Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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Ohren, leise und regelmäßig. Sie war eingeschlafen.

      Es dauerte lange, bis der Schlaf auch mich fand. In meinem Kopf jagte eine Frage die nächste. Wo war sie gewesen? Was verheimlichte sie? Sollte ich sie zur Rede stellen?

      Ja, dachte ich, das sollte ich. Vielleicht jetzt sofort.

      Ich öffnete die Augen und betrachtete ihr Gesicht. Tiefer Frieden lag in ihren Zügen. Keine Falte zeigte sich auf ihrer Stirn, und ihre kurzen Lippen formten die Andeutung eines Lächelns. Ich lächelte ebenfalls. Ihre Glückseligkeit war ansteckend, und ihr nächtlicher Ausflug erschien mir mit einem Mal belanglos. Wen kümmerte, wo sie gewesen war und was sie getan hatte? Sie war glücklich.

      Ich schloss die Augen, und endlich betäubte der Schlaf mein Denken.

      Am nächsten Morgen teilte ich Emily vorsichtig mit, dass ich noch einen Aufsatz über elektrische Feldlinien fertigstellen musste. Sie reagierte gelassen. Es ginge ihr schon viel besser. Sie würde mich am Abend besuchen.

      Daheim erwartete mich ein übel gelaunter Ed im Schlafanzug.

      „Diane war hier“, maulte er. „Sie war ziemlich sauer und hat sturmgeläutet. Um acht Uhr morgens!“

      Ich biss mir auf die Lippe. „Wo ist sie jetzt?“

      „Ich habe ihr gesagt, sie soll in deinem Zimmer warten und mich gefälligst in Ruhe lassen.“ Ich sah mit weit aufgerissenen Augen abwechselnd zu meiner Zimmertür und zu Ed. „Keine Angst, du Pantoffelheld. Sie ist schon vor einer Stunde weg.“ Ich atmete auf, doch meine Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Als ich mein Zimmer betrat, sah ich mein Tagebuch aufgeschlagen auf dem Schreibtisch liegen. Zwei Sätze warfen sich mir förmlich entgegen:

       Aber so schön sie auch sein mag, es fehlt ihr an Profil, um sich in mein Gedächtnis einzuprägen. Ihr fehlt die spitze Nase, das kleine Lächeln und das Mal über der linken Braue.

      W. D. Walker

       (Ich war mir inzwischen sicher, dass es sich bei Diane um dasselbe Mädchen handelte, dass mir in Schwarzwasserhafen begegnet war. Sie passte zu Williams Beschreibung. Ihr blondes Haar, ihr schneidiges Auftreten …

       Emily hingegen verhielt sich ungewöhnlich. Ich hatte sie als die große Schwester in Erinnerung, deren Stimme der Vernunft noch jedem Albtraum den Schrecken hatte nehmen können. Wieso glaubte sie jetzt an einen Fluch, der durch ihren Kuss ausgelöst wurde? Wieso trug sie ein Mojo und maß der norvolkischen Mythologie so große Bedeutung bei? Was war geschehen in den Jahren seit unserer Trennung?)

       Im Verwunschenen Tal

      Der Marionettenmann stierte in den Spiegel. Er hatte seit knapp vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen. Seine Augen waren blutunterlaufen, seine bleichen Wangen von schwarzen Borsten überzogen wie der Leib einer riesigen Spinne. Er saß auf der strohgefüllten Matratze seines Bettes, den kleinen runden Spiegel an die angewinkelten Beine gelehnt. Die Luft um ihn war so dick, dass man sie fast greifen konnte. Die Schrumpfköpfe wagten nicht, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Nur Carl summte leise vor sich hin. Er war offenbar bester Laune.

      Nach einer Weile verstummte sein Singsang. „He, Bohnenstange“, rief er von seinem Platz hoch oben im Regal. „Fadenarm. Wie lange willst du noch dasitzen und in diesen Spiegel starren?“ Der Marionettenmann ignorierte ihn. Aber Carl schien der Monolog ebenso recht zu sein wie eine Unterhaltung. „Dass du dich immer noch nicht langweilst! Was tut Emily gerade? Bohrt sie in der Nase? Sitzt sie auf dem Abort? Du vergeudest deine Zeit, Bohnenstange. Du vergeudest dein Talent! Ich mag dich nicht, aber ich respektiere dich als Alchemist. Wenn du dich ganz dem Studium der Alchemie widmen würdest, statt ständig in diesen Spiegel zu starren, hättest du vermutlich bereits den Stein der Weisen erschaffen. Ach, was rede ich, du könntest selbst Tote wiedererwecken. Aber wozu mache ich mir die Mühe?“ Er seufzte. „Es ist, als redete ich mit einer Bohnenstange.“ Der Marionettenmann hätte ihn am liebsten unter seinen Schuhsohlen zerstampft. Leider stand Carl unter dem Schutz des Wurmgottes. Der Wurmgott hatte den Marionettenmann angewiesen, den Kopf zu verwahren.

      Emily und William schliefen schon Stunden, als Emily sich regte. Sie schlug die Augen auf. Nur eine Sekunde lang schien es dem Marionettenmann, als blickte sie geradewegs zu ihm …

      Vorsichtig rückte sie von William ab und stieg aus dem Bett. Sie öffnete den Kleiderschrank, steckte ihren Arm bis zur Schulter hinein und brachte einen Gegenstand zum Vorschein. Er blitzte im Mondlicht. Die Augen des Marionettenmannes weiteten sich. Es war ein Revolver. Was hatte sie vor? Eine ungute Ahnung beschlich ihn. Hatte sie ihre Todessehnsucht am Ende nicht überwunden?

      Sie wickelte den Revolver in eine Bluse, sodass er vor Blicken verborgen bliebe, und verließ das Zimmer, dann die Wohnung. Im Slalom wich sie den Pfützen aus, die sich auf den Straßen von Treedsgow gebildet hatten. Wie ein Geist, der durch die Straßen schwebte, wirkte sie in ihrem Nachthemd. Nach unbestimmter Zeit erreichte sie den Stadtrand und betrat einen Grünweg. Sie folgte seinem Verlauf zwischen umzäunten Kuhweiden hindurch, Hügel hinauf und hinunter, über eine kleine Holzbrücke, die sich über einen gluckernden Bach, einen Ausläufer des Sithwell, spannte, und zwischen einer Gruppe von Felsbrocken hindurch. Schließlich verließ sie den Grünweg und tauchte ein in einen dunklen Wald.

      Die Hände des Marionettenmannes begannen zu zittern. Würde er gleich sehen, wie Emily den Revolver hervorholte, den Lauf in den Mund nahm und ihr Hirn über das Laub verteilte? Zeigte der Spiegel ihm womöglich wieder die Zukunft? Aber über dem Verwunschenen Tal schwebte der gleiche Mond. Die Zeitebenen stimmten überein.

      Der Marionettenmann glaubte, die erwartungsvolle Stille des Waldes zu hören, die Worte des Windes im Laub der Bäume, den feuchten Waldboden, der unter Emilys Füßen schmatzte. Feenwürmchen tanzten durchs Unterholz. Wind kam auf, und ein Schauer weißer Blüten ging auf Emily nieder. Sie blieb stehen. Lauschte.

      Was flüsterten die Bäume?

      Zögerlich schlug Emily eine andere Richtung ein, als hätte der Wald ihr einen Hinweis gegeben. Nach einer Weile gelangte sie an eine Buche, wie der Marionettenmann sie bis dahin nur im Verwunschenen Tal gesehen hatte. Wulstige Astlochaugen und eine knorrige Nase ragten aus dem Stamm. Emily kam mit dem Gesicht ganz nahe dorthin, wo sich bei einem menschlichen Kopf das Ohr befand, und murmelte etwas. Das Laub der Buche erzitterte. Flüsterte. Der Marionettenmann hielt den Atem an. Ganz langsam richteten sich die geschlitzten Pupillen der Astlochaugen auf das Mädchen.

      Was hatte sie vor?

      Aber Emily streichelte bloß den Stamm und ging weiter. Je tiefer sie in den Wald gelangte, desto häufiger sah sie Nebelfetzen, die sich wie Watte in den Ästen der Bäume verfangen hatten. Sie streckte die Hände danach aus, und der weiße Dunst blieb an ihr haften. Bald trug sie ein Hochzeitskleid wie aus dem Märchen. Wenig später war nur noch eine Wolke zu sehen, die durch den Wald schwebte, und immer noch sammelte Emily Nebelfetzen. Verärgert stellte der Marionettenmann fest, dass die weißen Schleier ihm die Sicht raubten. Der Spiegel sah aus, als sei er von der anderen Seite beschlagen. Er wischte mit dem Ärmel darüber, obwohl er glaubte, dass es sinnlos war. Umso überraschter sah er, dass es funktionierte.

      Ihm stockte das Herz. Die Luft im Wald war klar. Nichts rührte sich. Emily stand da und sah direkt zu ihm auf. Sie hielt den Revolver mit beiden Händen umklammert. Der Lauf deutete geradewegs auf ihn.

      Unmöglich!

      Der Marionettenmann warf sich nach hinten im selben Augenblick, als Emily feuerte. Die Kugel durchschlug das Glas, sauste pfeifend über ihn hinweg und traf die gegenüberliegende

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