Sitten, Strolche & Strategen. J. J. Juhnke
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Zumal der Hexenhort momentan im Würgegriff der roten Teufel lag, die sogar eine schlechte Kopie vom Kräuterschnaps produzieren ließen. Eine staatliche Getränke-Kombinat-Fusel Kriegsrezeptur. >Wie ihre Autos ist auch der Schnaps der roten Demagogen<, meinte der Oberst dazu. Zu besonderen Anlässen kamen nur auserlesene Zutaten, für ihre Alkoholexzesse, auf den Tisch. Die hatte aber andere Quellen.
Im Haus herrschte "der Dragoner", die Frau Johanna. Der Oberst nannte sie so, weil sie noch zu Zeiten der Dragoner ihr Handwerk und Mundwerk erlernt habe. Wer ihr in die Quere kam lief Gefahr eine Salve aus ihrem verbalen Maschinengewehr abzubekommen. Ständig drohte sie damit das bewirtschaften des Hauses aufzugeben, somit das Schiff unter gehen zu lassen und man betete dafür, dass sie ihr Versprechen bald wahr machen würde. Zu großen Feiern, mit Gästen von außerhalb, kamen zusätzlich Kuddel nebst schöner Gattin zum Helfen. Keinesfalls durfte man Johanna in Kontakt zu den Gästen lassen. Dieses Dünkirchen wollte der Oberst nicht riskieren. Johanna hatte das Talent jeden und jede, in kürzester Zeit, bodenlos zu blamieren. Deshalb hatte sie ein Kontakt- und Sprechverbot außerhalb der Küche befohlen bekommen. Sie wollte den "Jammerlappen" auch nicht begegnen, beteuerte sie gerne. Hinzu kam, dass es Kuddel irgendwann nicht mehr passte, dass seine Frau, bei der Bewirtung der Herren, zu später Stunde im Rauchsalon, immer "versackte". Das war kein Problem, es gab ja Alfredos Gastronomiebetriebe. Er lieh dem Oberst Hausmädchen, für die Gästebewirtung, aus. Zur Überraschung der Herren wurde diese neue Konstellation angeboten. Es muss eine tolle Feier gewesen sein, denn alle sprachen noch lange, in Andeutungen, davon. Hein Mück und Kurti Krause meinten zu Rudi: >Der Oberst wisse, was ein Landser Herz vermisse<. Leider zerstörte die Frage von Johanna, ob das hier ein Puff wäre, die weiteren Pläne für ähnliche Feste. Sie legte ein ultimatives Veto ein. Und es schien wahr zu sein was man sich erzählte: die Johanna wäre eine Verwandte vom Oberst. Seit dieser Zeit halfen auch Gento und ich an der Bedienungsfront aus. Bald wolle der Oberst die Johanna auf einen Gnadenhof für Dragoner deportieren, war ein Gerücht jener Tage. Eine gewisse Vorfreude war manchem Gesicht schon anzusehen. Es gab ein untrügliches Signal wann eine Domänen Feier als beendet gelten konnte. Zum Beispiel wenn niemand mehr bei Bewusstsein war. Bewusstlosigkeit war das Hauptkriterium. Wir sammelten ein bzw. betteten um, je nach Lage der Dinge. Man kann den dicken Rehm nicht bis Mittag in der prallen Sonne liegen lassen. Der musste runter vom Rasen. Wenn alle in Deckung waren, endete erst unsere Sorgfaltspflicht. Einmal, nach nächtlicher Durchzählung, war der dicke Rehm abgängig und dann unauffindbar. Zum Glück hatte Vater einen Schäferhund dabei und nach Aufnahme der Fährte zogen wir ihn aus einem Graben, neben der Pferdekoppel. Das Gras stand so hoch, der war mit bloßem Auge nicht mehr sichtbar. Normalerweise fuhr er auch betrunken, die paar Kilometer, nach Hause. Aber in dieser Nacht fühlte er sich wohl zu nüchtern und wählte den alten Sommertrampelpfad durch die Wildnis. Ein Abend kam auch mit dem Griff vom Oberst zum Plattenspieler enden. Das waren die sentimentalen Abende. Wenn Verdis Gefangenenchor durch die Räume geisterte - war Zapfenstreich. Für uns Ordonanz, die einfachste Lösung. An einem Heiligabend habe ich mal erlebt wie der Oberst eine ganz besonders Platte auflegte und mehrfach abspielen ließ. Die komplette Mannschaft hörte ruhig und ergriffen zu, stellten das rauchen und trinken ein. Es war eine alte Schellackplatten von 1949. Elfie Mayerhofer sang "stille Nacht, heilige Nacht" und das ging den Männern sehr nahe, kein Zweifel. Später, als Elfie und Minna die Feiern belebten, uferte es anders aus. Wie wir auf der Abschiedsfeier, für den versilberten Panzer, erleben durften. Verdi kam nur noch selten zum Zuge. Seit ich die, immer wieder gerne erzählte, Geschichte kenne, wie der Hitler dem Oberst, im September 39, im Kasinohotel Zoppot, über den Weg gelaufen war, ihn anerkennend auf die Schulter klopfend angesehen habe, hielt ich den Oberst, bis in alle Ewigkeit, mit dem Führervirus infiziert. Das galt ebenso für andere Helden der wilden 13. Die alten Wochenschauen können nicht komplett gestellt gewesen sein und ich habe hier gesehen, was ich gesehen habe. Im Rauchsalon stand der größte Fernseher, den man damals auf dem Markt bekommen konnte. Er diente, auf Herrenabenden, als Katalysator in mehrfacher Hinsicht. Teils um liebgewonnene Filme, aus alten Tagen, zu genießen, teils zur Sichtung von Dokumentationen und Wochenschauen aus den 12 Jahren des tausendjährigen Reiches, sowie Nachkriegsmachwerke schlimmster, schändlichster, oder nur schlechter Art, über sich ergehen zu lassen. Oft handelte es sich dann um amerikanische Produktionen. Das führte gelegentlich zu verbalen Ausbrüchen in deren Verlauf Unmengen an Alkohol ihre Abnehmer fanden. Ich habe erlebt wie der Reichskanzler, später als "der Führer" bekannt, es schaffte sie vor dem Fernseher abzuholen und mitzunehmen. Wenn eine Dokumentation über seine Schreckensherrschaft gezeigt wurde und sie sich wegen der alten Zeiten versammelt hatten. Wobei die bekannten Gräueltaten allesamt in einer anderen, hermetisch abgeriegelten Dimension stattgefunden haben müssen. Weil keiner davon gewusst haben kann. Außer man hätte Wehrkraft zersetzende Feindpropaganda gehört. Wenn der Führer sich neben das Rednerpult stellte, schwieg, Papiere ordnete, sich räusperte, immer noch schwieg, über die Menge hinwegsah und endlich, als der Spannungsbogen die Halle elektrisierte, langsam, fast leise, mit seiner Ansprache begann. Fünf Minuten später hatte er, mit Blitz- und Donnerworten, den Saal zum Kochen gebracht und die Volksgemeinschaft an ihren wunden Punkten erwischt. Ergriffen und entmündigt brüllten sie ihm ihre Hörigkeit entgegen. Ein clever durchdachtes Spektakel der Gruppe um Mephistos Meisterschüler.