Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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der dort wartete. Vor meinem inneren Auge sah ich die Perlsüchtigen, die zu dutzenden den Gang füllten und ihre Rücken gegen die Wand drückten. Sie konnten das schwarze Perl also spüren. Sie rochen es, vielleicht sahen sie es auch durch die Wände hindurch oder fühlten seine Gegenwart.

      Mir sank der Mut. Ich kroch wieder rückwärts und folgte einem anderen Schacht. Ich überlegte noch, ob dieser nicht genau neben dem Hauptgang verlief, auf dem der Pelz lebte, als wahnsinniges Gebrüll meine Vermutung bestätigte. Im nächsten Moment durchlief eine heftige Erschütterung die Wände des Konstruktionsschachtes, als sich die Bestie mit ihrem gesamten Gewicht von der anderen Seite dagegen warf. Es knirschte. Mehrere Nieten sprangen aus der Wand, als diese sich wölbte, und schossen Projektilen gleich durch den Schacht. Panisch kroch ich vorwärts. Wieder warf der Pelz sich gegen die Wand. Kurz bevor ich das Ende des Schachtes erreichte, erschien dort das bleiche Gesicht eines Perlsüchtigen.

      „Da bist du jaaaa!“, kreischte er und streckte seine Hände in den Schacht. „Gib es mir! Gib es miiir!“ Weitere Gesichter erschienen, weitere Hände quetschten sich durch die Mündung. Das Gebrüll wurde vielstimmig und unverständlich. Ein Blick über die Schulter verriet mir, dass der Pelz ein Loch hinter mir in die Wand geschlagen hatte, durch das er seine Schnauze stecken konnte. Maul und Augen waren weit aufgerissen. Er brüllte und Speicheltropfen flogen mir entgegen.

      Ich saß in der Falle.

      Fieberhaft überlegte ich, was ich tun sollte. Mir blieb nur eines: Den Süchtigen geben, wonach es ihnen verlangte. Ich holte die schwarze Perle hervor – mein Schlüssel zum Sonnenlicht – und drehte es zwischen Daumen und Zeigefinger.

      Unmenschliches Kreischen ertönte. Ich hob den Blick und sah das Gesicht eines Perlsüchtigen. Er quetschte den Kopf an den Armen vorbei, die sich in den Schacht streckten, und schürfte sich dabei die Haut vom Gesicht. Aber offenbar spürte er es nicht einmal! Seine Aufmerksamkeit galt der schwarzen Perle in meiner Hand. Die Augen sprangen ihm beinahe aus den Höhlen.

      Schweren Herzens warf ich die Perle den Süchtigen entgegen. Sie prallte an irgendjemandes Fingerspitzen ab und blieb außerhalb der Reichweite der gierig tastenden Hände liegen. Auf zitternden Knien kroch ich vorwärts, während der Pelz weitere Teile der Schachtwand aufriss. Ich schnippte die Perle weiter nach vorne. Einer der Süchtigen ertastete sie. Die Hand schloss sich um das dunkle Kleinod und zog sich zurück. Die anderen folgten seinem Beispiel und zwar alle gleichzeitig und so plötzlich, dass sie den Kopf des Perlsüchtigen herumrissen und ihm das Genick brachen. Es folgte ein unmenschliches Toben. Jeder wollte die Perle halten, auch wenn das bedeutete, von den anderen Süchtigen in Stücke gerissen zu werden. Sie zerrten sich an den Haaren, rissen einander mit den Zähnen große Stücke Fleisch aus den Hälsen oder bohrten sich die Finger in die Augen. Dem ersten, dem in den Sinn kam, sie zu verschlucken, schnitten sie den Bauch auf und weideten ihn aus. Vor der Schachtmündung stapelten sich die Leichen. Hinter mir setzte der Pelz die Zerstörung fort.

      Ich kroch vorwärts und zwängte mich an den Körpern vorbei. Ich hoffte, einfach nicht beachtet zu werden.

      Trotzdem blieb ich nicht unversehrt. Die Süchtigen waren wie wild. Sie griffen alles an, was sich ihnen in den Weg stellte. Jemand schlug mir mit Wucht vor die Brust. Fast wäre ich gestürzt. Ich hustete und eilte weiter. Eine rostige Doppelklinge fuhr durch die Luft. In letzter Sekunde riss ich den Kopf zurück. Die Spitzen der Klinge ritzten mein Gesicht und hinterließen zwei brennende Schnitte. Ich ignorierte den Schmerz, duckte mich unter den Armen des Süchtigen hinweg und stolperte weiter. Ein schweres Eisenrohr, geschwungen von einem massigen Mann, erwischte mich an der Schulter und hinterließ dort einen dumpf pochenden Schmerz. Ein rostiges Messer stach mir in den Oberschenkel, und warmes Blut lief mir das Bein hinab.

      Dann endlich hatte ich die Meute hinter mir gelassen. Ich hinkte zum nächsten Schacht und kroch hinein. Unbestimmte Zeit später erreichte ich mein Lager, jenen kleinen Raum, unter dessen Boden das stetige Surren der Maschinen zu hören war. Ich verarztete die Verletzungen, soweit es mir möglich war, so, wie ich es während meiner Ausbildung gelernt hatte. Anschließend überprüfte ich die Löcher, durch die etwa Ratten eindringen konnten. Blut lockte sie an. Danach holte ich eine der verbliebenen weißen Perlen hervor, legte mich gerade auf den Rücken und mir das Perl unter die Zunge.

      Von diesem Moment an hatte die Droge mich fest im Griff. Ich wagte nicht noch einmal den Versuch, schwarzes Perl zur Dealertür zu bringen, doch trieb ich regelmäßig Handel mit seinem weißen Vetter. Ich wollte es nicht zu mir nehmen. Mir war bewusst, dass ich mir damit keinen Gefallen tat. Aber stellt euch vor, ihr lebt in einer Welt ohne Licht. Ihr seid allein, umgeben von Wahnsinn und Tod. Ihr fragt euch, wofür es sich zu leben lohnt. Weil ihr glaubt, eines Tages den Himmel wiederzusehen? Das Sonnenlicht zu fühlen? Wäret ihr überhaupt noch empfänglich für dessen Wärme?

      Die betäubende Wirkung des Perls ließ mich diese Fragen für einige Stunden vergessen. Selige Stunden. Danach konnte ich mir die Entzugserscheinungen der Droge zu Nutze machen. Der unbefriedigte Drang, Perl zu sich zu nehmen, ist unerträglich, ja, aber er hat auch Vorteile. Die Wahrnehmung eines Süchtigen, wie ich einer war, verändert sich, je länger der letzte Rausch zurückliegt. Wir werden zu Jägern. Das Perl kräftigt den Körper, wenn man es längere Zeit nicht nimmt, und schärft die Sinne. Die Reaktionsfähigkeit nimmt zu. Es ist, als spüre die Droge, dass eines seiner Opfer ihm zu entkommen droht. Sie gibt einem alles, was man braucht, um in den Besitz von mehr zu kommen.

      Irgendwann fing ich an zu halluzinieren. Ich sah einen Mann, der Olli sehr ähnlich sah und auch einen Zylinder trug. Ich nannte ihn Hunger. Mir war klar, dass ich verrückt geworden war, aber es war mir egal. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich als Süchtiger im Unterrumpf verbrachte. Es müssen Jahre gewesen sein. Ich wuchs, bis ich nicht mehr in die Konstruktionsschächte passte. Früh genug verließ ich mein Versteck und zog in die Kammer um, in der der Alte geschlafen hatte. Die Ratten hatten nur Knochen von ihm übrig gelassen.

      Ich wurde kräftig. Mager, aber zäh wie Leder. Regelmäßig war ich in Kämpfe verwickelt. Ich gewann sie alle. Ich nahm die Besitztümer meiner Opfer an mich und wurde reich … wenn man das so nennen konnte. Ich ging furchtlos durch die Gänge des Unterrumpfes, Hunger an meiner Seite. Mein ehemals schwarzes Haar, lang und verfilzt, wurde zunehmend bleich. Mit Iriden, die allmählich verblassten, und schneeweißer Haut, die sich straff über Knochen, Sehnen und Muskeln spannte.

      Es verging eine lange Zeit, bis sich mir endlich wieder die Chance bot, den Unterrumpf zu verlassen. Ich muss etwa dreizehn oder vierzehn Jahre alt gewesen sein. Vielleicht auch fünfzehn, schwer zu sagen. Ich streifte durch einen Gang auf der Suche nach Perl. Mein Vorrat war seit geraumer Zeit verbraucht, und mein Körper gierte nach der Droge.

      In diesem Zustand reduziert sich die Sicht eines Süchtigen auf Kanten und Umrisse, die als dünne, weiße Linien in Erscheinung treten. Alles andere wird dunkel. Ferner sieht man das Perl. Man sieht es im Blut der Süchtigen, ein Netz feiner Äderchen, die ihre Körper durchziehen. Und natürlich die Perlen selbst: Weiß pulsierende Lichter, die man sogar durch Wände hindurch sehen kann.

      Ich stieg über eine Leiche hinweg und bog in einen anderen Gang ein.

      „Du solltest sein Fleisch essen“, meinte Hunger. Schon seit geraumer Zeit schlug er vor, Menschenfleisch zu essen. „Willst du heute wieder Rost lecken?“ Ich bin bis heute froh, dass ich seinen Ratschlag nie befolgt habe. Ich mag ein Dieb sein, ein Mörder oder Schlimmeres, aber ich bin kein Kannibale. „Dann hungere eben“, meinte Hunger verärgert, weil ich weiterging. „Wirst schon sehen …“ Er verstummte, weil jäh etwas sehr Merkwürdiges vor sich ging. Ein schwarzes, pulsierendes Licht war erschienen. Es drang aus den Grotten im unteren Teil des Rumpfes und einfach durch jede Wand, eine unbeschreibliche Anziehung auf mich ausübend. Jede Zelle meines Körpers verlangte nach diesem Licht. Dies konnte nur eines bedeuten: Jemand hatte schwarzes Perl freigelegt.

      Ich

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