Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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betrat ich den Hauptgang auf der dritten Ebene. Ich musste dem Gang nicht lange folgen, bis ich mit eigenen Augen sah, wovon Limbania berichtet hatte: Der Pelz war tot. Viele Süchtige hatten sich bereits an seinem Fleisch gütlich getan, aber keiner hatte sich das genommen, weswegen ich gekommen war: sein Fell.

      Die folgenden Stunden verbrachte ich damit, dem Pelz das Fell abzuziehen. Ich gönnte mir erst dann eine Pause, als die Arbeit getan war. Müde und hungrig zog ich mich in mein Versteck zurück, legte mich auf das warme, weiche, aber auch zum Teil blutverkrustete Fell und schlief fast sofort ein. Zuvor aber nahm ich den Schlüssel aus der Hosentasche und schloss ihn in die Faust.

      Ich machte mir aus dem Fell einen Mantel. Den Kopf des Bären trug ich auf dem Rücken oder wie eine Kapuze über dem Haupt. Seine Vorderbeine nähte ich zu Ärmeln um. Als ich damit fertig war, nahm ich meine wertvollsten Habseligkeiten: Zigaretten, Geld, Gewürze und mein Messer. Ich legte mir den Flammenwerfer an, befestigte die Düse an der rechten Hand und warf mir den Bärenfellmantel über. Die mörderische Waffe wurde nun vollständig von dem Kleidungsstück verborgen.

      Immer noch fielen die Bewohner des Unterrumpfes vor mir auf die Knie. Töten oder getötet werden. Die Regel galt nicht mehr für mich.

      Erst als ich die Dealertür erreichte, zog ich mir den Bärenkopf über das Haupt. Ich klopfte an die Tür, und der Dealer schob die Klappe auf.

      „Ja?“

      Ich steckte die Düse in die Öffnung und betätigte den Abzug. Das Kreischen des Mannes klang, als lache er über einen sehr schmerzhaften Witz. Ich hörte ihn davonlaufen. Hörte, wie er sich zu Boden warf, um wie bislang jedes Opfer des Flammenwerfers vergeblich zu versuchen, die beißenden Dämonen zu ersticken.

      Dann wurde es still, und der vertraute Geruch nach gebratenem Fleisch drang durch die Tür. Ich holte den Schlüssel hervor und schob ihn ins Schlüsselloch, holte einmal tief Luft und drehte ihn herum. Es klickte. Ich packte die Klinke und zog die Tür auf. Ein Luftzug schwebte an mir vorüber wie ein Geist, der mir spielerisch über das Gesicht strich. Ich konnte das Meer riechen, trotz des Geruchs nach verbranntem Fleisch in der Luft. Es roch frisch und salzig, nach Sonnenlicht und Freiheit. Meine Unterlippe zitterte. Ich trat durch die Tür und folgte dem Gang, vorbei an der verkohlten Leiche des Dealers. Bald gelangte ich an eine Treppe. Als ich den rechten Fuß auf die erste Stufe setzte, erstarrte ich mitten in der Bewegung. War das der Schrei einer Möwe gewesen? Ich spitzte die Ohren und nun hörte ich auch andere Geräusche. Rufe von Menschen. Von Menschen, nicht von Süchtigen! Und das Rauschen der Wellen. Das Knattern von Segeln.

      Ich spürte einen Kloß im Hals. Ich machte mich an den Aufstieg und gelangte vor eine Tür. Gleißend weißes Licht drang durch das Schlüsselloch und unter dem Türspalt hervor. Das Licht der Sonne. Meine Augen brannten. Ich überlegte, mich hinzuknien und mein Gesicht darin zu baden. Aber wozu? Ich brauchte nur die Tür zu öffnen und würde umströmt vom warmen Sonnenlicht. Ich drückte die Klinke herunter.

      Die Tür war verschlossen.

      „Nein.“ Meine Stimme war heiser. „Nein, nein, nein.“ Vielleicht hatte der Dealer ja einen Schlüssel bei sich. Ich hastete die Treppe hinab zu der Leiche und durchsuchte ihre Taschen. Nichts. Ich erinnerte mich an Limbanias Worte. Gibt es wirklich eine Tür, die Euch aufzuhalten vermag? Ich blickte auf zu der Tür. Sie war aus Eisen und sah sehr massiv aus. Vor einigen Tagen, als das schwarze Perl noch in meinen Adern geflossen war, hätte ich sie vielleicht auftreten können. Nun aber …

      „Vergiss es“, sagte Hunger gelangweilt. „Dachtest du wirklich, der Unterrumpf gibt dich her? Du bist der Herrscher der Perlsüchtigen. Du kannst nicht einfach gehen. Die Dunkelheit ist dein zu Hause. Dein Königreich.“

      Ich ging zurück zur Treppe. Ich musste es wenigstens versuchen. Auf halber Höhe zur Tür spürte ich etwas Schweres in der Hosentasche, das gegen meinen Schenkel schlug. Der Schlüssel zur Dealertür. Vielleicht konnte er auch diese Tür öffnen. Ich holte ihn hervor, legte den Rest des Weges drei Stufen auf einmal nehmend zurück und steckte den Schlüssel ins Schloss. Er passte. Ich holte erneut tief Luft und drehte ihn herum.

       Blackworth

      Rauschen und Surren. Jeder Insasse von Zellenblock 13 wartete, dass End fortfuhr. Aber End starrte auf seine Hände, offenbar von der eigenen Erinnerung überwältigt.

      „Und?“, fragte der Sänger. „Wie geht es weiter? Hast du das Sonnenlicht gesehen?“

      End schwieg. Fernes Donnergrollen antwortete an seiner statt.

      „Das Sonnenlicht“, murmelte er schließlich und seufzte schwer. Er hob die Arme, und die schweren Ketten an den Handgelenken klirrten, als er sich mit den Händen über den rasierten Schädel fuhr. „Ja, ich habe es gesehen. Ich habe es gefühlt. Ich konnte es schmecken. Das war der schönste Moment meines Lebens. Nie hatte ich etwas Vergleichbares erfahren und nie wieder sollte mir etwas annähernd Schönes widerfahren.“ Er sah dem Sänger in die Augen. In seinem Blick lag tiefe, tiefe Trauer.

      Er hat aufgegeben, dachte der Sänger. Wie soll jemand wie er uns zum Sieg gegen den Schwarzen Baron führen?

      „Wir sehen und fühlen das Sonnenlicht jeden Tag, ohne uns über seine Schönheit im Klaren zu sein“, sagte End. „Dieser Tage, da oft dunkle Wolken den Himmel verdecken, habt ihr vielleicht eine Ahnung, wovon ich spreche. Und dennoch …“ Wieder seufzte er schwer. Der Laut kündete von dem Bedürfnis nach frischer Kraft. „Wenn ich bedenke, was ich getan habe, wünschte ich, ich wäre im Unterrumpf geblieben. So wurde ich doch bloß zur Marionette des Schwarzen Barons …“

       End

      Das Sonnenlicht umflutete mich. Mir war, als stünde ich in einem reißenden Strom gleißend weißen Glücks. Es war warm. So wunderbar warm. Ich wankte. Stürzte beinahe zurück in den Treppengang. Ich tat einen Schritt nach vorn, und aus dem gleißenden Licht, das die Welt vor meinen Augen verschluckte, schälten sich Formen. Die Umrisse von Menschen. Von Masten und Schiffsaufbauten. Ich atmete tief ein, roch das Salz des Meeres und die Ferne. Leiser Wind kam auf, ließ die Haare meines Pelzmantels zittern und strich spielerisch durch die Strähnen meines langen, grauen Haares. Der zärtliche Willkommensgruß eines lang vermissten Freundes.

      Ich sank auf die Knie. Hielt mir die Hände vor das Gesicht und betrachtete sie im Licht der Sonne. Meine Haut war so weiß, dass sie blendete. Ich kniff die Augen zusammen. Eine Träne fiel heraus und zerplatzte auf meiner Handfläche. Funkelnd brach sich das Sonnenlicht in den vielen kleinen Tröpfchen, als wären sie winzige Juwelen. Ich blinzelte mehrmals, und weitere Tränen liefen mir aus den Augen über die Wangen.

      Ich, Godric End, König der Perlsüchtigen und Bezwinger des Pelzes, weinte beim Anblick meiner eigenen Tränen.

      Mühsam kam ich auf die Beine. Ich wankte über das Deck. Noch immer sah ich kaum etwas. Meine Augen wollten sich nicht an das Licht gewöhnen. Möglicherweise bemerkte man mich, aber entweder verunsicherte ich jene, die mich sahen, oder ich interessierte sie nicht. Es wurde sehr warm unter meinem Umhang.

      Ich erreichte die Reling und hielt mich daran fest. Vor mir glitzerte die Meeresoberfläche. Es war schön. So unfassbar schön. Keinen Schatz der Welt hätte ich gegen diesen Anblick eingetauscht. Die See lag ruhig vor mir. Ich hätte dort stundenlang stehen können.

      Eine Möwe kreischte. Hatte je ein Vogel so schön gekreischt? Ich schloss die Augen, gönnte ihnen eine kurze Pause, und konzentrierte mich auf das, was ich hörte. Schritte auf dem Deck. Jemand rief, und der Ruf verlor sich in der Ferne.

      Ferne.

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