften von der Seele rezipieren und deutlicher sagen, was ihr spezifischer Beitrag sein kann, den andere nicht zu leisten vermögen.« Damit dieses Anliegen gelingen kann, sollen die im Folgenden anzuführenden psychoanalytischen Thesen systematisch und schulenübergreifend mit Ergebnissen der empirischen Forschung verbunden werden. Die weiteren Kapitel greifen dabei aus dem weiten Feld der Psychotraumatologie selektiv einige Themen heraus.
Zusammenfassung
Die Psychotraumatologie blickt auf eine bewegte Geschichte zurück, welche immer wieder von den furchtbaren Ereignissen des Weltgeschehens angetrieben wurde. Zu all diesen Phasen trugen psychoanalytisch orientierte WissenschaftlerInnen und KlinikerInnen entscheidende Fortschritte bei. Beispiele für aktuelle Konzepte der Psychotraumatologie mit psychodynamischen Wurzeln oder Vorläufern sind das kumulative Trauma, Typ-I-/Typ-II-Traumatisierungen, die komplexe posttraumatische Belastungsstörung, von traumatischen Erfahrungen zerstörte Überzeugungen (shattered assumptions), traumatische Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse und ihre Folgen für sekundäre Traumatisierungen, kontinuierlicher posttraumatischer Stress oder das Bindungskonzept. Aber auch aktuell diskutierte Wirkmechanismen traumatherapeutischer Interventionen wie therapeutisch begleitetes Durcharbeiten traumaspezifischer Erinnerungen (aktuelles Schlagwort: Exposition) und differenzierende Integration des aktuellen therapeutischen und Lebenskontexts (aktuelles Schlagwort: Kontextlernen) wurden bereits in den Anfängen psychoanalytischen Arbeitens vorweggenommen. In deutlichem Widerspruch hierzu steht eine weitreichende Isolierung psychodynamischer Beiträge innerhalb des heutigen Mainstreams der Psychotraumatologie.
Literatur zur vertiefenden Lektüre
Lehmacher, A. T. K. (2013). Trauma-Konzepte im historischen Wandel: Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der Posttraumatic-Stress Disorder in Deutschland (1980–1991) Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Hohen Medizinischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
Van der Kolk, B. (2007). The history of trauma in psychiatry. In M. J. Friedman, T. M. Keane & P. A. Resick (Eds.), Handbook of PTSD: science and practice (pp. 19-36). New York: Guilford Press.
Venzlaff, U., Dulz, B., & Sachsse, U. (2009). Zur Geschichte der Psychotraumatologie. In U. Sachsse (Ed.), Traumazentrierte Psychotherapie: Theorie, Klinik und Praxis. Stuttgart: Schattauer.
Fragen zum weiteren Nachdenken
• Welche bewussten und unbewussten motivationalen Tendenzen könnten sich hinter dem von Van der Kolk (2007) beschriebenen im psychiatriegeschichtlichen Verlauf schwankenden Interesse am Traumakonzept annehmen lassen?
• Welche Faktoren tragen zur Marginalisierung des psychoanalytischen Beitrags zur Psychotraumatologie bei?
• Worin könnte die aktuelle Bedeutung des psychoanalytischen Beitrags zur Psychotraumatologie liegen?
1 Ein besonders schönes Beispiel hierfür findet sich natürlich in der Eye Movement and Desensitization Therapy (EMDR). Welch spektakuläre Erklärungsansätze für die faszinierende Wirkung der sakkadischen Augenbewegungen wurden angeführt, von einer besseren Verbindung der Hirnhemisphären (Schnabel & Schneider, 2012) bis hin zu einer Parallele der Augenbewegungen in EMDR und REM-Schlaf (Stickgold, 2002). Heute wissen wir, dass das Fixieren eines Punktes an der Wand während der Exposition genauso effektiv ist und nehmen bis auf weiteres bifokale Aufmerksamkeit als Wirkmechanismus an (Sack et al., 2016).
2 Ich war nicht wenig beeindruckt, als mir das erste Mal ein im Auftrag der Schweizer Invalidenversicherung erstelltes und auf dedektivistischen Methoden (vgl. Brotschi, 2018) basierendes Gutachten zu einem meiner Patienten vorgelegt wurde. Der Patient – ein schwersttraumatisierter Mensch mit psychoseähnlichen Symptomen des Wiedererlebens, über dessen weitgehende Arbeitsunfähigkeit kein Zweifel bestehen konnte – wurde hierbei fotografisch in allen möglichen Alltagssituationen erfasst; das Tragen von Einkaufstüten in Begleitung ihm nahestehender Personen wurde bspw. als Indiz seiner angeblichen Arbeitsfähigkeit angeführt.
3 Z. T. zitiert nach Lehmacher (2013) bzw. Van der Kolk (2007)
2 Traumatheorien
Einführung
In Kapitel 2 soll zunächst die zitierte Mahnung Küchenhoffs (2004), die Perspektive von Nachbardisziplinen zu berücksichtigen, ernstgenommen und ein Blick auf unterschiedliche Traumatheorien geworfen werden. Dem folgt eine Berichterstattung über das psychoanalytische Ringen um ein Traumakonzept, welche weder die manchmal geradezu humoristisch anmutenden begrifflichen Exzesse noch die außerordentlich fundierten, tief ins Wesen der traumatischen Erfahrungen reichenden Beiträge vernachlässigen möchte.
Lernziele
• Verständnis der Begrenztheit von am objektiven Ereignis ansetzenden Traumadefinitionen.
• Übersicht über mehre kognitiv-behaviorale Traumakonzepte.
• Kenntnis zentraler Merkmale psychodynamischer Traumatheorien.
• Vergleichende Betrachtung der unterschiedlichen Theoriegruppen.
2.1 Das traumatische Ereignis im DSM-5
In bewährter psychiatrischer Praktikabilität reduziert das DSM-5 (APA, 2013) das Trauma auf das objektivierbare traumatische Ereignis. Beispielhaft angeführt werden dafür kriegerische Ereignisse und Kriegsgefangenschaft, körperliche Angriffe, sexuelle Gewalt, Entführung, terroristische Anschläge, Folter, Katastrophen und schwere Verkehrsunfälle sowie plötzliche, katastrophale medizinische Vorfälle. Unterschieden werden zwei Arten der direkten Exposition, nämlich eigene Betroffenheit (bspw. selbst Opfer eines Gewaltverbrechens werden) und das Erleben eines solchen Ereignisses als Zeuge. Auf Seiten der indirekten Traumaexposition werden ebenfalls zwei Typen unterschieden. Einerseits Ereignisse wie der Erhalt einer Nachricht, dass eine nahestehende Person ein traumatisches Ereignis erlitten oder plötzlich und unerwartet das Leben verloren hat. Als zweite Variante wurde neu ins DSM-5 die wiederholte oder extreme Exposition zu aversiven Details traumatischer Ereignisse (z. B. bei Einsatzkräften, die Leichenteile einsammeln müssen) aufgenommen, wobei – sofern in professionellem Kontext erfolgt – auch die von elektronischen Medien vermittelte Exposition Berücksichtigung findet. Eine weitere Änderung gegenüber der Vorgängerversion DSM-IV zeigt sich im Wegfall des subjektiven Stressorkriteriums A2. Hiernach musste die unmittelbare Reaktion auf das Ereignis durch intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen charakterisiert sein.
2.2 Drei aktuelle Traumatheorien
Aktuelle Theorien außerhalb des psychoanalytischen Bereichs konzipieren die posttraumatische Belastungsstörung typischerweise als Gedächtnisstörung. Im Folgenden seien drei häufig zitierte Theorien angeführt. Die gewählte stark raffende Darstellung dient primär der Erarbeitung eines Kontrasts, um anschließend Spezifika des