Im Land des Feindes. Marthe Cohn
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Auch bei unseren ersten Verabredungen schien er nicht im Geringsten daran zu zweifeln, dass wir ein Paar werden würden. Er fühlte sich mehr zu mir hingezogen als ich mich zu ihm, aber je öfter wir uns trafen, desto mehr Gefallen fand ich an ihm.
Im Sommer waren meine Schwestern und ich regelmäßig bei den Brüdern Giraud, die wir durch das örtliche Jugendherbergswerk kannten. Sie wohnten direkt am Clain, in dem man herrlich baden konnte. An einem wunderbaren Sommernachmittag, an dem jeder Gedanke an den Krieg in der flirrenden Hitze verblasste, ließ ich mich im Fluss treiben, als ein paar Jungen aus unserer Clique zu mir herüberschwammen und mich untertauchten. Ich bekam sofort Wasser in Mund und Nase, aber das machte mir nichts aus. Lachend und prustend kam ich wieder an die Oberfläche. Ich war eine gute Schwimmerin und konnte einen solchen Spaß wegstecken.
Aber Jacques, der uns vom Ufer aus zusah, bekam offenbar einen Riesenschrecken. Ehe ich etwas sagen konnte, sprang er ins Wasser und stieß die anderen Jungs beiseite.
»Lasst gefälligst Marthe in Ruhe!«, schrie er wütend und zog mich an sich. »Sehr ihr nicht, dass sie genug hat?«
Während ich mir das nasse Haar aus dem Gesicht strich, sah ich ihn halb empört, halb fasziniert an. Niemand war je so beherzt für mich eingetreten, nicht einmal Fred. Aus irgendeinem Grund machte mich diese ritterliche Geste überglücklich.
Danach sahen wir uns täglich. Wir unternahmen Spaziergänge oder Radtouren in der Umgebung von Poitiers; wir gingen mit unseren Freunden schwimmen oder paddeln. Und als wir einmal allein im Wald picknickten, machte mir Jacques einen Antrag.
»Sei nicht albern!«, rief ich und rückte unwillkürlich von ihm ab. »Dafür ist es noch viel zu früh. Wir kennen uns doch kaum. Und außerdem gibt’s da ein schwerwiegendes Problem. Du bist kein Jude. Meine Mutter würde mir nie erlauben, einen Nichtjuden zu heiraten.«
»Wenn’s weiter nichts ist. Dann konvertiere ich eben.« Seine dunklen Augen blitzten. »Ich bin kein bisschen religiös. Ich bin nicht mal getauft. Meine Eltern auch nicht. Mein Großvater wurde exkommuniziert. Der Pfarrer sorgte dafür, dass sich sämtliche Mitglieder der Kirchengemeinde von ihm distanzierten. Das hat ihn ruiniert. Daraufhin hat meine Familie mit der katholischen Kirche gebrochen. Ich kann diese Pfaffen mit ihren komischen Soutanen und klobigen Schuhen nicht ernst nehmen. Bitte gib mir eine Chance und hab etwas Geduld. Wenn du mich erst mal besser kennenlernst, wirst du einsehen, dass ich der perfekte Ehemann für dich bin.«
Obwohl ich bei meinem Nein blieb, protestierte ich von da an nicht mehr so vehement, wenn er über seine Pläne für unsere gemeinsame Zukunft sprach.
So sehr ich auch versuchte, jeden Gedanken an den Krieg auszublenden, um mein privates Glück zu genießen, konnte ich nicht die Augen davor verschließen, dass der Druck auf die einheimische Bevölkerung stetig zunahm. Nachdem die Deutschen im Juni 1941 den Hitler-Stalin-Pakt gebrochen und die Sowjetunion überfallen hatten, verschärfte sich das Klima im Land schlagartig. Ich versuchte meine Mutter zu beruhigen: »Versteh doch, die Lage verschlimmert sich nur, weil sie den Krieg gegen die Sowjets verlieren. Es wird bald vorbei sein, glaub mir.« Doch es gelang mir nicht, sie zu überzeugen.
Im gleichen Sommer ließ Marschall Pétain 12.000 Juden wegen »planmäßiger Hintertreibung der französisch-deutschen Kooperation« verhaften. Dann erließen die Deutschen eine Reihe neuer antijüdischer Verordnungen. Langsam zog sich die Schlinge zu. Fast täglich folgten weitere Vorschriften, die strikt befolgt werden mussten. Nicht genug, dass sie Häuserwände und Bäume mit Anschlägen zupflasterten, jetzt wurde uns auch noch die Benutzung von Radios, Schreibmaschinen und Telefonen verboten, weshalb wir die Geräte im Büro unseres Vaters versteckten. Wir durften erst nach 16.30 Uhr ein Geschäft betreten, was zur Folge hatte, dass wir beim Einkaufen praktisch vor leeren Regalen standen. Glücklicherweise gab es nette Ladenbesitzer, die etwas für uns zur Seite legten, obwohl sie sich damit in große Gefahr brachten. Es war uns untersagt, öffentliche Orte wie Restaurants, Cafés, Bibliotheken, Markt- oder Sportplätze aufzusuchen. Wir durften weder Straßenbahn fahren noch ein Kino betreten. Selbst in Gärten und Parks durften wir uns nicht aufhalten. Diese ganzen Einschränkungen empörten mich zutiefst.
Als Hauptmann Allemann mir wieder einmal eine Arbeitsstelle in Berlin schmackhaft zu machen versuchte, war ich die Farce endgültig leid.
»Ich kann nicht nach Berlin gehen«, erklärte ich mit einem unschuldigen Lächeln. »Ich bin nämlich Jüdin.«
»Das kann nicht sein!«, protestierte er. Sein Mund klappte auf und zu, als wäre er ein Karpfen, der verzweifelt nach Luft schnappt. »Ich rieche einen Juden zehn Meter gegen den Wind.«
»Dann riechen Sie noch mal genau hin«, erwiderte ich seelenruhig. Der Abscheu in seinem Blick entging mir nicht. »Aber jetzt verstehen Sie sicher, weshalb ich nicht nach Berlin gehen kann.«
Der Hauptmann, der eine Tochter in meinem Alter hatte, war immer wie ein Vater zu mir gewesen. Jetzt stellte ich unser gutes Verhältnis auf eine harte Probe.
»Nun ja, vielleicht gab es ja unter Ihren Vorfahren jemanden, der möglicherweise Jude war«, überlegte er laut. Er sah mich fast beschwörend an, als hoffe er auf meine Zustimmung.
»Nein, Herr Hauptmann«, erwiderte ich trotzig. »Ich bin Jüdin. Meine Eltern sind ebenfalls Juden. Ich stamme aus einer sehr alten jüdischen Familie. Mein Großvater war Rabbiner. Ich bin stolz auf meine Herkunft.«
Das Gesicht des Hauptmanns lief dunkelrot an. »Ich kann das einfach nicht glauben!«, rief er. Seine Oberlippe zuckte. »Ich will nichts mehr davon hören. Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen.« Dann stapfte er aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Aufgewühlt, aber erhobenen Hauptes, verließ auch ich sein Büro. Es bereitete mir eine große Genugtuung, ihn so aus der Fassung gebracht zu haben.
Ein paar Tage später marschierten die groß gewachsenen deutschen Feldgendarmen in unser Büro. Sie trugen glänzende Metallplaketten an dicken Ketten um den Hals und hatten Gewehre mit aufgepflanzten Bajonetten auf uns gerichtet. »Alle Juden raus! Sie haben eine Stunde!«
Monsieur Grelet sprang von seinem Stuhl auf. »Aber wir können auf diese Mitarbeiter unmöglich verzichten«, sagte er zu dem anwesenden Offizier. Er warf mir einen verzweifelten Blick zu. »Lassen Sie mir wenigstens Mademoiselle Hoffnung. Ich brauche sie.«
Der Offizier schüttelte den Kopf. »Ich habe meine Befehle«, sagte er steif.
Nachdem Monsieur Grelet und meine Kollegen vergeblich versucht hatten, ihn umzustimmen, blieben mir noch dreißig Minuten, um meinen Schreibtisch zu räumen.
Es war ein schwerer Schlag für mich, auf diese Art meine Arbeit zu verlieren. Ich dachte immer, dass mir meine Stelle sicher wäre. Schließlich gab es außer einer Handvoll Juden niemanden in Poitiers, der Deutsch sprach.
Nachdem ich meine Sachen zusammengepackt hatte, nahm ich Hut und Mantel und verließ das Büro. Dann ging ich zur Kommandantur und verlangte, Hauptmann Allemann zu sprechen. Ich wollte diese letzte Chance nutzen, um ihn zur Rede zu stellen. Zu meiner Überraschung wurde ich sofort in sein Büro geführt. Er stand halb von mir abgewandt am Fenster, aber ich konnte sehen, wie sein Unterkiefer mahlte. Zweifellos erwartete er, dass ich ihn anflehen würde, mir meine Arbeit zu lassen. Aber das war ganz und gar nicht meine Absicht.
Ich straffte die Schultern und sagte: »Sie müssen mächtig stolz auf sich sein.«