Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner
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„Ganz ruhig“, redete er auf sie ein. „Aigonn ist nicht hier, ihm ist nichts geschehen!“ Rowilan wusste, dass dies eine Lüge war. Niemand konnte sie ihm beweisen und je länger er ausharrte und darauf wartete, dass dieser junge Mann aus seinem Dorf, der ihm seit Jahren schon das Leben schwer zu machen versuchte, ein Lebenszeichen von sich gab, desto weniger glaubte Rowilan daran, dass er sich vielleicht einfach nur verirrt hatte. Anations Unruhe bestätigte seine Ahnung.
„Nein …, nein, darum geht es nicht …“
Angestrengt umkrallten ihre Finger die Stirn. An den geweiteten Pupillen war ersichtlich, dass die Betäubung der Droge kaum nachgelassen haben konnte. Doch Rowilan war in diesem Moment allein darüber unendlich erleichtert, dass sie zu ihm aus der Welt der Geister zurückgekehrt war. Ihre Stimme hatte noch immer einen brüchigen Klang, als sie völlig aufgewühlt sagte: „Aigonn, sein Geist, ich habe ihn gespürt, gerade eben. Er hat seinen Körper verlassen!“
„Was sagst du?“ Die Beruhigung über Anations Zustand war vergessen. Rowilan blickte erschrocken zu der jungen Frau hinunter, versuchte einen Blick zu erhaschen, um sehen zu können, ob sie nicht vielleicht ältere Visionen der Geisterwelt mit sich genommen hatte. Doch ihre Stimme ließ keinen Trugschluss zu.
Der Schamane wagte es kaum zu sagen, als er aussprach: „Heißt das …, sie haben ihn getötet?“
„Nein, … Er lebt noch. Er …“ – Plötzlich schreckte sie hoch. Der Schwindel schien sie niederzwingen zu wollen, in diesem Moment aber ging sie darüber hinweg, als wäre es ein Jucken. Ihre Züge veränderten sich. Erst kam das Erkennen, dann das Entsetzen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, versuchte sie, sich auf die Beine zu rappeln, geriet ins Schwanken. Rowilan konnte gerade noch aufspringen, um sie unter den Achseln zu fassen, bevor sie in die Heide gestürzt wäre. Ihre Hände krallten sich um seine Arme, dann verkündete sie voller Panik: „Wir müssen hier weg! Man hat seinen Geist gezwungen, seinen Körper zu verlassen. Irgendetwas, … irgendjemand treibt ihn durch das Tor zur Anderen Welt!“
„WAS?“
„Wir müssen hier weg, sofort! Ich kann ihn finden! Wenn wir zu lange zögern, könnte diese Person, wer auch immer das ist, seine Seele so weit geführt haben, dass er nicht mehr zurückfindet. Er kann sich nicht wehren. Wahrscheinlich hat er die Kontrolle über seine Sinne verloren!“
„Warte!“ Rowilans Griff um ihre Achseln und Schultern verstärkte sich. Er bremste damit Anations Versuch, augenblicklich loszurennen und erneut umzustürzen. Die Ruhe in seiner Stimme war mehr als erzwungen, als er fragte: „Kannst du spüren, ob …“ Er wagte es kaum auszusprechen. „… einer der Männer überlebt hat, die ich mitgebracht habe, um dich zu retten?“
„Meine Sinne sind nicht scharf.“
„Aber vermutlich noch immer schärfer als die meinen. Versuch es, bitte!“
Anation schloss die Augen. Sie brauchte Gewalt, um ihren Atem zu beruhigen, ihrem Geist ein Stück Gleichmäßigkeit wiederzugeben, der noch immer von den Drogen umnebelt war. Nach einem kurzen Moment schüttelte sie den Kopf: „Zwei vielleicht. Aber auf keinen Fall mehr. Sie heben sich kaum von den Eichenleuten ab, die die Suche nach uns aufgenommen haben. Vielleicht sehe ich auch gerade nur Späher, die erleichtert darüber sind, das Moor verlassen zu können. Ich kann mich irren. Es gibt nichts, an dem ich sie ausmachen könnte, außer ihren Gefühlen. Ich kann nicht die Seelen der Lebenden sehen!“
„Ist gut.“ Er lockerte seinen Griff. „Kannst du denjenigen finden, der Aigonns Geist manipuliert?“
„Ja.“
„Gut.“ Damit fasste er Anation an der Taille, holte einmal tief Luft und hievte sich die junge Frau zurück auf die Arme. Überrascht stieß sie aus: „Was tust du?“
„Dich tragen. So kommen wir schneller voran, als wenn du alle zwei Schritte vor mir zu Boden fällst. Ich habe leider kein Pferd mehr.“
Sie nickte nur. Rowilan nahm schnell Geschwindigkeit auf, während die junge Frau ihn tief in den Wald führte. Er bemühte sich, so gut wie möglich das Stechen in seiner Seite zu ignorieren. Die Wunde war nicht tief, aber schmerzhaft.
Sie mieden die Wege aus der Gefahr heraus, den Eichenleuten zu begegnen. Glücklicherweise fand der Schamane einen alten Trampelpfad. Mit jedem Schritt schien das Dickicht um sie herum unwegsamer zu werden. Es dauerte nicht lange, bis er die Orientierung verloren hatte. Die Dämmerung lag hinter den Bäumen verborgen. Zwielicht verwandelte alle Farben in ein sanftes Grau, ließ bald Dunst aufsteigen, der es kaum mehr möglich machte, seine Umgebung zu erkennen. Es war Anations pures Gefühl, das sie führte. Rowilan war alles andere als wohl dabei. Doch als es fast völlig dunkel zu werden begann, ergriff die Erschöpfung Oberhand und er musste sie absetzen.
„Ist es noch weit? Wir werden uns verirren, wenn wir noch tiefer in den Wald laufen.“
„Ich weiß es nicht. Es scheint nicht so, aber dieser alte Pfad wird häufiger begangen, als man vermutet. Vorhin noch konnte man erkennen, dass sich viele, sich überlappende Fußspuren im Matsch eingedrückt haben. Ich denke deshalb, dass wir wenigstens Menschen treffen werden. Die Frage ist nur, wen und wo.“
Verdrießlich blickte Rowilan sich um. Er konnte nicht leugnen, dass er lieber nach den beiden überlebenden Männern gesucht hätte, bevor sie sich auf diesen Weg hier begeben hätten. Doch Anation hatte ihm deutlich gemacht, dass dafür keine Zeit geblieben wäre. Ihre Stimme zeugte noch immer von Dringlichkeit, als sie ihn ermahnte: „Los jetzt, wir müssen weiter. Ein solches Ritual dauert zwar lange, aber nicht ewig. Vielleicht bleibt uns jetzt schon keine Zeit mehr.“
Sie hatte Recht, das wusste der Schamane. Aus diesem Grund unterdrückte er erfolgreich die Müdigkeit, die seine Glieder schwer werden lassen und seinen Geist in dämmernden Schlaf ziehen wollte. Anation versuchte, aus eigener Kraft aufzustehen. Als er sie jedoch abermals schwanken sah, beschloss Rowilan, sie weiter zu tragen. Während Anation all ihre Kräfte, ihre Sinne aussandte, um das dünne Band zu finden, das noch immer zwischen Aigonns Geist und seinem Körper bestand, führte sie sie noch tiefer in die Dunkelheit. Solange, bis Rowilan nicht einmal mehr die eigenen Füße auf der Erde erkennen konnte.
Aigonn fühlte nichts. Der Schmerz war eine Erinnerung, die wie ein Echo verhallte. Kein Gefühl, kein Laut fand Eingang in sein Bewusstsein. Er konnte nichts sehen, als hätte ihm jemand die Augen verbunden. Doch er wusste genau, dass sie offen standen.
Leere. Er war die einzige Präsenz in einem vollkommen leeren Raum. Seine Gedanken schienen von unsichtbaren Wänden zurückgeworfen zu werden, während er einfach nur dalag, ohne Gefühl, ohne den Drang, etwas zu tun, hilflos wie ein Säugling im Mutterleib, nur ohne Schutz, ohne die Geborgenheit. Fühlte es sich so an, kurz bevor eine Seele den Weg zur Erde fand, wenn sie rein war, alle befleckenden Erinnerungen des vergangenen Lebens fortgespült waren? Doch Aigonn fühlte sich nicht gereinigt, er war leer, aber verwundet. Verwundet auf eine Art, die kein Mensch sehen, sondern lediglich fühlen konnte, wenn man die Sinne schärfte und nach den Dingen suchte, die sonst für niemanden zugänglich waren. Leere. Er war allein, ganz allein. Diese Gewissheit jagte einen plötzlichen Schrecken durch seinen Kopf. Er hallte als Klang, laut wie ein Hornstoß, wider und ließ Aigonn unwillkürlich zusammenzucken.
Die fremde Stimme, die ihn geführt hatte, war verschwunden. Man hatte ihn