Rabenauge. Sabine D. Jacob

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Rabenauge - Sabine D. Jacob

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neunundzwanzig, dreißig! Hinter mir, vor mir, neben mir, das gibt es nicht! Eins, zwei, drei! Ich komme!« Er drehte sich von der Mauer weg und schlich zum Jagdzimmer, um nachzusehen, ob Jeremys staksige Beine unter der Gardine hervorlugten. Jey bevorzugte die bestickten schweren Gobelinvorhänge dort als Versteck oder die Truhe mit den Filzpantoffeln in der Eingangshalle. Im Winter waren die aufgehängten Daunendecken in der oberen Etage sein liebstes Versteck.

      Hinter der Gardine war er diesmal nicht.

      Nolan näherte sich auf Zehenspitzen der Eichenholzkiste. Der dicke Teppich schluckte seine Schritte. Dann hievte er den schweren Sack mit dem Hundefutter darauf, der stets danebenstand. Es kribbelte in seinem Bauch, als er sich gespannt fragte, ob Jey dort jemals wieder herauskommen würde. Nolan muckste sich nicht und horchte. Ganz still war es im Haus. Er hörte nur seinen Atem.

      Es dauerte eine ganze Weile, bis Jey anfing zu rufen. »Nolan, hier bin ich! In der Kiste. Such mal hier!« Seine Stimme war voller Spannung und Zuversicht. Dann polterte es leise, bevor Jey wieder rief: »Nolan, hier bin ich. Guck doch mal in die Pantoffelkiste!« Und dann: »Nolan?« Nach einer Weile wurde sein Ton ängstlicher und fordernder. »Nolan!« Wieder rumorte es. »Ich krieg den Deckel nicht auf«, rief er mit seiner feinen Jungenstimme. Nach und nach wurde sie lauter und panischer. Die kleinen Hände und Füße schlugen gegen das Holz. Es klang, als poltere eine Kokosnuss eine Holztreppe herab. Dann kippte die Stimme in ein hohes Falsett.

      Nolan hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht loszuprusten. Ganz hoch quiekte Jey – wie eines der Ferkel von Bauer James, wenn es geimpft wurde.

      Unvermittelt trat eine Pause ein. Der Deckel wurde zwei Zentimeter gelupft, fiel aber unversehens wieder zu.

      Nolan horchte angestrengt. Es war nichts mehr zu hören, außer dem Stimmengewirr der Erwachsenen, die im Garten Kaffee tranken. Ein letztes Schluchzen aus der Kiste drang an sein Ohr, dann nichts mehr.

      Nach einer Weile fragte sich Nolan, ob Jey genügend Luft bekäme, und ihm wurde angst und bange. Bilder stiegen in ihm auf, in denen Jey seinen Hals umklammerte, Würgelaute von sich gab, während er nach Luft rang und blau anlief, seine Augen sich aufblähten und hervorquollen wie ein Ei aus einem Huhn.

      Dann sah Nolan ein anderes Bild und erschrak bis ins Mark. Er sah sich selbst mit zuckenden Gliedern auf dem elektrischen Stuhl. Machte man das mit Mörderkindern? Hoffentlich nicht. Wurden sie etwa aufgehängt oder gar ersäuft, wie Jackson, der Einsiedler, es mit kleinen Kätzchen machte?

      Nolan kannte kein Kind, das schon einmal jemanden ermordet hatte. Ob erhängt oder ersäuft, dass er keines kannte, war ihm Beweis genug, dass sie nicht überlebten.

      Er befand sich in einer Zwickmühle. Was, wenn er die Kiste aufmachte und Jey war nicht mehr am Leben? Dann war auch er so gut wie tot.

      Und wenn Jey noch lebte? Wenn er jetzt, in diesem Augenblick, nach Luft rang und den lieben Gott anflehte, ihn in Popeye zu verwandeln, damit er mit der Hilfe von Spinat die Kiste sprengen könnte?

      Nur wenn er wirklich lebend aus der Kiste käme, würde er herauskrakeelen, dass Nolan ihn nicht herausgeholt hätte.

      Statt Jey zu befreien, rannte er deshalb weg, versteckte sich im Bunker, kauerte sich nieder und hielt sich die Ohren zu, in denen es schrie: Huuuh machen, Nolan, huuuh machen!

      Erst abends, als die Dämmerung einsetzte und er hungrig wurde, schlich er zurück nach Trinale.

      Vor dem Haupteingang stand eine Traube Erwachsener, darunter seine und Jeys Eltern, die ihm auf halbem Weg entgegenkamen. Sie überhäuften ihn mit Vorwürfen, weil sie sie seit Stunden suchten.

      In Nolans Augen dauerte es eine geraume Zeit, ehe die Erwachsenen registrierten, dass nur er vor ihnen stand.

      Wo denn um Himmels willen Jeremy sei?

      Kein Wort kam über Nolans Lippen.

      Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis man den leblos wirkenden Körper fand.

      Jeremys Kopf fiel nach hinten, als sein Vater ihn aus der Truhe hob. Nolan, der sich in die Bibliothek verzogen hatte, lugte durch den Türspalt. Er sah, wie der Onkel tränenüberströmt seinen blassen Jungen an sich drückte, und biss sich auf die Unterlippe. Über seine Wangen rannen Tränen der Angst. Und wieder tauchten die Schreckensbilder vor ihm auf. Diesmal aber mit unheilverkündender Schärfe. Sie machen mich tot! Sie machen mich tot, weil ich Jey ermordet habe!, schoss es ihm in endlosem Refrain durch den Kopf.

      Dann wachte Jey auf und er lächelte. »Hab so schön geschlafen!«

      Alle verdächtigten einen der Hundeführer, den Futtersack auf die Truhe gestellt zu haben. Keiner erfuhr die Wahrheit. Bis heute war es die Geschichte mit dem Titel: Als Jey in der Kiste eingeschlafen war.

      Seit jenem Moment war Nolan aber klar, wie gern er Jey hatte, trotz dieser bohrenden Eifersucht, die ihn bis ins Erwachsenenleben begleiten sollte. Dem Wechselbad seiner Gefühle zwischen Neid und Schuld würde er sein Leben lang nicht entkommen.

      Der Vorhang drohte auseinanderzufallen. Nolan fasste nach und fragte sich, wie lange er den dicken Stoff noch zusammenhalten könnte. Seine Unterarme schmerzten und er war sich sicher, dass eine höhere Macht ihre Hände im Spiel hatte, weil Jeremy ihn ausgerechnet gestern angerufen hatte – nach einem halben Jahr ohne jeglichen Kontakt!

      Zusammen konnten sie sich vielleicht tatsächlich aus dieser Misere befreien.

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      Während sie den Eingangsbereich durchquerten, fasste Nolan Jeremy am Arm. »Vielleicht ist es sicherer, wenn ich in der Bibliothek bleibe, damit die Krähen sie nicht stürmen.«

      Sofort schoss einer der schwarzen Vögel herab und hackte in seinen Handrücken, sodass die Haut auseinanderklaffte.

      »Pass auf!«, schrie Jeremy, und Nolan beeilte sich, seine Hand wieder unter dem schweren Vorhang verschwinden zu lassen. »Ich brauch dich hier. Ich kenne mich mit deinen Waffen nicht aus!«

      Die Tür zum Westflügel führte in den Flur, an dem unter anderem das Jagdzimmer lag. Was sie dort vielleicht erwartete, mochte Jeremy sich nicht vorstellen.

      Überraschenderweise zeigte sich kein Vogel in dem langen Korridor. Links von ihnen erhob sich eine zweiflügelige Eichentür, die in den Scharnieren knarrte, als Nolan sie öffnete.

      »Hier drin war ich nur ein Mal, seit … Du weißt schon.«

      Das Jagdzimmer hatte die Größe eines Saales. Der Parkettboden lag unter einer dicken Schicht Staub, der bei jedem Schritt aufwirbelte und zum Husten reizte. Hier drang das Tageslicht ungehindert ein, aber offensichtlich hatten die Vögel den Raum noch nicht besetzt.

      Die Kassettendecke wurde in der Mitte von einem immensen Kronleuchter beherrscht, dessen ehemals funkelnde Glaskristalle blind und stumpf herabhingen. Die Wände waren mit einer dunkelroten Seidentapete verkleidet, die an einigen Stellen ausgeblichen war. Überall hingen Jagdtrophäen. Geweihe von Zwölfendern, Rehgehörne und Wildschweinköpfe mit räudigem Fell und verstaubten Glasaugen prangten an den Wänden. Andere erinnerten an die Zeit, als die Jagd sich auf die afrikanischen Kolonien ausdehnte. Gekreuzte

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