Krähenflüstern. Regine Kölpin

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Krähenflüstern - Regine Kölpin

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ein. Es tat gut, richtig tief durchzuatmen.

      Eine Ansammlung von Kiebitzregenpfeifern war schon aus der Tundra eingetroffen und rannte am Wasser auf und ab. Daneben watschelten zwei Brandgänse und ein Rotschenkel bohrte seinen spitzen Schnabel immer wieder in das Watt.

      Tanja schwenkte den Blick Richtung Eckwarden und war begeistert vom Bild der untergehenden Sonne, die im Nebel der Nordsee zu versinken schien. »Postkartenkitsch«, grinste sie.

      Tanja harrte lange aus. Sie genoss die Rufe der Seevögel und das Alleinsein mit sich und dem Leben hier draußen.

      Dann sah sie auf die Uhr. Es war spät geworden, sie musste sich auf den Rückweg machen. Wie immer hatte sie keine Taschenlampe dabei. Bei Einbruch der Dunkelheit war es nicht die wahre Wonne, durch das mit kleinen Gräben durchzogene Gebiet zurückzulaufen, weil der Weg dann nicht mehr gut zu erkennen war. Außerdem spürte sie schon die Feuchtigkeit, die sich durch alle Poren der Kleidung sog.

      Das wehmütige »Tüüt«, des Rotschenkels trieb Tanja zur Eile. »Tjü-dü-dü!« Er flog über sie hinweg. Mit diesem letzten Flöten schienen die Salzwiesen zu verstummen und sich mit dem Nebelschleier, der mit dem aufkommenden Wasser auf die Küste zuwaberte, zudecken zu wollen.

      Tanja ging einen Schritt schneller. Sie stolperte über einen kleinen Priel, der sich durch die Wiese gefressen hatte. Es raschelte neben ihr, und in der Ferne sah sie im verblassenden Tageslicht die Sumpfohreule auf der Jagd nach Wühlmäusen. Die hatte sie hier noch nie gesehen, aber ihr kurzer Warnruf war unverkennbar.

      Tanja rappelte sich auf und wischte die schlickige Hand an der Hose ab. Sie griff nach dem Fernglas und versuchte, noch einmal einen Blick auf die Eule zu erhaschen, aber irgendwie gelang ihr keine scharfe Einstellung.

      Die Stille über dem Deichvorland hatte mit einem Mal nicht mehr den beruhigenden Charakter, der sie sonst wieder und wieder hierher zog. Kein Schaf durchschnitt die Abendluft mit seinem Blöken, der Deich endete verwaist im weißen Nichts.

      Am Zaun stand eine Gestalt, es war aber schon zu dunkel, um Genaueres zu erkennen. Wahrscheinlich war es ein Hundehalter, der seinen Köter wieder nah am Zaun rennen ließ. Es war immer das Gleiche mit ihnen, Tanja hatte deswegen schon häufig Stress gehabt. Sie sah sich noch einmal in Richtung Meer um. Der Nebel hatte die Salzwiesen hinter ihr völlig überflutet. Ihre Beine bewegten sich unwillkürlich schneller. Es war so still, dass ihr hektischer Atem wie das Stampfen einer Lokomotive wirkte.

      Tanja stolperte über den nächsten Priel. Ein stechender Schmerz schoss ihr durch den Fuß.

      »So ein Mist!« Sie war wütend. Warum hatte sie diese Furcht bloß zugelassen? Es war bescheuert, hier in der Dämmerung unkontrolliert loszurennen. Es geschah ihr ganz recht, dass sie sich nun verletzt hatte.

      Bevor Tanja aufzustehen wagte, bemühte sie sich erst, ihren Atem und das laute Schlagen des Herzens unter Kontrolle zu bekommen.

      Nach einer Weile wurde sie ruhiger. Es war still bis auf das gelegentliche Rascheln der Mäuse und das unermüdliche leise Quatschen des nassen Bodens.

      Tanja rieb sich den Knöchel. »Jetzt ist es gut, Tanja Wildbruch. Auf nach Hause!«, sagte sie laut und war froh, dass ihre Stimme wieder fast normal klang. Es war wirklich nicht mehr weit bis zum Zaun, sie konnte die Umrisse schon erkennen. »Einfach aufstehen und dorthingehen, du alberne Gans!«, forderte sie sich selbst auf.

      Aber als Tanja sich gerade erheben wollte, spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter, die sie auf den Boden zurückdrückte.

      *

      Linda wurde unruhig. Und wütend. An ihrem ersten gemeinsamen Abend im neuen Haus saß sie allein zwischen den Umzugskisten. Laurin hatte drei Stücke des aufgebackenen Baguettes verdrückt, dazu ein dickes Stück Käse und war dann, nach einem Glas Apfelsaft, ohne Murren ins Nebenzimmer auf die Matratze verschwunden.

      »Cool, Mama«, hatte er mit seiner heiseren Stimme gesagt, die schon fast nach Stimmbruch klang. »Ein Madratzenbett. Ist cooler als ein echtes Bett, weil nur die Madratze eben cool ist.«

      Laurin liebte das Wort »cool« und mit dem »T« in der Matratze kam er nicht zurecht. Linda fand das Wort mit dem weichen »D« gesprochen eigentlich auch viel netter.

      Als sie wieder heruntergekommen war, sah sie im Licht der Außenleuchte, dass Sinje ihre Einkaufskisten durch den Hauswirtschaftsraum ins Haus schleppte. Sie winkte freudig herüber, als sie Lindas Silhouette im Fenster entdeckte.

      Linda musste schlucken. Überall sah das Leben einfach, geradlinig aus, nirgendwo holperte etwas. Ein völliger Friede rings um sie herum. Nur bei ihr waren kleine Ecken und Kanten zu sehen, die immer schärfer und schärfer wurden.

      Linda ließ sich auf einen Sessel fallen, der schon ohne Folie im Wohnzimmer stand. Wahrscheinlich sah sie einfach zu schwarz. Es war halt nicht leicht für Thiemo, die neue Familie und seinen verantwortungsvollen Beruf zu vereinbaren. Sie sollte etwas mehr Verständnis aufbringen. Wenn Thiemo in einer halben Stunde immer noch nicht hier war, würde sie ihn anrufen und dann sehen, dass wirklich nichts Außergewöhnliches passiert war.

      »Wenn sie nur Fußball spielen …«, hatte Sinje gesagt. Linda fiel ein, dass auch Hanno mit dem Wagen losgefahren war und Sinje nicht gesagt hatte, wohin.

      »Wo Hanno sich rumtreibt, weiß ich nicht«, sagte Linda laut. »Aber Thiemo ist bei der Arbeit.« Sie nahm sich ein Glas Rotwein und machte es sich, so gut es ging, bequem. Draußen herrschte dichter Nebel, vielleicht konnte Thiemo auch einfach nicht so schnell fahren. Es war ein seltsames Wetter. Zuerst dieser blutrote Sonnenuntergang und dann diese dicke Suppe, die einen selbst im Haus fast ersticken ließ.

      Linda musste eingeschlafen sein, denn sie fuhr erschrocken aus dem Schlaf, als sich eine Hand auf ihr Haar legte.

      »Hallo, Spatz!« Thiemo gab ihr einen Kuss. »Es tut mir leid, dass es später geworden ist. Ich wollte dir so gern helfen, aber …« Er zuckte mit den Schultern.

      Linda fand, dass er blass aussah. »Ärger?«, fragte sie und stand auf.

      »Das Übliche, nichts Besonderes, aber es reichte halt, um nicht hier sein zu können. – Hast du noch was zu essen?« Thiemo ging in die noch unfertige Küche und machte den Kühlschrank auf. »Ein Stück Käse, ein Glas Erdbeermarmelade und das war’s. Lecker. Haben wir denn Brot?«

      Linda nickte, stand auf und piekte mit dem Finger in die nun schon wieder weiche Kruste des Baguettes. »Pappbrot. War mal schön knusprig heute. Vor deiner Zeit.«

      »Egal, ich habe nur noch Hunger.«

      »Morgen gehe ich als Erstes einkaufen«, sagte Linda. »Kann ich ja hier im Ort machen. Es gibt hier ja eine Fleischerei und einen Bäcker.«

      »Nicht nur das«, sagte Thiemo. »Es gibt auch einen kleinen Supermarkt, eine Bank und ein Porzellan- und Fahrradgeschäft.«

      »Dann kann uns ja nichts passieren«, lachte Linda. »Zur Not kaufe ich ein Fahrrad.«

      »Okay. Vielleicht brauchst du das nach der ersten gemeinsamen Nacht in unserem Haus«, grinste Thiemo. »Falls du damit entfliehen willst.« Er holte sich einen Stuhl, den er mit der Lehne nach vorn stellte, und ließ sich rittlings darauf fallen. Dann goss er sich auch etwas von dem Rotwein ins Wasserglas und lümmelte seinen Oberkörper über die Stuhllehne.

      »Wir hätten das alles besser timen sollen«, sagte Linda, aber

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