Im Land des Feindes. Marthe Cohn

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Im Land des Feindes - Marthe Cohn

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dauert nicht lange, bis Juden von allen öffentlichen Ämtern und von Lehrtätigkeiten ausgeschlossen wurden. Jüdisches Eigentum wurde beschlagnahmt und ausländische Juden wurden verhaftet und interniert. Die Deutschen schränkten uns immer mehr ein und bauten darauf, dass wir uns klaglos in unser Schicksal fügten. Jeden Tag wurden neue Verordnungen erlassen; so wurden unter den »Arisierungsgesetzen« jüdische Geschäfte geschlossen. Verstöße gegen die neuen Bestimmungen konnten mit dem Tod bestraft werden. Zwar waren nichtjüdische Franzosen ebenfalls von Einschränkungen betroffen, aber nicht im selben Maß wie wir.

      Eines Tages kamen zwei deutsche Soldaten in unseren Laden. Cécile und ich bedienten gerade einen Kunden. Die Männer sahen sich interessiert um, befingerten die Waren und schienen ihren Wert abzuschätzen. Nicht ahnend, dass wir beide Deutsch sprachen, sagte der eine zum anderen: »Stehlen wir doch einfach das Zeug von diesen dreckigen Juden. Bringt uns bestimmt ein hübsches Sümmchen ein.«

      Aufgebracht ließ ich den Kunden stehen und rannte auf die Straße. Ich schaute mich um und entdeckte, wonach ich suchte – einen Offizier der Wehrmacht.

      »Entschuldigen Sie, Monsieur«, sagte ich zu dem Wehrmachtsoffizier, »zwei Ihrer Männer sind in unserem Laden. Dazu haben sie nach den neuen Vichy-Gesetzen kein Recht. Wir könnten Ärger bekommen. Bitte sorgen Sie dafür, dass sie gehen.« Er tat, worum ich ihn gebeten hatte, und erteilte in Gegenwart von Cécile und mir den beiden einen scharfen Verweis.

      Kurz danach bekamen wir Besuch von einem Franzosen, der uns darüber informierte, dass er von den Deutschen als Gérant commissaire eingesetzt worden war, ein Nichtjude, der unser Geschäft übernehmen sollte. Daraufhin räumten wir den Laden komplett aus, packten die kostbarsten Waren in Koffer und trugen sie nach oben in die Wohnung von Madame Le Touchais, mit der wir uns angefreundet hatten. Wenige Tage später brachten wir sie zu Madame Blondet, der früheren Putzfrau von einem unserer Cousins, der wir vertrauen konnten.

      »Wir lassen nichts für die Nazis zurück«, stieß Cécile hervor. »Nicht das Geringste.« Lächelnd tätschelte ich ihre Schulter.

      Als ich eines Nachmittags mit einem besonders schweren Koffer auf dem Weg zu Madame Blondet war, kamen mir an der Kirche Notre-Dame la Grande zwei deutsche Soldaten entgegen. Ich senkte den Blick und starrte auf ihre blanken Stiefel. Bevor ich einen Ton herausbrachte, ergriff einer der beiden den Koffer.

      »Lassen Sie mich Ihnen behilflich sein, Fräulein«, sagte er lächelnd. »Der ist doch viel zu schwer für ein so hübsches junges Mädchen.«

      Mühelos trug er den Koffer, während ich neben ihm herlief. In sicherer Entfernung von Madame Blondets Wohnung nahm ich ihn ihm wieder ab und bedankte mich mit meinem schönsten Lächeln.

      Ich malte mir aus, wie der Commissaire in ein paar Tagen kommen würde, um unser Geschäft zu übernehmen, und einen gähnend leeren Laden vorfände. Zu gern hätte ich Mäuschen gespielt.

      Cécile und ich waren jetzt arbeitslos; wie sollten wir unsere Familie ernähren? Ich wollte mir in Poitiers Arbeit suchen, während Cécile vorhatte, in Paris mit einem Teil unserer Waren einen neuen Laden zu eröffnen. Paris kam mir entsetzlich weit weg vor. Außerdem war es mit Sicherheit gefährlicher als unser verschlafenes Städtchen. Aber wir hatten Verwandte in der Hauptstadt, darunter Onkel Max, der jüngste Bruder meiner Mutter, der dort als Arzt praktizierte, und Cécile war fest entschlossen, in Paris ihr Glück zu versuchen und uns von dort Geld zu schicken.

      »Mach dir um mich keine Gedanken«, sagte sie und umarmte mich. »Pass gut auf die anderen auf, du bist jetzt die Älteste.« Und ehe wir uns versahen, hatte sie gepackt und war fortgegangen. Ich vermisste sie schrecklich.

      Aber wie heißt es so schön: Immer wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere. Im Dezember 1940 kam Fred nach Hause. Wir waren überglücklich, ihn zu sehen, aber entsetzt über seine körperliche Verfassung. Wir gaben ihm etwas zu essen und lauschten mit offenem Mund seinen Schilderungen. Nachdem die Deutschen die Maginot-Linie durchbrochen hatten, war er gefangen genommen und in ein Lager in Straßburg gebracht worden. Danach hatten wir nichts mehr von ihm gehört. Als er zufällig ein Gespräch zwischen zwei deutschen Wachen belauschte, erfuhr er, dass alle Gefangenen am nächsten Tag nach Deutschland überführt werden sollten. Sofort setzte er seinen sorgfältig ausgetüftelten Fluchtplan in die Tat um, zog die zivilen Sachen an, die er an einem sicheren Ort versteckt hatte, und schaffte es, mitten im tiefsten Winter die Vogesen zu Fuß zu überqueren, indem er nur nachts unterwegs war. In Nancy kontaktierte er seine alten Kunden und verkaufte auf einen Schlag das gesamte Inventar seiner Schneiderei. Den Erlös nähte er in seine Kleidung ein. Dieses Geld half uns über die ganzen Kriegsjahre hinweg. Fred ist es zu verdanken, dass wir überlebten.

      Beim Abendessen am Tag von Freds Rückkehr hatten wir einen Gast, Rosette Korn, ein hübsches, junges Mädchen und eine neue Freundin der Familie. Ich kannte sie flüchtig aus Metz. Als die meisten jüdischen Familien aus der Stadt geflohen waren, waren sie und ihr Vater Kalman, ein Barbier, zurückgeblieben, während man ihre kranke Mutter zusammen mit anderen Patienten aus dem jüdischen Pflegeheim nach Poitiers evakuiert hatte.

      »Liebe Marthe, könntest du mir einen Gefallen tun? Würdest du vielleicht mal meine Mutter besuchen?«, hatte Rosette mich im ersten ihrer zahlreichen Briefe gebeten. »Sie ist krank und weit weg von zu Hause. Deine Gesellschaft würde ihr bestimmt guttun.«

      Als Rosette und ihr Vater im Juni 1940 zu uns stießen, hatte uns unsere Brieffreundschaft zusammengeschweißt. Rosette fand schon bald eine Stelle als Dolmetscherin im Rathaus.

      Von dem Moment an, als Fred und sie sich an jenem Abend begegneten, wussten wir alle, dass sie füreinander bestimmt waren. Aber wir wussten auch, dass Fred auf keinen Fall im besetzten Frankreich bleiben konnte. Als geflohener Kriegsgefangener und Jude war er doppelt gefährdet. Entschlossen, sich de Gaulles Freien Franzosen anzuschließen, machten er und unser Cousin Oskar Kluger sich auf den Weg, um die Grenze zur Zone libre zu überqueren. Er versprach uns, in Kontakt zu bleiben.

      Die Sicherheitsvorkehrungen an der Demarkationslinie waren in den vorangegangenen Wochen extrem verschärft worden und die deutschen Patrouillen waren besonders misstrauisch gegenüber jungen Männern, die möglicherweise der Résistance angehörten. Frauen hatten es leichter, ins unbesetzte Frankreich zu gelangen. Noch am selben Nachmittag, drei Stunden, nachdem Fred und Oskar uns verlassen hatten, klopfte es an die Tür. Mein Vater öffnete und stand einem fremden Mann mittleren Alters gegenüber.

      »Ich bin Monsieur Noël Degout«, stellte sich dieser vor. »Ich habe einen Bauernhof in Dienné und wollte Ihnen mitteilen, dass Ihr Sohn heute Nachmittag, als er die Grenze überqueren wollte, verhaftet wurde.«

      Meine Mutter schlug die Hand vor den Mund. Dann fragte sie, was passiert sei.

      »Er und sein Cousin haben gerade mein Land überquert, als die Deutschen sie entdeckten. Sie haben sie zur Befragung in meine Scheune gebracht. Ich treffe diese deutschen Soldaten regelmäßig, sie kennen mich. Ich habe sie gefragt, ob ich mit den beiden jungen Männern reden dürfte. Sie haben mir ihre Namen und Adressen genannt und mich gebeten, Sie zu informieren. Deshalb bin ich hier. Man hat sie ins Pierre-Levée-Gefängnis nach Poitiers gebracht. Das ist alles, was ich weiß.«

      Meine Mutter war außer sich vor Sorge. Sie war davon überzeugt, dass Fred zurück ins Kriegsgefangenenlager geschickt oder vielleicht sogar erschossen werden würde, falls jemand Verdacht schöpfte. Sobald wir konnten, besuchten wir ihn und waren erleichtert, beide bei guter Gesundheit und in bester Stimmung anzutreffen.

      »Mach dir doch nicht so viele Gedanken, Maman«, schalt Fred unsere Mutter, die mit den Tränen kämpfte. »Glaub mir, alles wird gut.«

      Zum Glück waren

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