Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild. Carl Wilckens

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Dreizehn Band 1-3: Das Tagebuch / Die Anstalt / Das Spiegelbild - Carl Wilckens Dreizehn -13-

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und stellte es in die Mitte ihres Steinbildes. Anschließend hob sie das Messer. Der Stahl blitzte im Mondlicht. Sie streifte den Ärmel ihrer Bluse zurück und schnitt sich, ohne zu zögern, ins Fleisch. Ich unterdrückte ein Keuchen. Dunkles Blut lief über ihren Unterarm und tropfte von der Spitze des Ellbogens auf das Grab. Emily verharrte reglos mit ungerührter Miene. Schließlich griff sie nach einer Mullbinde, die zwischen den noch verbliebenden Steinen lag. Sie verband sorgfältig ihren Arm, verstaute Messer, Zündholzschachtel und alle übrigen Steine im Beutel und wartete. Und wartete. War sie eingeschlafen? Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen.

      Dann, nach einer weiteren gefühlten Stunde, rührte sie sich: Sie beugte sich vor, eine Statue, die zum Leben erwachte, und blies das Teelicht aus.

      „Hast du wirklich geglaubt, ich wüsste es nicht?“, fragte sie laut. Mein Herzschlag setzte aus. Ihre Stimme klang verändert, dunkler, bedrohlicher. Wie lange wusste sie schon, dass ich hier war?

      Ihr Kopf ruckte nach rechts. „Du weißt sehr wohl, wovon ich rede. Ich hätte dir niemals vertrauen dürfen.“

      Ich holte tief Luft und sammelte all meinen Mut zu einer Antwort.

      Emily lachte freudlos. „Willst du mir weiß machen, er stecke dahinter?“

      Die Worte blieben mir im Hals stecken. Redete sie wirklich mit mir?

      „Ich weiß noch nicht. Fürs erste bleibst du dort drin.“ Offensichtlich war noch jemand hier, den nur sie hören konnte. Ich schluckte meine Antwort hinunter und duckte mich tiefer in die Schatten.

      „Wenn du bereit bist, mir die Wahrheit zu sagen. Ich komme in einigen Tagen wieder. Überlege dir bis dahin gut, was du mir zu erzählen hast.“ Emily war verrückt. Völlig verrückt! Sie erhob sich, wandte sich um und verließ die Lichtung.

      Ich wartete eine lange Zeit, ehe ich mich aus meinem Versteck wagte. Jetzt erkannte ich, welches Bild sie mit den Steinen gelegt hatte: Einen fünfzackigen Stern, ein Pentagramm. Der Docht des Teelichts glühte noch. Obwohl es Windstill war, hörte ich die Bäume flüstern. Die Luft um mich herum war wie elektrisiert. Mein Instinkt flehte, diesen Ort zu verlassen. Im Licht des Mondes sah ich dunkle Flecke auf dem Gras. Emilys Blut. Aber war es das Mondlicht? Oder kam das Leuchten aus den weißen Steinen? Ich beugte mich herab und nahm einen aus dem Pentagramm. In dem Moment, da ich dies tat, brach die Spannung um mich herum zusammen. Das Leuchten der Steine erstarb, bevor ich mich davon überzeugen konnte, ob es überhaupt da gewesen war, und das Flüstern der Bäume verstummte. Mir war, als hörte ich Gelächter, rachsinnig, irre und aus so weiter Ferne, dass ich es mir ebenso gut hätte einbilden können. Es lief mir eiskalt den Rücken hinab und dennoch verspürte ich große Erleichterung. Ich legte den Stein zurück in die Lücke des Pentagramms, aber die Atmosphäre blieb entspannt. Ein mulmiges Gefühl ergriff von mir Besitz. Mir war, als hätte ich etwas aus seinem Käfig befreit. Etwas Böses.

      Ich betrachtete die Inschrift auf dem Grabstein. Es waren vier Zeilen in Runenschrift. Ich wandte mich um und verließ die Lichtung. Ich wollte den Friedhof so schnell wie möglich verlassen. Wollte nur noch in mein Bett. Auch wenn an Schlaf nicht zu denken war, so konnte ich dort wenigstens in aller Ruhe nachdenken.

      Am nächsten Morgen suchte Emily mich im Lehrgebäude für elektronische Technik auf. Ich sah sie, während ich im Strom der Studenten von einem Hörsaal zum nächsten trieb. Sie grüßte mich förmlich und bat mich steif um ein Gespräch unter vier Augen.

      „Ich hab etwas für dich“, flüsterte sie so leise, dass nur ich es hörte. Sie bedeutete mir, zu folgen, und ging voraus zurück in den leeren Hörsaal. Auf ein Zeichen von ihr schloss ich die Tür hinter uns. Sie hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt und trug ein geheimnisvolles Funkeln im Blick.

      „Ich muss dich warnen“, sagte sie. „Du wirst vielleicht nicht gerade begeistert sein.“

      Ich hob nur die Brauen.

      „Nachdem du mir gestern von deiner Begegnung mit Diane erzählt hattest, fand ich einfach keinen Schlaf …“

       Was du nicht sagst.

      „Emily“, warnte ich. „Du hast doch nicht etwa …“

      Bevor ich den Satz beenden konnte, streckte Emily ihren rechten Arm aus. Ich stöhnte. Auf ihrer offenen Handfläche lag ein Mojo.

      „Du erwartest doch nicht, dass ich das trage“, sagte ich. Allein bei dem Gedanken, was Ed dazu sagen würde, verging mir die Lust.

      „Tu es für mich“, flehte Emily. „Wenn du es unter deinem Hemd trägst, sieht es doch keiner.“ Ich musterte sie. Nichts an ihrem Äußeren ließ auf den Irrsinn schließen, der hinter ihrer Stirn wohnte – ließ darauf schließen, dass sie sich nachts auf Friedhöfen herumtrieb, fremde Gräber mit ihrem Blut wässerte und mit sich selbst redete. Im Gegenteil, sie wirkte unschuldig und aufgeweckt. Konnte jemand verrückt sein und wissen, dass er es war? War es dann überhaupt schlimm? Schließlich war sie nicht gefährlich.

      Ich seufzte ergeben.

      „Also schön“, sagte ich und nahm das Mojo. Dabei streifte ich ihren Arm. Sie zuckte zurück.

      „Alles in Ordnung?“, fragte ich.

      „Alles bestens. Ich habe mich gestern an einer scharfen Kante meiner Kommode geschnitten. Nichts Ernsthaftes.“ Wie die Lüge über ihre Lippen kam – ohne nachdenken zu müssen, ohne rot zu werden.

      Oh, Emily. Wohin soll das nur führen?

      W. D. Walker

       30. FEENMOND 1713, RUHENACHT

      Mehr als drei Viertel sind vergangen seit meiner letzten Begegnung mit Diane. Ich war mir inzwischen sicher, dass ihre absurde Behauptung ihre eigene Art war, mich fernzuhalten. Kindisch, aber zumindest schien sie es dabei zu belassen. So dachte ich.

      Bis Emily und ich gestern eine verstörende Botschaft erhielten.

      Gemeinsam spazierten wir nach unseren Vorlesungen zur Hafengegend. Wir teilen eine Vorliebe für die schmutzige und zugleich romantische Atmosphäre dieses Viertels. Die Promenade bietet einen einzigartigen Anblick, besonders wenn nach Sonnenuntergang die Gasleuchten entzündet werden. Dann locken sie Schwärme von Motten an und spiegeln sich an windstillen Tagen in der Meeroberfläche. Der Geruch von Salz und Schnaps liegt in der Luft. Musik dringt aus den Lokalen, traurige Seemannslieder begleitet vom Akkordeon oder fröhlich vorgetragene Stücke auf einer Mandoline. Die Boote und Schiffe knarren und glucksen, und ihre Fahnen und Segel knattern im Wind. Die kühle Seeluft streicht einem übers Gesicht, dringt unter die Kleidung und macht Lust, sich in die Wärme eines Lokals zu flüchten.

      Emily und ich betrachteten in den vergangenen Vierteln oft die Sonnenuntergänge. An warmen Tagen breiteten wir eine Decke auf dem Sandstrand aus. Einmal, während einer windigen Sonnnacht, ließen wir einen Drachen steigen. Wir sammelten Muscheln, Fossilien und vom Meersalz geschliffene Scherben. Ich zeigte Emily, wie man flache Steine über das Wasser hüpfen lässt, und sie versuchte mir beizubringen, einen Kranz aus Grashalmen zu flechten. Es war eine schöne Zeit. Besonders kurzweilig waren solche Tage, an denen ein Schiff mit frischen Waren aus Übersee angelegt hatte. Dann war der Markt überfüllt mit Schmuckstücken aus Origon, kostbaren orientalischen Gewürzen und exotischen Speisen. Nach Sonnenuntergang traf man, wenn man die richtigen Lokale betrat, die Seemänner, wie sie umringt von Zuhörerscharen ein Garn von fremden Kulturen und den Abenteuern auf See spannen, solange man ihnen etwas zu trinken spendierte.

      Wir

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