WIE MAN RIESEN BEKÄMPFT. David Kadel
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Vor einigen Jahren habe ich den Motorradführerschein gemacht. Mein Vater hatte natürlich etwas Angst und meinte: „Mensch, Heiko, wenn dir etwas passiert!“ Aber dann hat mein Vater einfach auch den Motorradführerschein gemacht, und ich habe ihm gesagt: „Papa, wenn du Zeit mit mir verbringen willst, was du ja immer möchtest, dann hast du jetzt die Möglichkeit. Dann fahren wir beide einfach mal los Richtung Italien!“ Dann sind wir wirklich beide als Anfänger mit zwei Harley Davidsons drei Wochen runter bis nach Sizilien gefahren und zurück. Das war quasi die allererste Fahrt meines Vaters nach seiner Führerscheinprüfung, direkt mal nach Italien.
Und das war es auch: ein echtes Vater-Sohn-Abenteuer, weil wir nie wussten, wo wir am Ende des Tages landen würden. Wir haben immer erst abends geguckt, wo wir eine Unterkunft finden.
Wie die „Easy Rider“ haben wir uns gefühlt mit unseren Harleys unterm Hintern und dem Wind in den Haaren. Ich bin Gott dankbar, dass ich mit meinem Vater das alles erleben durfte in dieser atemberaubenden Natur, die er geschaffen hat.
Mit 17 Jahren bin ich als junger Fußball-Profi nach Leverkusen gekommen und dann relativ schnell erwachsen geworden, weil ich es einfach musste. Und wenn man dann mit Borussia Dortmund die Champions League gewinnt und deutscher Nationalspieler wird, dann rechnet man nicht unbedingt mit dem, was mir dann passiert ist. Ich hatte im Sommer 2000 plötzlich stechende Kopfschmerzen. Dazu noch von einem Tag auf den anderen Probleme mit den Augen, sodass ich oft dachte: „Irgendwas stimmt doch da nicht mit meinem Sehnerv.“
Im Herbst 2000, da war ich 29 Jahre alt, hat mir eine gemeine Krankheit meine Unbekümmertheit genommen: Ein bösartiger Gehirntumor, ein Germinom im Mittelhirn, wurde bei mir diagnostiziert. Seit dieser Zeit weiß ich: Das Leben kann schon mal ganz schnell zu Ende sein. Bis dahin hatte ich gedacht: „Das Leben endet nie. Dir kann niemand was anhaben!“ Denn ohne Grund beschäftigt man sich ja nicht so intensiv damit, dass man vielleicht bald tot ist, dass man sterben muss und dass das wehtun könnte. Das verdrängt man ja normalerweise. Aber wenn es einen dann selbst trifft, dann ist die Unbekümmertheit plötzlich weg. Ich musste lernen, wie man mit der Unsicherheit gut umgeht. Ich verließ mich auf mein Gottvertrauen, anstatt mich selbst zu bemitleiden.
Aber diese Zeit hatte auch positive Auswirkungen, weil ich seitdem viele Dinge mehr wertschätze bzw. andere Dinge, über die ich mir vorher Sorgen gemacht habe, nicht mehr als Problem sehe. Wir sorgen uns in Deutschland eh alle viel zu viel. Das ist doch völliger Quatsch. Ich bin gesund, ich lebe im Moment, mir geht’s gut und ich gebe mein Bestes, um dieses Zufriedensein, das ich auch in der Beziehung zu Gott finde, nicht durch Ablenkungen zu verlieren.
Ich habe in dieser schweren Zeit der Erkrankung sehr geschätzt, wie wichtig echte Freundschaften sind. Es erfüllt einen tatsächlich, wenn man intensive Gespräche mit Freunden führen und über alles reden kann, was einen tief drinnen ausmacht: über Sehnsüchte, über Gott, über Träume. Es gibt nichts Schöneres, als zusammen zu lachen. Ich liebe aber auch die Ruhe und bin sehr gerne alleine. Da tanke ich auf. Da komme ich zu mir. Da finde ich immer wieder zu Gott, und spreche offen mit ihm über alles, was mich bewegt. Ruhe ist sehr heilsam für den, der sie entdeckt hat, weil wir ja alle gar keine echte Ruhe mehr kennen.
Im Jahr 2000 musste ich also lernen, wie man kämpft. Wie man um sein Leben kämpft. Die Strahlentherapie war sicher kein Zuckerschlecken. Die Haare fallen einem aus und man könnte manchmal von einem Moment auf den anderen weinen, weil einem so schlecht ist durch das Zeugs, mit dem sie einen behandeln.
Kämpfen lernt man am besten, wenn man an etwas glaubt und wenn man sich kleine Ziele setzt. Es ist wichtig, dass es kleine Ziele sind, denn wenn man das nicht macht, sieht man die Krankheit wie einen riesigen Berg, der einen so sehr einschüchtert mit seiner Größe und Gewalt, dass man denkt, dass man da nie hoch klettern kann. Aber wenn Du Dir Etappenziele vornimmst und fragst: „Was ist mein kleines Ziel für diesen Tag heute?“, und dann später: „Was ist mein Ziel für diese Woche?“, dann schaust Du nicht auf den riesigen Berg, sondern freust Dich am Ende des Tages, dass Du die kleinen Ziele erreicht hast.
Ich danke Gott heute, dass er immer an meiner Seite war während der Phase der Krankheit, als alles ungewiss war und mir niemand sagen konnte, ob ich daran sterben würde oder nicht. Es gibt viele Menschen in Deutschland, die einen belächeln, wenn man sagt, dass man an Gott glaubt. Ich habe kürzlich im Rückblick auf die letzten zwei bis drei Jahre festgestellt, dass es mir gerade dann in allen Bereichen meines Lebens gut ging, wenn ich nah an Gott dran war, auch wenn die Leute noch so darüber gelacht haben. Wir müssen darauf achten, dass wir das Vertrauen auf Gott nicht verlieren und ihm auch wirklich Dinge zutrauen.
Im Moment habe ich so ein tiefes Gottvertrauen. Manchmal frage ich mich, wie ich das hier alles leisten kann als Bundesliga-Trainer und es hinbekomme, jedem gerecht zu werden.
Ich bin trotzdem dankbar für diese schwere Zeit damals, weil ich dadurch im Glauben gewachsen bin. Auch wenn man niemandem wünscht, das zu erleben, was ich damals durchmachen musste, es hat mich trotzdem als Person geprägt. Und gerade in Krisenzeiten unterschiedlichster Art kann man sehr dankbar sein, wenn man gesund ist und sich die richtige Haltung bewahrt, mit den Herausforderungen gut umzugehen. Ich spreche auch deswegen so offen über meine Krankheitsgeschichte, weil es mir wichtig ist, anderen Mut zu machen, und ihnen Tipps zu geben, wie man mit seinen Riesen im Leben fertig wird. Ich wünsche Dir alles Gute und viel Kraft!
Dein Heiko Herrlich
Heiko Herrlich
ist Trainer des FC Augsburg und war als Fußballprofi nicht nur deutscher Nationalspieler, sondern auch Champions League Sieger mit Borussia Dortmund. Heiko lebt mit seiner Familie im schönen und tiefsten Bayern, umgeben von Kühen, Hasen und Hühnern.
P.S. Heiko ist übrigens ein echter „Mut-Macher“. Mit ihm veranstalte ich regelmäßig Mutmach-Events in Gefängnissen, wo wir zusammen Gefangene besuchen, um sie zu inspirieren und zu ermutigen, damit sie ihr Leben nach dem Gefängnis erfolgreich gestalten können. Auf diesem Foto sind wir in der JVA Dortmund und haben uns zwei Stunden lang mit Strafgefangenen unterhalten, die sich wirklich sehr über Heikos Besuch gefreut haben – weil sie es faszinierend fanden, dass ein Bundesliga Trainer sich extra für sie Zeit nimmt, um sie zu besuchen und ihnen Mut zuzusprechen.
Mehr zu unseren Mutmach-Events findet Ihr künftig unter:
Vom Schulabbrecher zum Chef
Foto: Christine