Rabenauge. Sabine D. Jacob

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Rabenauge - Sabine D. Jacob

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eindringlich an. Dann verschleierte sich sein Blick und er verlor sich in den Bildern, die vor seinem inneren Auge vorbeizogen.

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      »Weißt du, Jeremy, zuerst fiel mir ihre Gegenwart nicht einmal auf. Hier ein Klecks auf dem Autolack, da eine schwarze Feder unter meiner Schuhsohle. Als Nächstes sah ich im Garten eine Krähe, die mit einer Spitzmaus im Schnabel davonflog. Dann bemerkte ich während der morgendlichen Rasur drei dieser Vögel im Geäst der Ahornbäume vor dem Fenster. Als ich genauer hinschaute, fiel mir der Kolkrabe mit dem grauen Flügel auf. Er ist etwas größer als die anderen. Eigentlich sind Kolkraben ja Einzelgänger. Nur Krähen treten im Schwarm auf, gelegentlich auch Dohlen. Aber er ist eindeutig der Anführer. Immer ist er da, und immer ist er in der ersten Reihe.«

      Jeremy schaute Nolan prüfend an. Anführer? Ein Rabe als Kopf eines Krähenschwarms solchen Ausmaßes? Ihm summte der Kopf.

      »Zelma hatte schon immer eine ganz besondere Beziehung zu Rabenvögeln. Sie mochte sie. Nein, sie liebte sie. Stundenlang saß sie im Garten und sah ihnen zu. Eines Tages fing sie an sie zu malen. Erst mit Aquarellfarben, dann mit Kohle. Wie passend!« Höhnisch schnaubte Nolan durch die Nase. »Womit könnte man diese schwarze Brut auch besser darstellen. Um sie anzulocken und bei der Stange zu halten, begann sie sie zu füttern. Sie sprach mit ihnen sogar wie mit Menschen. Noch heute habe ich den Klang ihrer Stimme im Ohr: dunkel, samtig und liebevoll. Der erste Vogel, der sich auf ihre Staffelei setzte, war der Kolkrabe mit dem grauen Flügel. Stundenlang saß er da, ließ sich zeichnen und lauschte Zelmas Geplauder. Und Zelma malte ihn mit Inbrunst. Sie versuchte, jede Schattierung seines Gefieders einzufangen. ›Du siehst nicht, was für ein besonderer Vogel er ist‹, warf sie mir vor, wenn ich ihr Vorhaltungen machte. Es dauerte nicht lange, und die beiden waren enge Freunde. Bald hörte ich den Raben sogar nach ihr rufen. ›Jelma‹, krächzte er statt Zelma. Und sie? Schon früh morgens rief sie nach ihm, und sein ›Jelma‹ zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht, welches ich längst nicht mehr hervorzurufen vermochte. Dabei versuchte ich es wieder und wieder. Ich lud sie zum Essen ein, ins Theater oder in eine Revue. Immer versetzte sie mich. Nach einer Weile bestand ich darauf, dass sie mich begleitete, und ich ließ keine ihrer fadenscheinigen Ausreden gelten. Du weißt ja, wie tückisch ihre Krankheit war. Ich musste sie unter Leute, auf andere Gedanken bringen. Das war doch meine Pflicht als Ehemann, und, verflixt, ich liebte sie so sehr. Aber egal, wie viel Mühe ich mir gab, sie blieb einsilbig. Im Auto drehte sie den Kopf von mir weg. Meinen Berührungen wich sie aus. Für die Raben jedoch hatte sie immer Zeit. Mit ihnen redete sie wie ein Wasserfall.« Er neigte den Kopf zur Seite und fragte: »Hast du mal gesehen, wie es aussieht, wenn sich ein Rabe über ein Nest junger Vögel hermacht? Wie sie regelrecht platzen, wenn er ihnen die Bäuche aufschlitzt? Mit welcher offensichtlichen Gefühlskälte diese Biester sich auf kleine Kaninchen stürzen? Es ist mir unbegreiflich, warum Zelma sie so anziehend fand. Ich bekam eine Gänsehaut, wenn ich sie zusammensitzen sah. Sobald ich in ihre Nähe kam, hob der Rabe drohend die Flügel und reckte den Kopf in meine Richtung. Sein Schnabel öffnete sich so, dass ich nur den roten Schlund sah. ›Nolan, geh! Siehst du nicht, dass du ihn aufregst‹, sagte Zelma stets unwirsch und wischte mit der Hand durch die Luft, als ob sie ein lästiges Insekt verscheuchen wollte. Schon bald schlossen sich weitere Krähenvögel an. Sie kamen ganz dicht, wenn Zelma sie mit verdorbenem Gehackten fütterte.« Er bemerkte Jeremys Stutzen und bekräftigte: »Ja, du hast richtig gehört.« Mit sachlicher Stimme fuhr er fort: »Sie kaufte gehacktes Fleisch vom Rind, Schwein oder Huhn und ließ es in der Küche liegen, bis es anfing zu verwesen. Bei Gehacktem geht das sehr schnell. Durch das Zerkleinern des Fleisches vergrößert sich die Oberfläche, auf der sich Keime ansiedeln können. Jede Hausfrau weiß, wie vorsichtig man sein muss, damit es nicht vorzeitig verdirbt.« Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: »Zelma wusste das auch, und darüber hinaus, dass alle Vögel dieser Gattung den süßlichen Geruch und Geschmack der Verwesung lieben. Mich widerte er an. Der Geruch überdeckte und durchdrang alles in der Nähe der Küche. Schon auf dem Flur waberte er einem entgegen. Auch während unserer Mahlzeiten war der Gestank gegenwärtig. Ekelhaft! E…kel…haft!«, setzte Nolan jede Silbe betonend nach. »Jeder Apfel, jedes Handtuch, mein Rasierwasser … Alles nahm diesen Geruch an. Ich schmeckte ihn auf der Zunge, wenn ich morgens aufwachte. Er klebte ständig in meinem Hals und ließ sich auch mit Mundwasser nicht vertreiben. Die Rabenvögel dankten es Zelma mit großem Zutrauen. Sobald sie in den Garten ging, kamen sie – sehr zu meinem Missfallen.« Ärgerlich zog er bei der Erinnerung die Augenbrauen zusammen. »Der abstoßende Gestank von verwesendem Fleisch war das eine. Aber es gab noch eine Sache, die mich gegen diese gefiederten Viecher aufbrachte. Wie du weißt, bin ich ein großer Freund von Singvögeln. Im Internet las ich, dass Rabenvögel ebenfalls zu dieser Unterordnung gehören. Man stelle sich das vor! Lächerlich, dieses Gekrächze auf eine Stufe mit dem Tirilieren einer Nachtigall stellen zu wollen. Nein, mein Faible gilt den kleineren Singvögeln wie den Amseln, Meisen, Rotkehlchen und so weiter.« Ein dünnes Lächeln kräuselte seine Lippen. Er holte mit den Armen aus, als er fortfuhr: »Es ist schön, sie im Winter zu füttern und im Frühling morgens von ihnen geweckt zu werden. Ihr buntes Gefieder, das sich einem erst durch das Fernglas erschließt, diese vollkommenen Momente, wenn sich ein Zaunkönig länger als ein paar Sekunden zeigt. Es war immer mein Wunsch, diese Augenblicke festzuhalten. Kurz und gut: Die kleinen Piepmätze bereichern mein Leben. Zelmas Hobby, ihre Zuneigung zu den Rabenvögeln, stand dazu in völligem Kontrast. Argwöhnisch beobachtete ich, wie die Krähen, Dohlen und Raben nur darauf warteten, an das Gelege eines kleinen Vogels zu gelangen, um alles, die Eier oder die Brut, zu verschlingen. Ein kleiner Grünfink, gerade als er am Futterhäuschen saß, zack, wurde er selber zum Frühstück. Gegriffen von drei krallenbewehrten Zehen wurde er in mundgerechte Happen zerrissen. Auf diese Weise verschwand auch das letzte bunte Federbündel aus meinem Garten. Was blieb, war das Gehackte, das Zelma nun, statt auf die Heizung, vor das offene Küchenfenster stellte. Zu mir sagte sie nur, dass ich mich jetzt nicht mehr über den Gestank beschweren könne. Das war natürlich Blödsinn. Es stank nach wie vor abscheulich, und der Geruch waberte in der heißen Mittagssonne durch alle Zimmer.« Nolan lehnte sich zurück und rieb sich müde über die Augen. »Aber du kanntest sie. Man konnte ihr nichts abschlagen. Immer war da die Angst, dass sie das tun würde, was sie ja schließlich dann auch tat.« Er machte abermals eine kurze Pause, bevor er sich straffte und fortfuhr: »Die Raben hatten also nun die Möglichkeit, sich ihre Zwischenmahlzeiten vom Fensterbrett zu holen. Ad libitum, wie man sagt. Manchmal legte Zelma noch ein gekochtes Ei dazu. ›Sie haben es gern. Schau, wie ihre Federn glänzen‹, sagte sie, wenn ich ihr diese eigenartige Marotte vorhielt. Zelma zähmte auf diese Weise übrigens einen weiteren Raben, der offensichtlich die Partnerin des Anführers war. Sie hatte einen Spalt in der oberen Schnabelhälfte, höchstwahrscheinlich eine alte Verletzung. Wer weiß, vielleicht wäre sie ohne Zelmas Fütterung verhungert. Was ich aber eigentlich sagen wollte: Die Vögel saßen jetzt ständig am Küchenfenster, und jedes Mal, wenn ich diesen Raum betrat, brachen sie in ärgerliches Gekrächze aus. Ich fühlte mich wie ein Störenfried in meinem eigenen Haus und begann deshalb, die Küche zu meiden. Für die Bediensteten schob ich es auf den Gestank. Insgeheim fürchtete ich mich. Mit ihren stechenden Augen verdeutlichten mir die schwarzen Biester, dass sie nicht meine Freunde waren. Sie duckten sich angriffslustig und hieben mit den Schnäbeln nach mir. Sie blieben aber auf der Fensterbank. An Zelmas Geburtstag musste ich in die Küche. Carolyn, das Hausmädchen, das Zelma schon von Kindesbeinen an betreut hatte, hatte mir mitgeteilt, dass der Abfluss verstopft sei. Schon an der Tür schlug mir der widerliche, altbekannte Geruch nach Verwesung entgegen, verstärkt durch den Gestank, den das verstopfte Abflussrohr und das im Spülstein dümpelnde Schmutzwasser mit sich brachten. Auf der Oberfläche schwammen neben Fettaugen die Reste unseres Mittagessens: kleine Blumenkohlröschen und ein paar matschige Pommes. Wie konnte Carolyn nur mit diesem Gestank um sich herum arbeiten? Als ich sie das fragte, erklärte sie mir – und jetzt kommt das Ding aus dem Tollhaus –, dass sie seit einer Operation ohne Riechvermögen sei. Ha, ha!« Amüsiert schlug sich Nolan mit

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