Reader Belletristik. Picus Verlag
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Dann solle sie einmal schauen, wie das sei bei einer Sau, meinte die Kleine. Die Sau sei riesengroß, und die Ferkel, die bei ihr herauskämen, seien kaum größer als ein Kinderfuß. Wenn das stimmen würde, was die Größere meine, dann müssten die Babys so klein wie frisch geworfene Ferkel sein, oder noch kleiner, und warum das Zusammentun der Lulus dafür notwendig sein sollte, verstand die Kleine noch weniger.
Aber als sie wieder daheim war vom Krankenhaus, redete sie kein Wort mit der Mutter, und Zucker stellte sie auch keinen mehr aufs Fensterbrett und schnitt auch keine Putzerln mehr aus dem Quelle-Katalog heraus. Vielleicht war doch was dran an dem, was die Große ihr im Krankenhaus erzählt hatte. Und als sie nicht mehr daran glaubte, dass der Storch ihr eine Schwester bringen würde, holte sie eines der kleinen Ferkel aus dem Saustall, zog ihm ein Puppenkleid an und faschte seine Hinterhaxerln ein, als wären sie gegipst. So konnte es nicht davonlaufen. Sie legte das kleine Schwein in ihren Puppenwagen und fuhr mit ihm im Dorf herum, als wäre es die kleine Schwester.
Die Kleine wollte nie Milch trinken, dabei hätte sie das Kalzium dringend gebraucht zur Stärkung ihrer schwachen Knochen. Aber im Schwarz-Weiß-Fernsehen sah sie immer die Werbung für Ovomaltine und meinte, die würde ihr auch schmecken. Die Mutter sagte, sie habe Ovomaltine gekauft und würde der Kleinen eine aufgießen, wenn sie wolle. Die Kleine wollte das Packerl sehen, aber die Mutter zeigte es nie her und sagte, wenn ich es dir zeige, dann isst du das Pulver ohne Milch auf. Anders als beim Bensdorp-Kakao, den die Mutter stehen lassen konnte, weil das braune Pulver sowieso bitter schmeckte und erst mit Zucker und Milch angerührt werden musste. Immer ist die Mutter mit der heißen Milch in die Speisekammer gegangen und hat das Getränk dort zubereitet. Und die Ovomaltine, mit der sie herauskam, war gelb und süß. Das Kind hätte so gerne einmal vom Pulver gekostet, aber nie, nie zeigt die Mutter es ihr.
Als sie später einen Farbfernseher bekamen, sah die Kleine, dass Ovomaltine nicht gelb, sondern braun ist, und die Mutter gab zu, dass sie der Kleinen eine heiße Milch mit einem verquirlten Eidotter und Zucker als Ovomaltine angedreht hatte.
Die Mutter kaufte auch immer Korona-Kaffee. Das war ein Feigenkaffee mit Malz, der in einem rot-weiß karierten Papiersack verpackt war. Ganz unten drin war immer eine Figur aus Plastik versteckt, die die Kleine unbedingt haben wollte. Bei jeder neuen Packung flehte sie die Mutter an, sie möge den Papiersack doch auf den Kopf stellen und auf der verkehrten Seite aufmachen, aber die Mutter ließ sich nie breitreden und meinte immer nur, die Kleine werde wohl warten können. Aber die Kleine konnte nicht warten, und immer am Abend, wenn die Mutter zur Stallarbeit ging, bohrte sie mit einem großen Löffel im gepressten Malz und verschüttete das halbe Pulver, das so aufgelockert sowieso nicht mehr in den Papiersack gepasst hätte. Die Mutter merkte natürlich sofort, was die Kleine angestellt hatte, weil der ganze Schiffboden in der Stube sandig war von den kleinen Körnern. Jedes Mal watschte sie die Kleine ab, wie es sich gehörte, links und rechts auf die Wange, dass es nur so patschte, aber die Kleine muckste nicht, sie nahm die Watschen in Kauf für die neue Figur, die sie zum Spielen aus dem Pulver ausgegraben hatte. Ein wildes Tier wie einen Löwen, eine Giraffe oder ein Nashorn für den Zoo, oder Ritter mit Schwertern, Indianer mit Pfeil und Bogen, oder Sheriffs mit einem Colt. Die menschlichen Figuren waren meist in einem Zinnoberrot gehalten, die wilden Tiere in einem Malzkaffeebraun.
Wenn die Mutter Brot buk, durfte niemand vom frischen, duftenden Laib ein Stück abschneiden, solange vom alten Brot noch etwas vorhanden war. Am nächsten Tag schmeckte das frisch gebackene Brot aber auch nicht viel anders als das altbackene, aber es war ein Prinzip der Mutter, dass immer das alte zuerst gegessen werden musste. Erst wenn es weg war, gab es das frische, das dann auch schon alt war.
Die Mutter führte ein strenges Regiment über Kaffee und Brot, aber manchmal, wenn das neue Brot zum Auskühlen in der Speis lag und die Mutter nicht im Haus war, weil sie im Garten noch Unkraut jätete oder den aufgeschossenen Salat für die Hühner ausstach und klein schnitt, kam es vor, dass sich alle anderen in die Speis schlichen und ein Stück vom frischen Brot herunterrissen. Dann standen der Vater, der Bruder und die Kleine gemeinsam in der Speis und mampften das frische, dampfende Brot, bis kaum mehr etwas davon übrig war. Sie lachten dabei, weil sie schon wussten, welch ein Gezeter die Mutter veranstalten würde, sobald sie es bemerkte. Sie ärgerte sich, weil vom frischen Brot immer mehr gegessen wurde als vom alten, und wenn der Vater meinte, sie könnte ja gleich mehr Brot auf einmal backen, sagte die Mutter, er habe keine Ahnung, wie anstrengend und zeitaufwendig das Kneten sei.
Die Mutter war streng und hart, zu hart für ein verweichlichtes Krankenhauskind. Zum Glück hatte die Kleine die Großmutter, bei der sie schlafen durfte, nachdem der Großvater gestorben war. Zur Mutter hatte sie nie ins Bett dürfen, weil die ihren Schlaf brauchte. Zum Vater hätte sie jederzeit kommen können, aber das war der Mutter auch nicht recht, weil die Kleine im Schlaf strampelte und wie wild auf sie hintrat im Ehebett.
Solange der Großvater noch lebte, musste die Kleine bei den Eltern im Zimmer in einem Gitterbett schlafen, und sie pinkelte oft ins Bett, weil sie träumte, sie gehe auf den Topf, und dann ließ sie es rinnen und wachte auf, weil alles warm und feucht war unter ihr. Wenn sie dann die Mutter weckte und ihr sagte, was passiert war, gab es ein paar Arschfeigen auf den blanken, nassen Hintern, und die Mutter zeterte herum, was sie alles zu waschen hätte, und der kleine Nichtsnutz macht ihr nichts als Arbeit, und seit er auf der Welt ist, hat er nichts als Arbeit gemacht mit seinen verkrüppelten Beinen und seinem verkrüppelten Kopf, in dem nur dumme Gedanken drinnen sind, und nicht einmal zur Arbeit taugt das Gfrast, weil es so ungeschickt ist. Wer nicht rechtzeitig gehen lernt, bleibt ein Hinderling, der kann nie mehr richtig zupacken im Leben.
Der nächtliche Arschbackenstreich und der Wortschwall der Mutter waren anstrengend für die Kleine, und sie sann nach einer anderen Lösung, wenn sie im Traum auf dem Topf saß. Im Schlafzimmer gab es keinen Ofen, aber jeder schlief mit einer Heizmatte im Bett. Die Kleine hatte auch so ein wärmendes Unterbett und wenn in der Nacht der Topftraum kam und die Matratze der Topf war, rief sie bald nicht mehr nach der Mutter, sondern langte nach dem Schaltknopf der Wärmematte, und sie ließ das Wärmebett so lange eingeschaltet, bis alles wieder trocken war.
Und wenn die Mutter nach mehrmaligem Einnässen die gelben Flecken sah und roch, dann sagte die Kleine, sie wisse von nichts, sie habe wohl alles verschlafen.
Mit dem Klogehen war es überhaupt so eine Sache. In der Nacht gab es den Topf, der wie eine Salatschüssel aus Email aussah, den die Kleine aber fast nie brauchte. Der Topf stand unter dem Elternbett und war nur für die kleinen Sachen erlaubt. Im Haus gab es kein Klo, dafür gab es draußen zwei davon. Eines hinter dem Schweinestall, komplett aus Holz, aber da waren die einzelnen Bretter schon so geschrumpft, dass die Seiche zwischen den Ritzen vorne wieder herausgespritzt ist, wenn man sich oben auf das Loch draufgesetzt hat. Und dann waren die Beine ganz nass und haben gejuckt von dem vielen Seichsalz drauf. Das andere Klo war im Wirtschaftsgebäude im Hof, es war gemauert und hatte nur das Sitzbrett aus Holz und sogar einen Deckel, damit es nicht so heraufstank aus der Jauchengrube. Dorthin ging die Kleine lieber, aber Angst hatte sie immer, dass nicht nur ihre Wurst, sondern sie als Ganze hinunterfallen könnte durch das Loch und in die stinkende Grube hinein. Deshalb suchte sie sich für die kleinen Sachen einen anderen Platz, unter den Büschen hinter dem Haus, und weil sie dort immer auf den gleichen Platz ging, entstand von ihrem Strahl bald ein Loch in der sandigen Erde. Jedes Mal füllte sie das Loch auf zu einem kleinen See mit ihrem gelben schaumigen Strahl. Wenn sie größer würde und das Loch immer weiter aushöhlte, würde einmal ein großer See daraus werden und im Sommer könnte sie dann hinter dem Haus schwimmen gehen in die schaumgekrönten Wellen.
Dem Vater machte es nichts aus, auf dem stinkenden Klo zu sitzen. Er sagte, es stinkt nicht, wenn er draufsitze, weil er mit seinem Trumm Hintern sowieso das ganze Loch abdecke wie ein Abortdeckel. Er ließ die Tür auch immer sperrangelweit offen, weil er mitkriegen wollte, was sich so tat im Dorf, wenn er auf seinem Thron saß.
Tito,