Erich Glaubmirnix - Kriminalfälle und Abenteuer heute und im Mittelalter. Gregor Kastner
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Nachdem der Lokführer die Bremse zurückgestellt hatte, konnte die Fahrt fortgesetzt werden. Nun schien die Fahrt, trotz des Lärms, den die Fans von sich gaben, ruhig zu verlaufen. Und das sollte bis auf wenige Kleinigkeiten so bleiben. Da kam zum Beispiel eine junge Frau mit ihrem Kind und bat die Beamten um Hilfe. Hilfe dahingehend, dass sie dringend zur Toilette musste und sich nicht alleine durch den Zug traue. Außerdem hatte sie Angst um ihren Sohn. Somit begleitete Erich zusammen mit Klaus die junge Frau zu ihrem Ziel. Der Sohn durfte bei Jutta und den restlichen Polizisten bleiben und bei Jutta war er gut aufgehoben. Sie hatte ein Herz für Kinder und spielte gerne mit ihnen.
Und ja, im Nachhinein war die Begleitung gerechtfertigt. Es gab etliche, die anzügliche Bemerkungen von sich gaben und hingrapschen wollten. Bei der Toilette angekommen, war sie natürlich besetzt. Nach einer ganzen Weile pochte Erich gegen die Tür und forderte den Insassen auf, herauszukommen. Das wurde mehrmals wiederholt. Da es zu keiner Reaktion kam, wurde zum Vierkant-Schlüssel gegriffen und die Tür geöffnet. Aber erst ein kleiner Spalt, um zu sehen, wie die Reaktion ist. Da immer noch keine Reaktion kam, wurde die Tür gänzlich geöffnet und gab den Blick auf einen alkoholisierten Mann frei. Der schlief auf dem Fußboden obwohl der mit Urin überspült war. Er wurde vorsichtig geweckt und nun marschierte er auf wackeligen Beinen zu seiner Truppe. Es war nicht nur der Urin, der die junge Frau abschrecken ließ. Sie sagte bei dem Anblick nur noch: „Ich muss nicht mehr.“ Erich hätte auch nicht mehr auf die Toilette gehen können. Sie war nicht mehr nutzbar. Somit wurde die junge Frau zurück zu ihrem Sohn begleitet. Dann kam ein älterer Herr und beschwerte sich, dass er eine Fahrkarte für die erste Klasse habe, aber dort nicht mehr sitzen könne, da sie von mehreren Fußballfans belagert wurde. Die Polizei möge doch bitte für Ordnung sorgen und die Kerle aus der ersten Klasse herauswerfen, da er seine Ruhe haben wolle. Dem Mann wurde die Situation erklärt und er sah es mit bitterem Beigeschmack ein. Für die Räumung der ersten Klassen waren sie zu wenig. Denn es bestand die Gefahr der Eskalation und dann standen sieben Polizeibeamte gegen zweihundert Hooligans.
Nun fuhr der Zug in Sangerhausen ein und die Fans verließen fluchtartig den Zug und stürmten in die Vorhalle. Dabei ertönte ihr altbekannter Schlachtruf: „Hool-, Hool-, Hooligan!“ Mit dieser Situation hatten die Polizisten nicht gerechnet. Sie mussten ebenfalls den Zug verlassen und gingen den Fans hinterher. Dort hörten sie, dass die Fans nach Magdeburg wollen.
„Verdammter Mist!“, schimpfte Mehlmann. „Jetzt müssen wir auch noch nach Magdeburg!“
„Das ist ja nicht das Schlimmste“, antwortete Erich. „Die Magdeburger Kollegen sind auf dem Weg nach Halle und was das bedeutet, könnt ihr euch ja denken.“
„Ja, verdammt noch mal, es ist keiner da, wenn wir ankommen.“
„Und ich möchte nicht wissen, wann wir wieder zurück sind. Immerhin haben wir zwei schon eine Frühschicht hinter uns und müssen morgen um vier wieder aufstehen. Na gut, ich um vier und Marc um fünf.“, warf Alex frustriert ein.
Daraufhin überlegte der Gruppenleiter und sagte: „Na gut, da fahrt ihr eben mit dem nächsten Zug zurück und macht Feierabend.“
„Nein, so war das nicht gemeint. Wir lassen euch nicht im Stich!“
Der Gruppenleiter freute sich über die Antwort. Denn sieben Beamte sind besser als fünf.
Während die Fans in der Vorhalle auf den Zug nach Magdeburg warteten, kam Erich mit einigen Fans ins Gespräch. Die erklärten ihm, dass sie sich in Kassel von ihrer Gruppe abgesetzt haben, um einfach mal Magdeburg unsicher zu machen. Außerdem wollten sie ihren Frust runterspülen. Ihre Mannschaft hatte 0:5 verloren. Und dieses Ergebnis war für die Fans absolut nicht hinnehmbar und das mit dem Frust runter spülen konnte man nicht mehr übersehen. Der Alkohol tat seine Wirkung. Manch einer der Fans konnte nicht mehr geradeaus laufen, musste sich ständig irgendwo abstützen, um nicht hinzufallen, und sie hatten teilweise schon eine heisere Stimme. Nun galt es auch noch darauf aufzupassen, dass keiner in den Gleisbereich stürzt. Am liebsten hätte unser Gruppenleiter die Besoffenen heraussortiert und vom Bahnhof verwiesen. Aber das war bei den wenigen Beamten nicht möglich und hätte zu unkontrollierbaren Widerstandshandlungen geführt. Als der Zug in Richtung Magdeburg einfuhr, wurde auch dieser gestürmt. Die Beamten achteten darauf, dass alle Fans zusammenblieben und keiner zurückgelassen wurde.
Und manchmal passieren bei solchen Einsätzen noch kleine Wunder. Denn, nach kurzem Tumult im Zug, konnte man sehen, wie hier und da die ersten Fans einschliefen. Es dauerte nicht lange und alle hatten die Augen zu. Den Beamten war es recht. Sie hatten von nun an eine relativ ruhige Fahrt bis Magdeburg.
Kurz vor Magdeburg wurden die Fans durch mehrere Lautsprecherdurchsagen geweckt und die, die nicht munter wurden, wurden von den Beamten an der Schulter wachgerüttelt. Als der Zug in Magdeburg einfuhr, stand der Großteil der Fans übermüdet an den Türen. Am Bahnsteig angekommen, stiegen sie aus und schlichen in die Vorhalle. Manch einer versuchte mit ihren Schlachtrufen die Stimmung noch mal anzuheizen. Das funktionierte nicht mehr. Es kam mehr oder weniger nur noch ein heiseres Krächzen heraus. Die Truppe war erschöpft und ausgelaugt. Der Dienstgruppenleiter von der Magdeburger Dienststelle stand mit noch zwei Beamten am Bahnsteig und bat die Nordhäuser Kollegen noch um einen Gefallen. Sie sollten mithelfen, die Fans aus dem Bahnhof zu führen. Dieser Bitte wurde nachgekommen. Vor dem Bahnhof standen drei Streifenwagen der Landespolizei und die sollten oder wollten sich nun um die Fans kümmern.
Nun hatten die Nordhäuser es geschafft. Sie waren die Hooligans los. Jetzt, wo sie weg waren, spürte Erich einen unbändigen Hunger und Durst. Sie hatten die ganze Zeit nichts gegessen. Sie hatten bei dem überstürzten Einsatz auch nichts dabei. Erich suchte nach irgendwelchen Kaffeeautomaten und fand in der Mitte vom Nachbarbahnsteig einen. Nun, als er losging, stellte er fest, dass er nicht der Einzige war. Alle hatten Hunger und Durst. Und unweit des Kaffeeautomaten gab es noch was zu beißen. Natürlich auch aus dem Automaten. Das spielte im Moment keine Rolle. Hauptsache, der Magen hatte was zu tun und ihnen ging es danach besser. Fürs erste gesättigt, marschierte die Gruppe zu dem zwischenzeitlich bereitgestellten Personenzug in Richtung Heimat.
In Nordhausen angekommen, war die Schicht fast um und sie bereiteten sich so langsam auf den Feierabend vor. Sie hatten ihn sich verdient. Sie gehören ja nicht mehr zu den Jüngsten.
Auf der Heimfahrt machte sich Erich noch mal Gedanken über den Einsatz. Er konnte es immer noch nicht begreifen, wie man neben ihm die Notbremse ziehen konnte, ohne dass er es bemerkt hatte. Ansonsten sagte er sich: „Die Schicht ist rum. Die Fans sind gut angekommen und keinem ist etwas passiert. Also haben wir eine gute Arbeit abgeliefert! Und außerdem hatten wir schon schlimmere Einsätze mit mehreren verletzten Kollegen, wo deren Einsatz im Krankenhaus endete.“ Beim weiteren Grübeln fiel ihm plötzlich das Gedicht einer Kollegin ein, die dahingehend, in einer Einsatzhundertschaft, reichlich ihre Erfahrungen sammeln durfte.
Von Hirten und Herden
Sie werden empfangen, werden erwartet.
Werden gezählt und zusammengetrieben.
Freundlich aber bestimmt.
Sie sehen uns nicht, wir werden gemieden.
Sie trüben ihre Sinne
mit