Die Pest. Kent Heckenlively
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In diesem Sommer rief Mikovits Ruscetti an und erzählte ihm, dass sie unter Petersons Patienten auf einen Fünfzehnjährigen und einen Dreißigjährigen mit Gürtelrose getroffen sei.
„Das ist lächerlich“, antwortete Ruscetti. „Das müssten ja AIDS-Patienten sein.“
„Ja. Das ist genau das, was ich dachte.“
Da die Patienten nicht massenhaft starben wie bei AIDS, wusste Mikovits, es konnte nicht das HIV-Retrovirus sein. Aber was, wenn es ein weiteres Retrovirus wäre, das nicht, wie bei unbehandeltem HIV/AIDS, zu vorauszusehendem Zerfall und Tod führte, sondern zu einer chronischen, langfristigen Krankheit, die durch einen Verlust an zellulärer Energie und eine Herabsetzung der Abwehrkräfte des körpereigenen Immunsystems gekennzeichnet ist? Genauso wie bei dem langsamer fortschreitenden Retrovirus HTLV-1? Das würde erklären, warum die ME/CFS-Patienten genau wie AIDS-Patienten pathogene Koinfektionen und Krebserkrankungen aufwiesen, die sich oft erst Jahrzehnte nach Ausbruch der Krankheit zu entwickeln schienen.
Bei den Retroviren HIV und HTLV-1 kannte man natürlich den Zusammenhang mit Krebs. In den Jahren vor aggressiven Therapien gegen AIDS entstand der Krebs sehr viel schneller. AIDS wurde sogar einmal als „Schwulenkrebs“ bezeichnet, da das Auftreten eines Kaposi-Sarkoms (KS) bei jüngeren schwulen Männern als unwahrscheinlich erschien, bevor AIDS definiert wurde. Man dachte damals, dass das Kaposi-Sarkom vor allem ältere jüdische Männer betraf.
Retroviren sind eine Familie von Ribonukleinsäure-Viren (RNA), die das Enzym Reverse Transkriptase enthalten. Das Virus tritt in eine Zelle ein und benutzt die Reverse Transkriptase, um die Zelle dazu zu bringen, eine virale Desoxyribonukleinsäure (DNA) zu erzeugen, die sich dann in die DNA der Wirtszelle integriert. Das Virus wird somit Teil der DNA vieler Zellen einer infizierten Person. Es war belegt, dass Retroviren durch sexuellen Kontakt, die Exposition gegenüber infiziertem Blut oder Blutprodukte übertragen werden oder von einer infizierten Mutter auf ihr neugeborenes Kind während der Schwangerschaft, Entbindung oder über das Stillen. Retroviren werden über Körperflüssigkeiten übertragen, nicht über einen Vektor wie eine Mücke oder eine Zecke.
Mikovits dachte über die Infektionen, die Krankheiten und Krebserkrankungen im Zusammenhang mit einer HIV-Infektion nach. HIV verursacht Probleme, indem es das Immunsystem schädigt und es anfällig für andere Organismen macht, die Krankheiten verursachen können. Die Mehrheit der HIV-Infizierten erkrankt innerhalb von ein bis zwei Monaten zunächst an einer grippeähnlichen Erkrankung und leidet oft an Fieber, Muskelkater, Kopfschmerzen, geschwollenen Drüsen und chronischem Durchfall – ähnlich dem relativ häufigen „grippeähnlichen“ Beginn von ME/CFS. Die latente Infektion kann acht bis zehn Jahre dauern, was einigen Patienten in den ersten Jahren der Pandemie den illusorischen Eindruck vermittelte, dass irgendetwas, das sie taten, den fortschreitenden Zerfall verhinderte.
Ähnliche falsche Zuschreibungen hatten manchmal Auswirkungen auf die ME/CFS-Patienten, und zwar aufgrund des Mangels an wirksamen Behandlungen oder, was häufiger vorkam, durch von Außenseitern vorgebrachte Behauptungen über angebliche Heilverfahren, die gedeihen können, wenn der Verlauf einer Krankheit unbekannt ist. Manche Menschen mit HIV entwickeln früher AIDS im Vollbild, andere später. Wenn Patienten etwa zehn Jahre infiziert sind, leiden sie in der Regel unter Nachtschweiß, Fieber, das wochenlang anhält, Gewichtsverlust, Kopfschmerzen, und chronischem Durchfall.
In armen Ländern entwickeln HIV/AIDS-Patienten häufig Tuberkulose.16 HIV/AIDS-Patienten sind auch anfälliger für Salmonellen, Zytomegalievirus, Candida, Kryptokokkenmeningitis (eine Entzündung der Membranen und Flüssigkeiten, die das Gehirn und das Rückenmark umgeben), Toxoplasma gondii (ein von Katzen verbreiteter Parasit) und Kryptosporidien (Parasiten, die im Darm und Gallengang leben und zu chronischem Durchfall führen).17
Eine der häufigsten neurologischen Störungen ist der AIDS-Demenz-Komplex, der in der Regel zu Verhaltensänderungen und verminderter geistiger Funktionsfähigkeit führt. Mikovits dachte über die mentalen und kognitiven Veränderungen im Zusammenhang mit ME/CFS nach, wie etwa Gedächtnisverlust, Rückgang des IQ, Probleme bei neuropsychologischen Tests, Wortfindungsschwierigkeiten, Rechenprobleme und vieles andere.
Unter Berücksichtigung aller Hinweise und angesichts früher Beobachtungen, dass es Überschneidungen zwischen ME/CFS und AIDS gab, schien es, als wären sie auf der Spur eines Retrovirus’.
* * *
Zu Beginn ihrer Arbeit in Petersons Praxis riet dieser ihr, äußerst diskret darüber zu sein, wem sie in der Praxis begegnete.18 Sie begann die Politik rund um ME/CFS zu verstehen.
In erster Linie wollten die Leute, die es hatten, nicht, dass andere davon erfahren würden. Angesichts seiner herausragenden Rolle während des ersten neuzeitlichen Ausbruchs von 1984 bis 1985 in Incline Village war Peterson bekannt als der Arzt der Reichen und Berühmten. Mikovits war erstaunt über den kleinen, aber stetigen Strom von Hollywood-Schauspielern und Profisportlern, die in Petersons Praxis kamen, um ein wenig Linderung ihrer Krankheit zu erhalten.
Wenn man im Wartezimmer jemanden sah, der berühmt war, sollte man sich so verhalten, als wäre die Person genauso ein Patient wie jeder andere dort. Das fiel Mikovits leicht, da sie nie für irgendjemanden schwärmte, und selbst wenn sie in einem Aufzug auf einen berühmten Baseballspieler treffen würde, ließe sie ihm seine Privatsphäre. Wenn sie nicht über Wissenschaft sprach oder ihre ehrenamtliche Arbeit machte, war sie eigentlich eine ruhige Person. Sie wusste, dass dies zweifellos viele ihrer Kollegen überraschen würde, die sie oft als „Tsunami-Judy“ bezeichneten wegen des Redeschwalls, in den sie verfallen konnte, wenn sie sich über ein Thema aufgeregt hatte.
Da es Sommer war, hielten sich die Whittemores in der Regel in ihrem Haus im Glenbrook-Viertel am Lake Tahoe auf. Innerhalb des Bereichs, der mit doppelten Toren und einer Eingangskontrolle gesichert war, fuhren die Bewohner oft in Golfwagen herum, und die Häuser hatten alle Namen. Der historische Name des Whittemore-Hauses war Lake Shore House. Es ähnelte einem zweistöckigen südlichen Herrenhaus mit einer riesigen umlaufenden Veranda, einem Strand, an dem man in die Bucht hinausschwimmen konnte, und einem privaten Bootssteg nach hinten, an dem Harvey mehrere Boote hatte.
Mikovits genoss das Leben in Glenbrook. Oft ging sie auf den Bootssteg hinaus, wenn Harvey mit seinem neuen 30-Fuß-Motorboot anhielt, während ein Angestellter die Leine schnappte. Es war Harveys Gewohnheit, sie und alle anderen, die zufällig auf dem Bootssteg saßen, aufzufordern, an Bord zu kommen, und dann rasten sie quer über den riesigen Gebirgssee. Manchmal fuhren sie die ganze Strecke bis zur kalifornischen Seite, machten das Boot bei Jake’s am Seerestaurant fest, genossen Abendessen und Drinks (wofür Mikovits nie eine Rechnung sah), um dann wieder ins Boot zu steigen und nach Hause zu rasen. Es war ein Lebensstil, an den man sich gewöhnen konnte.
Es gab einige Stadthäuser nebenan, und die Whittemores kauften eines, um ihre Freunde und ihre Kinder unterzubringen. Das Stadthaus hatte ein hohes Loft mit großen Fenstern und einer Lesebucht, in der Andrea oft mit einem Buch saß, während die Gäste ihrer Familie den Strand genossen. Mikovits vermutete, dass dies an Andreas Zustand lag und die junge Frau nicht das provozieren wollte, was viele ME/CFS-Patienten als „crash“ [„Absturz“] bezeichneten, der durch übermäßige Verausgabung ihrer begrenzten Energievorräte verursacht wurde.
Wenn man die Straße etwa anderthalb Kilometer weiter hinunterging, kam man zu einem Haus namens „The Barn“ [„Die Scheune“]. Es gehörte jemand anderem, aber