Rabenauge. Sabine D. Jacob

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Rabenauge - Sabine D. Jacob

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      »Ich mach ja schon.« Jeremy entwand sich ihm, bevor er unwillig sein Gesicht dem Astloch näherte. Wie Nolan schloss er ein Auge, um besser hindurchsehen zu können. Mit dem anderen fokussierte er das Unglaubliche, das er da draußen zu sehen bekam.

      Unbewusst wich alle Muskelspannung aus seinem Gesicht. Sein Unterkiefer klappte herunter und er holte hörbar Luft. Sein Herz setzte für einen Schlag aus, und seine Pupille weitete sich ungläubig. Sein Gehirn schien nicht imstande zu begreifen, was es da sah.

      Hunderte von schwarzen Vögeln hatten sich dort draußen niedergelassen. Der Rasen war dunkel, die Kopfweiden auf dieser Seite des Grundstücks sahen aus wie geteert und gefedert. So weit er schauen konnte, war alles schwarz. Es war unglaublich!

      »Was ist das?«, fragte Jeremy und erkannte seine eigene Stimme, die sich zu einem fiependen Falsett zusammenzog, nicht wieder. Er drehte sich um, räusperte sich und wiederholte: »Was um alles in der Welt ist das?«

      »Rabenkrähen! Lateinisch: corvus corone corone.« Nolan hielt den Blick starr auf Jeremy gerichtet. »Erst waren es nur einige wenige. Aber es werden immer mehr. Immer mehr.«

      Jeremy schluckte und vernahm einen leisen Klicklaut in seiner Kehle. Dann spähte er wieder hinaus. Immer noch weigerte sich sein Verstand, dieses Bild zu akzeptieren. Er räusperte sich erneut und hüstelte. In der vorherrschenden Stille, die nur hier und da von einem leisen, entfernten Krächzen unterbrochen wurde, klang es wie Donnergrollen.

      Sofort fuhren die Köpfe der Krähen herum, und – er wollte schwören, dass es so war – blickten zu ihm.

      Als könnten sie ihn sehen, durchbohrten ihn ihre eisgrauen Blicke, und er hatte das Gefühl, dass sie auf sein Räuspern mit deutlicher Unruhe reagierten. Sie trippelten auf der Stelle, hoben die Flügel an, blickten aber weiterhin alle, tatsächlich alle, in sein Auge, das schreckensstarr durch das splitterige Holz stierte.

      Eine Gänsehaut jagte Jeremys Rücken hinab, und die Härchen auf seinen Armen richteten sich auf.

      Plötzlich schoss eine Art schwarzer Ball auf ihn zu. Mit nach vorn gerichteten Krallen knallte einer der pechschwarzen Vögel gegen die Scheibe. Ein Riss bildete sich an der Aufprallstelle. Er vergrößerte sich knisternd, als die Krähe sich an der Fensterbank festklammerte, aggressiv krächzte und begann, auf die Scheibe einzuhacken.

      Entsetzt zuckte Jeremys Kopf zurück. Abwehrend hob er die Hände und trat einen Schritt nach hinten.

      Die Männer sahen den Vogel zwar nicht, hörten aber umso deutlicher sowohl die Krallen, die auf der steinernen Fensterbank kratzten, als auch die wütenden Schnabelhiebe, die die Fensterscheibe attackierten.

      Nach einer Weile verstummte das Geräusch.

      Hatte die Krähe ihren Platz verlassen und sich wieder zu den anderen gesellt? Oder lauerte sie darauf, dass sich ein ungeschütztes Auge in der Öffnung zeigte, um es dann sofort zu attackieren?

      »Das war eine eindeutige Warnung an dich, mein Freund«, sagte Nolan.

      »Glaubst du wirklich, die wissen, dass wir uns in diesem Raum befinden?«

      »Selbstverständlich«, erwiderte Nolan. »Bereits seit vielen, vielen Wochen beobachten sie jeden meiner Schritte. Zu Beginn waren es nur sehr wenige, und ich habe mir nichts dabei gedacht. Als es immer mehr wurden, fühlte ich mich schon fast verfolgt, und ich wechselte alle paar Stunden den Raum, um mich vor ihnen zu verstecken, aber es ist hoffnungslos. Sie sind die reinsten Stalker! Seit gestern verschanze ich mich hier. Ich glaube, die ersten Tiere haben mich nur bespitzelt und meine Gewohnheiten ausspioniert.«

      Entgeistert sah Jeremy ihn an. »Es sind Vögel, Nolan! Du sprichst von ihnen, als könnten sie denken oder sogar überlegt handeln.«

      »Das tun sie ja!«, ereiferte der sich. »Als Hobbyornithologe habe ich mich ausgiebig mit ihnen beschäftigt und mich, als ich noch Internet hatte, ausführlich über Raben und Krähen informiert. Sie gehören zur Gattung Corvus in der Familie der Rabenvögel, die man Corvidae nennt, um genau zu sein. Die kleineren Arten nennt man Krähen, die größeren Raben.« Jeremy schaute ihn begriffsstutzig an, aber Nolan fuhr unbeirrt fort: »Viele Rabenvögel zeigen im Vergleich zu anderen Vögeln überdurchschnittlich hohe kognitive Fähigkeiten und sind stark sozial organisiert. Du würdest staunen, wenn du wüsstest, wozu sie imstande sind. Als Kind spielte ich mit einem Jungen, dessen Dohle seinen Namen Jakob nachsprechen konnte. Manchmal können sie nicht nur Wörter, sondern ganze Sätze sprechen. Häufig begleiten Rabenkrähen Raubtiere, denen sie mit ihrer berüchtigten Frechheit in Gruppen die erlegte Beute abjagen.« In Erwartung einer erstaunten Reaktion von Jeremy legte er eine Kunstpause ein. Dass dieser keine Miene verzog, spornte Nolan zu weiteren Ausführungen an. »In Experimenten wurde Raben ein roter Punkt auf die Flügel geklebt. Nachdem sie sich im Spiegel sahen, versuchten sie den Punkt herunterzupicken. Sie erkennen sich selbst, was noch nicht einmal Katzen können. Diese Vögel erledigen alle gestellten Aufgaben mit Bravour, wobei sie nicht nur folgerichtig, sondern auch taktisch klug vorgehen. Sie sind nicht zu unterschätzen. Und mehr noch: Sie sind fähig, Aufgaben unter sich zu verteilen und sich – um es überspitzt auszudrücken – zu organisieren. Ist das nicht unglaublich? Und jetzt, lieber Cousin, überlege, was das für uns in dieser Situation bedeutet!« Nach einer weiteren kleinen Pause, in der Nolan still vor sich hin nickte, als würde er seine kurze Rede im Kopf erneut durchgehen und auf Richtigkeit prüfen, fuhr er fort: »Am Anfang, als sie mir noch nicht auf die Pelle rückten, fand ich diese Verhaltensweisen interessant, sogar genial.« Nolan hielt erneut inne. Er atmete einmal tief durch, als koste ihn das Folgende große Überwindung. »Hast du den Vogel mit dem grauen Flügel gesehen? Er ist größer als die anderen. Es ist ein Kolkrabenmännchen. Meist findet man ihn in der ersten Reihe. Er ist der Anführer und …« Er zögerte. »… eine Ausgeburt der Hölle.« Mit Daumen und Zeigefinger fasste er sich an die Nasenwurzel und schloss müde die Augen. »Aber, ich glaube, ich muss dir die Geschichte von Anfang an erzählen. Es wird eine Weile dauern, deshalb sollten wir uns setzen. Leider kann ich dir nur Wasser oder Sherry anbieten. Letzte Woche hab ich zwei Kisten aus dem Keller heraufgeschafft. Etwas Stärkeres habe ich derzeit nicht verfügbar.«

      Tatsächlich sehnte Jeremy sich im Moment nach Stärkerem – nach einem doppelten oder gleich vierfachen Cognac zum Beispiel. Ihm war übel, kalt und seine Hände zitterten. So viele Fragen gingen ihm durch den Kopf. Er vermochte keine davon zu stellen.

      Nolan bemerkte seine Verfassung, goss Sherry in zwei Wassergläser und sah ihn resigniert an.

      Dankbar nahm Jeremy den Sherry entgegen. Er stürzte die bernsteinfarbene Flüssigkeit in einem Zug hinunter, ohne sich darum zu scheren, ob dry oder medium. Er erwartete ein Brennen auf der Zunge, spürte aber nur ein taubes Gefühl in der Mundhöhle.

      Nolan füllte das Glas noch mal, und erneut stürzte Jeremy den Inhalt hinunter. Dann setzte er sich in einen der voluminösen, tiefen Ledersessel. Der Alkohol rauschte durch seine Adern in sein Gehirn und reduzierte so seine Empfindungen auf ein erträglicheres Maß.

      Nolan setzte sich in den Sessel gegenüber. »Eigentlich wäre dies ein guter Zeitpunkt, den Kamin anzufachen und sich nett zu unterhalten. Allerdings musste ich den Kamin verbarrikadieren. Zu leicht könnte diese Brut sonst das Zimmer stürmen.« Er holte zitternd tief Luft. Es fiel ihm sichtlich schwer, einen Anfang zu finden. Nach einer weiteren Pause setzte er erneut an und sagte: »Mir scheint, jetzt ist es so weit, jemandem die Geschichte von Anfang an zu erzählen. Es fällt mir wirklich nicht leicht. Zudem kann ich mich schlecht konzentrieren, seit ich ständig um mein Leben bange. Es war ein schleichender Prozess – als ob sich ein Tumor ausbreitet, den man erst erkennt, wenn es zu spät ist. Dabei begann alles so harmlos.« Nolans Hände fuhren

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