Aelia, die Kämpferin. Marion Johanning

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Aelia, die Kämpferin - Marion Johanning

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Ruinen am Berghang. Doch weiter oben am Berg, unweit einer Quelle, schmiegte sich eine Hütte an den Waldrand. Niemand würde es wagen, hier, außerhalb der schützenden Stadmauern, noch zu leben, es sei denn, er war so alt, dass er den Tod nicht mehr fürchtete, oder selbst Barbar.

      Wala war beides, und deshalb hatte er keine Angst vor den Barbaren. Niemand würde sich die Mühe machen, einen alten Mann zu überfallen und ihm die wenigen Habseligkeiten zu rauben, die er besaß, meinte er, und es schien, als hätte er Recht.

      Er war auch verrückt genug, jetzt, in den ersten Tagen des März, ein Bad im eiskalten Quellwasser zu nehmen. Das steinerne Becken, das von der Quelle der Göttin gespeist wurde, musste vor langer Zeit, noch bevor der Tempel am Fuß des Berges erbaut worden war, errichtet worden sein.

      Aelia saß am Rand des kleinen Beckens und beobachtete, wie der alte Mann durch das Wasser watete. Die Tunika schlotterte um seinen knochigen Leib, er zitterte und hatte blaue Lippen, aber trotzdem durchquerte er das Becken mit einer Entschlossenheit, die eher zu einem jungen Mann gepasst hätte.

      Aelia fragte sich nicht zum ersten Mal, wie alt Wala war. Sie hatte die letzten Wintermonate mit ihm in seiner Hütte gelebt und das Leben einer Einsiedlerin geführt. Sie hatte seinen Geschichten zugehört und mit ihm das Wenige gegessen, das Woche für Woche aus dem Palast der Stadtwache gekommen war. Sie hatte gelernt, wie man sich im Wald zurechtfindet und Tierfallen aufstellt, wie man Tiere häutet, ausnimmt und zubereitet, wie man mit ein paar Äpfeln und etwas Hirse einen schmackhaften Brei zubereiten konnte und welche der Kräuter, die überall an Schnüren in Walas Hütte hingen, gegen nicht enden wollenden Winterhusten oder Übelkeit halfen. Wala war einmal Arzt gewesen, in seinem früheren Leben, wie er sagte, bei einer Einheit des Grenzheeres, die Tertinius angeführt hatte. Er war kein richtiger Arzt, keiner im römischen Sinne, sondern nur ein Heiler aus einem fränkischen Dorf jenseits des Rhenus, in dem er gelebt hatte, bevor er mit seinem Stamm während eines Hungerwinters den zugefrorenen Fluss überquert hatte und ins römische Reich eingedrungen war. In jenem härtesten Winter seit Menschengedenken hatte er zu den ersten Franken gehört, die Treveris überfallen und geplündert hatten, weil die Not sie dazu getrieben hatte, und war dann in römische Gefangenschaft geraten. Nachdem die Barbaren besiegt worden waren, hatte er Tertinius als Sklave gedient, zuerst als Truppenarzt, später als Freigelassener. Seitdem er in der Hütte lebte, hatte er dem Präfekten alles zugetragen, was in den Wäldern geschah, und ihn gewarnt, wenn sich dort etwas Verdächtiges regte – ein wichtiger Außenposten einer geschwächten Stadt, die sich von ihren Feinden bedrängt sah.

      Wala besaß das Vertrauen des Präfekten, nicht nur, weil er diesem schon so lange diente, sondern auch, weil er sowohl die fränkische als auch die römische Lebensweise kannte und aus der Klugheit beider Völker schöpfen konnte. Das war etwas, das Männer wie Tertinius zu schätzen wussten.

      Wala war klug. Er hatte die Falten von Jahrzehnten im Gesicht und die Weisheit von Jahrhunderten in den Augen, und er glaubte fest an die erneuernde Kraft eines Bades im Quellwasser der Göttin.

      Dort, wo die heilige Quelle aus dem Grund des Felsens austrat und das Becken speiste, hielt er inne, wandte sich triumphierend zu Aelia um und lachte. »Siehst du! Es geht! Es ist wunderbar!«

      Er drehte sich im Kreis, als wollte er tanzen. »Komm rein!«, rief er. »Die Göttin wird dir ein neues Leben schenken!« Er kicherte wie ein kleiner Junge, und um ihr zu beweisen, dass das Wasser tatsächlich jene heilenden Kräfte hatte, von denen er immer sprach, dann spritzte er sie nass.

      Aelia zuckte zusammen, aber sie verzog keine Miene. Der Alte war wirklich verrückt. Die Märzsonne wärmte noch nicht, und aus dem kalten Boden waren gerade mal die ersten grünen Sprösslinge hervorgekrochen, da musste er ein Bad im Quellwasser nehmen!

      Er spritzte sie wieder nass. »Komm rein, das wird dir gut tun!«

      Sie konnte gut darauf verzichten. Es war schon schlimm genug, dass sie Fränkisch mit ihm sprechen musste. Mit einem Starrsinn, der alten Menschen oft zu eigen ist, hatte Wala von Anfang an darauf bestanden, dass sie in der Sprache seiner Vorfahren mit ihm redete, jene Sprache, die sie nie mehr sprechen wollte. Sie hatte sich lange geweigert und ihm anfangs nur widerwillig zugehört. Aber dann hatte sie an Verina gedacht und daran, dass sie Wala in allem gehorchen musste, damit der Freundin nichts geschah, und hatte sich wider­willig gefügt. Aber sie musste ja nicht mit ihm im Quellwasser baden!

      »Schau her!«, rief Wala und tauchte unter, bis das Wasser sich über ihm schloss. Lange blieb er unten, während sein schütteres Haar sich im Wasser ausbreitete, als wollte es fliegen. Aelia sah Luftbläschen aufsteigen, als der alte Mann die Atemluft langsam ausstieß, doch sie blieb still am Felsrand sitzen. Oh nein, er würde sie nicht täuschen! Sie kannte alle Tricks, mit denen die Kämpfer versuchten, sich gegenseitig hinters Licht zu führen. Sie würde sich von seiner vorgespielten Ohnmacht nicht überlisten lassen.

      Doch Wala tauchte nicht wieder auf. Nach einer endlos scheinenden Weile, in der keine Luftbläschen mehr gekommen waren, trudelte sein alter Körper im Wasser. Aelia sprang auf. Verdammt noch mal! Wenn der Alte jetzt den Kältetod stürbe, würde man ihr womöglich noch die Schuld daran geben und Verina nie mehr aus dem Kerker lassen. Sie hob einen Fuß, tauchte ihn ins Wasser. Meine Güte, war das kalt! Aelia holte tief Luft, gab sich einen Ruck und ließ sich langsam ins Wasser gleiten, bis ihre Füße den felsigen Grund erreicht ­hatten. Hel und Ungeheuer! Das Eiswasser durchbohrte ihre Haut und wollte ihr schier das Fleisch von den Knochen reißen. Sie watete zu Wala, packte den alten Mann und richtete ihn auf. Doch kaum hatte sie das getan, kam er von selbst wieder auf die Beine und rang nach Luft. Er keuchte. »Ich dachte schon, du würdest nie mehr kommen!«

      Aelia fühlte, wie ihr Herz vor Wut und Angst klopfte. »Du jagst mir einen solchen Schrecken ein?«

      Sie schöpfte einen Schwall Wasser mit ihren Händen und schleuderte ihn gegen den alten Mann, der sich mit einer zischenden Fontäne wehrte. Eine Wasserschlacht entstand, in der das Wasser hin- und herflog, bis beide vollkommen durchnässt waren.

      »Es ist gut, dass du im Quellwasser gebadet hast«, lächelte Wala zufrieden, als sie zur Hütte zurückgingen. »Es wird dir deine Kräfte zurückgeben.«

      Aelia schüttelte den Kopf.

      Aber insgeheim musste sie doch lächeln – das erste Mal seit langer Zeit.

      Sie gingen zurück in die Hütte, trockneten sich, aßen etwas und wärmten sich am Feuer. Kaum fühlte Aelia wieder die Wärme ihren Körper durchströmen, klopfte es an der Tür. Wala erhob sich und ging hinaus. Bald hörte Aelia Stimmen von draußen. Sie schlich sich zur Tür.

      Tertinius sprach mit Wala vor der Hütte am Waldrand. Sein roter Offiziersmantel hob sich leuchtend vom hellblauen Frühlingshimmel ab. Sein Centurio Lucanus und ein anderer Offizier warteten in gebührendem Abstand. Tertinius sprach so leise, dass Aelia nicht verstehen konnte, was er sagte. Sie trat näher an den Türspalt heran und lauschte.

      »… ist sie bereit?«

      Wala erwiderte etwas, das sie nicht verstand. Tertinius nickte. Er sah bleich aus, sein Gesicht war schmaler als sonst.

      »Bist du dir sicher?«, fragte Wala.

      »Wie kann man jemals sicher sein? Mein Mann im Norden ist tot und die Zeit drängt. Er lässt mir keinen Aufschub. Er verlangt, dass jemand zu ihnen geht.«

      »Gewiss, Vortrefflicher. Niemand kennt sich so gut aus wie du«, schmeichelte Wala in beschwichtigendem Tonfall. »Weiß er denn –«

      »… dass es diesmal ein Mädchen ist? Gott bewahre!« Tertinius lächelte flüchtig. »Es wird reichen, dass er es weiß, wenn

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