Maria Rosenblatt. Corinna T. Sievers

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Maria Rosenblatt - Corinna T. Sievers

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einander des Mundraubes, Marias Gedanken wanderten ab, ihr müsst euch liebhaben, und was ist mit Hannes und ihr?

      Schon war die Gurke vergessen, die Kinder lachten wieder. Wie schnell sie vergeben, dachte Maria und stand auf, ging zum Kühlschrank, vielleicht war etwas vom Mittag übrig, sie entdeckte ein Schälchen Risotto, stellte es in die Mikrowelle.

      Ob sie fernsehen dürften? Heinrich war aufgesprungen, legte seinen Kopf auf ihren Bauch, bitte, Mama, Maria vergaß ihre Vorsätze: Na gut, sie brauchte einen Moment Ruhe, aber nur eine Viertelstunde, Kinder. Dann bringe ich euch ins Bett, versprich mir, Heinrich, dass du dich heute bemühst, schnell einzuschlafen.

      Sie aß im Stehen, räumte die Teller in die Spülmaschine. Als sie sich aufrichten wollte, schien das unmöglich, plötzlich glaubte sie, vor Erschöpfung umzufallen. Sie gab sich einen Ruck, trat noch einmal an den Kühlschrank, fand einen angebrochenen Gewürztraminer, schenkte sich zwei Dezi ein, dann noch einmal zwei, setzte sich an den Tisch und begann, in der Zeitung zu blättern, exakt gefaltet und im rechten Winkel zu den Tischkanten liegen geblieben. Auf der vorletzten Seite die Sterbeanzeigen.

      An Tagen wie diesem stellt sie sich vor, ihr Name stehe dort, oder gemeißelt in einen der Grabsteine beim Steinmetz an der Seestraße. Einmal hatte sie seinen Laden betreten und einen schwarzen Monolithen angezahlt. Der Steinmetz lächelte milde, als sie den Auftrag am nächsten Tag stornierte.

      Abends im Bett hatte sie Hannes gefragt, ob es ihm auch so ginge, dass er die Toten um ihre Ruhe beneide; Hannes war Psychiater und kannte sich aus mit den Abgründen der Seele, aber nicht mit Marias. Er faltete die Hände im Schoß, setzte zu einem Vortrag an, die Suizidalität sei traumatisch bedingt, teilweise auch erblich. Sei ein Patient betroffen, versuche man es mit Psychotherapie und Psychopharmaka. Trotzdem komme es immer wieder vor, dass der Psychiater den Erkrankten verlöre. Maria warf ein, es sei doch wohl eher der Patient, der sich selbst verlöre. Hannes winkte ab, vor kurzem habe ein Depressiver seinem Leiden ein Ende gesetzt, indem er die ganze Packung Antidepressiva schluckte, er lachte laut, was selten vorkam.

      Daraufhin hatte sie das Licht gelöscht und gegrübelt, welches ihr Trauma sein mochte, ihr fielen nur Männer ein, besonders derjenige, der neben ihr lag; am nächsten Tag ging sie zu ihrem Hausarzt und bat um ein Antidepressivum. Das liegt seither ganz hinten in der Badezimmerschublade.

      Sie stieg die Treppe hinauf, ihr Bad liegt unter dem Dach, entkleidete sich. Wenigstens bleibt ihr erspart zu waschen, das macht die Haushaltshilfe aus Chile. Sie warf alles in die Wäschetonne, fuhr mit dem Zeigefinger unter der Achsel entlang, es war Zeit, sich zu rasieren, sie nahm sich vor, nicht länger als bis zum Wochenende zu warten. Sie drehte den Hahn auf, stieg in das heiße Wasser, ließ sich sinken und schloss die Augen, jetzt nicht an die missbrauchten Kinder denken, in ihrem Kopf tauchte auf: der Kaschmirmantel.

      Ein Räuspern, sie schrak zusammen, zog die Hand zwischen den Schenkeln hervor und bedeckte ihre Vulva. Vor der Badewanne stand Hannes.

      Immer schleiche er sich an, sie legte den anderen Arm über die Brüste, früher, als sie noch miteinander schliefen, hätte sie sich nicht geschämt, vor seinen Augen zu masturbieren.

      Er solle sie bitte noch fünf Minuten allein lassen, Marias Stimme kläglich und anklagend. Sie dachte, nur er ist imstande, mich in einen kleinmütigen Menschen zu verwandeln. Hannes sagte kein Wort und verließ das Badezimmer.

      Das Wasser war kalt geworden, das Bild des Fremden verschwunden. Maria fror, sie erhob sich, stieg aus der Wanne, griff nach einem Handtuch und trocknete sich ab, Gesicht, Schenkel, Brüste, die Brustwarzen schmerzhaft geschwollen in der Mitte des Zyklus. Sie strich mit der Fingerspitze darüber, noch könnte sie ein Kind haben, manchmal sehnte sie sich danach.

      Dreimal war sie schwanger geworden, wenn sie das Kind mitzählte, dessen Leben endete, bevor es begann. Maria mit achtzehn noch nicht bereit, der Erzeuger ein Halbkrimineller, von dem sie sich aus Trotz hatte ficken lassen, ihre Mutter war außer sich. Noch immer betet Maria für dieses Kind – sie nennt es das Verlorene – und für sich selbst, wenn Scham und Schuld über sie kommen.

      Sie schlüpfte in ein Nachthemd aus türkiser Seide. Keinen Erdentag hatte es sehen dürfen, losgebrochen von ihr und mit blinden Augen entsorgt. Lieber Gott, es hat ihm doch nicht wehgetan? Sie stand vor dem Spiegel, ließ die dünnen Arme herabhängen und wartete auf Antwort, aber Gott schwieg, oder es gibt ihn nicht, dachte sie.

      Die Tür flog auf, Heinrich und Elisabeth in ihren Schlafanzügen, sie drängten sich vor an das Waschbecken. Maria zog das Mädchen an sich, beugte sich hinab und schob ihre Nase in das weiche Haar, so duften nur Kinder. Sie richtete sich auf und begann, Elisabeth einen Zopf zu flechten, strich einmal mit dem Kamm durch das kurze Haar des Jungen: »Zeit, zu Bett zu gehen, Kinder.«

      Die Kinder liefen ihr nach, sangen, hüpften ins Schlafzimmer, kletterten in ihre Betten, am Kopfende stand ein Sessel, in den Maria sich setzte.

      Das Buch vom Vorabend lag auf dem Boden, Hänsel und Gretel, schwarzweiß illustriert, von einer Düsternis, die Maria schaudern ließ, die Kinder aber verlangten danach, ungerührt vom Elend der anderen, solange sie selbst geborgen sind.

      Maria begann vorzulesen. In ihrem Kopf: andere Kinder. Schlafen sie nur oder sind sie tot? Mitten in der Geschichte fielen Elisabeth die Augen zu, Maria mit bemühter Strenge: »Für dich ist jetzt auch Schluss, Heinrich.«

      Er streckte die Hand nach ihr aus: »Mamachen, komm zu mir«, Maria nickte, obwohl sie wusste, dass Hannes es hasste, wenn sie das Kind verwöhnte, sie legte sich neben Heinrich und umfasste den kleinen, mageren Körper.

      Kurz nach Mitternacht schreckte sie zusammen, die Arme noch immer um den Sohn geschlungen. Sie bettete den kleinen Körper, schlich aus dem Raum in ihr Schlafzimmer, legte sich neben Hannes, er kehrte ihr den Rücken zu: »Hannes?« Sie sei drüben eingeschlafen, er solle entschuldigen.

      Sie lag regungslos, Hannes begann zu schnarchen, Maria starrte noch lange in die Dunkelheit.

      Am nächsten Tag erwachte sie vor sechs, rollte ein Stückchen hinüber auf Hannes’ Seite, ihre Lippen an seinem Ohr: Sie stelle ihm den Wecker, ob er die Kinder fertigmachen könne, sie müsse heute pünktlich auf dem Revier sein. Sie spürte seine Wärme, hielt einen Moment inne, angezogen von seinem Geruch. Dann seine Hand an ihrer Brust, doch war sie nicht gekommen, um zu liebkosen. Die Hand schob Maria fort.

      Maria wich zurück, setzte die Füße auf den Boden, streifte das Nachthemd ab und warf es aufs Bett, nackt ging sie ins Bad.

      Später in der Garderobe stand sie vor Hannes’ Mänteln und dem des Fremden, nahm ihn vom Bügel, legte ihn über die Schultern, atmete seinen Duft. Ihr war, als sei er schwächer geworden, in ein paar Tagen wäre er verflogen.

      Hannes kam die Treppe hinab, blau-grün karierter Morgenrock, dunkelgrüne Pantoffeln, er schüttelte den Kopf: Was sie da anhabe, ob der Mantel neu sei, er ist ja viel zu groß. Maria: Er sei nur geliehen, ja dann, bis heute Abend, ein flüchtiger Abschiedskuss.

      Als sie das Auto auf der Einfahrt zurücksetzte, kam die Sonne hervor, Hannes stand an der Tür, von weitem ein alter Mann.

      Detlef war schon im Büro, dabei hatte Maria gehofft, noch eine halbe Stunde für sich zu haben. Er saß am Schreibtisch und hob den Kopf, es gebe schlechte Nachrichten. Maria sagte abwesend: »So?«, zog den Mantel aus, hängte ihn an die Garderobe, strich mit dem Handrücken über die Wolle. Detlef stand auf und stellte sich neben sie. Der Kaffeeautomat ist defekt, er lachte laut, Maria roch seinen Atem, sein Aftershave.

      Detlef: Er gehe jetzt nach unten in die Halle und hole ihnen Kaffee

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