Krähenflüstern. Regine Kölpin
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Krähenflüstern - Regine Kölpin страница 7
*
Tanja Wildbruch hatte gerade eine Führung durch die Salzwiese gemacht. Ihre blonden Haare hatte sie unter ein buntes Tuch gezwängt, und sie scherzte mit einem Mann, der neben ihr die Straße herunterlief. Der Rest der Gruppe folgte in kurzem Abstand.
Vor Tanjas Wohnung, die in einem Haus gleich unterhalb des Deichfußes lag, blieben sie und der Mann stehen. Er gab ihr die Hand, hielt sie einen Augenblick länger fest, als es nötig war. Dann beugte er sich nach vorn, flüsterte ihr etwas ins Ohr. Es musste ein guter Witz gewesen sein, beide lachten lauthals los.
Hubert Lambacher stand nicht zum ersten Mal mit seinem schwarzen Golf auf dem Parkplatz am Fußballplatz in Cäciliengroden und beobachtete die Altenpflegerin.
»Naturführungen«, dachte er. »Dabei hat sie wahrscheinlich den Mord an meiner Mutter geplant.«
Hubert Lambacher hatte nachgeforscht. Tanja Wildbruch hatte an dem besagten Nachmittag Dienst gehabt und war für seine Mutter zuständig gewesen. Und die hatte sich oft über diese impertinente Pflegerin beklagt. Tanja sei arrogant und unverschämt, ihr fehle jeglicher Funke von Anstand. Hubert solle doch mal mit ihr reden. Das hatte er dann versucht, aber als die schöne Frau vor ihm gestanden hatte, war Hubert sich nicht mehr sicher gewesen, ob die Anschuldigungen seiner Mutter vielleicht nicht doch ungerechtfertigt waren. So hatte er Tanja nur um eine zusätzliche Tasse gebeten, die sie ihm – sichtlich genervt, weil er sie von der Arbeit abhielt – in die Hand gedrückt hatte.
Tanja zupfte sich jetzt das rote Tuch vom Kopf und ihr Pferdeschwanz wackelte dabei hin und her. Diese Frau war zwar schön, aber sie konnte ihn jetzt nicht mehr einlullen. Hinter ihrem Gesicht schlummerte die teuflische Fratze des Todes.
Ihr Chef, Thiemo Hanken, glaubte ihr wahrscheinlich alles, wenn sie mit ihren blauen Augen rollte und lächelnd die kleinen, ebenmäßigen Zähne freigab. Hubert Lambacher dachte, dass sie wahrscheinlich mit ihm schlief. Doch wie immer sagte er sich, auch das sei nur eine Hypothese. Denn zusammen gesehen hatte er sie nie. Aber die Frau hatte diesen gewissen Blick, das erkannte er sofort. Hubert verachtete solche Frauen. Sie nahmen sich die Männer, vergnügten sich und warfen sie dann weg wie faules Obst, das nicht mehr schmeckte. Er wusste schon, warum er zu den Professionellen ging. Oder die Liebespaare belauschte, die es in der freien Natur oder auf den Parkplätzen trieben. Davon gab es schließlich genug und er konnte so tun, als sei er dabei. Nicht, dass ihn diese Frauen weniger abstießen, aber er musste kein Gefühl investieren und wenn er nicht so konnte, wie er wollte, lachte keiner darüber.
Die Teilnehmer der Führung begannen sich zu zerstreuen. Nur Tanja unterhielt sich noch immer mit dem Typen. Sie würde ihn bestimmt mitnehmen in ihre Wohnung und dort … Hubert Lambacher merkte, dass ihn dieser Gedanke nicht kalt ließ.
Aber dann winkte der Mann Tanja zu und ging zu seinem Wagen. Sie verschwand rasch in ihrem Haus. Hubert Lambacher wartete noch und stellte sich vor, was sie jetzt in ihrer Wohnung tat. Wahrscheinlich stand sie unter der Dusche. Die Wassertropfen perlten an ihr ab, verloren sich erst in der Spur zwischen ihren prallen kleinen Brüsten und glitten dann zielstrebig in die dunkle Tiefe zwischen ihren Beinen. Ihre geschlossenen Lider zuckten unter der Wohltat des heißen Wassers und der Mund war leicht geöffnet, während ihre Hände den Schaum des Duschbades mit dem Wasser vereinten.
Hubert wandte sich ab. In Tanja Wildbruch schlummerte ein Hass, der sich unter ihrer Vollkommenheit verbarg, nur heimlich aus den Poren herausleckte, sich aber dann schnell zu einem tödlichen Fluss auswachsen konnte. Sie war eine Mörderin, eine Hexe! Nur er würde ihr widerstehen, sich nicht einwickeln lassen. Niemals. Huberts Hände zitterten, die Kapillare gehorchten nicht mehr und verfärbten seine Fingerkuppen binnen kürzester Zeit in ein gelbliches Weiß. Er rieb die schmerzenden Spitzen, bis er wieder Gefühl bekam, startete dann den Motor und fuhr aus dem Dorf hinaus.
1968
In der Nacht wacht er auf, weil seine Hose nass ist. Er traut sich nicht, nach der dicknasigen, schwarzen Frau zu rufen. Sie ist ihm unheimlich in dem schwarzen Mantel, der sogar das Haar bedeckt. In seiner Kirche haben die Frauen anders ausgesehen. Die, die ihm die Kekse gegeben haben.
Ganz vorsichtig schlüpft er ins Bad, zieht sich die Hose aus und klettert mit einem Handtuch wieder ins Bett. Aus Furcht, die anderen zu wecken, traut er sich nicht, etwas Trockenes aus dem Schrank zu holen, weil die Tür so quietscht. Die nasse Hose versteckt er am Fußende unter dem Laken, spürt die ganze Nacht das verräterische Knäuel. Es ist nicht gemütlich mit dem kratzenden Handtuch um den Po. Der Junge wälzt sich unruhig im Bett hin und her.
Schließlich schläft er doch wieder ein. Als er morgens aufwacht, liegt die Decke auf dem Boden. Die anderen Jungen stehen um sein Bett herum.
Sie lachen und ziehen das Handtuch weg. »Bettnässer! Der Neue ist ein Bettnässer!«
Der Junge ist froh, dass sie seinen Namen nicht sagen. So kann er sich einbilden, dass gar nicht er gemeint sei.
»Bettnässer, Bettnässer …« Die Töne gleiten wie Wellen auf und nieder, erst hoch, dann abschwellend und wieder ansteigend. Tückisch tragen sie dieses böse Wort, mit dem der Junge in der Mitte getroffen und verletzt werden soll. Weil er neu und angreifbar ist.
Der Junge schließt die Augen, taucht in den monotonen Gesang ein. Er flüstert leise die Worte seiner Mutter. »Ich komme und ich hole dich! Bald.«
Von dem Krach angelockt, kommt die schwarze Frau. Sie sieht den nackten Jungen im Bett. »Hast du an dir gespielt?« Der Junge schüttelt heftig den Kopf. »Du bist vier Jahre alt und so verdorben!« Die Frau zerrt ihn aus dem Bett und stellt ihn unter die kalte Dusche. Das helle Lachen der Jungen, der Hohn und Spott ihrer Stimmen, schicken ihn in einen schützenden Tunnel. Nur noch entfernt kommen die gesungenen Worte bei ihm an. »Bettnässer, Bettnässer …«
Das kalte Wasser schlägt Risse in die schützende Hülle. Der Gesang hat aufgehört, einzig die Wassertropfen klatschen auf seinen Körper. Der Junge beginnt zu zittern.
Schließlich kommt eine andere Frau, die nach Pfefferminz riecht. Sie umwickelt ihn mit einem Handtuch und schließt ihn in die Arme.
Freitag 10.3.
»Gib mir mal den Kleister, ich muss hier noch etwas nachschmieren.« Thiemo hielt Linda die Hand auffordernd hin.
Sie merkte, dass seine Laune zum Schneiden schlecht war. Seine Bewegungen, die normalerweise ruhig und ausgeglichen, immer ein bisschen selbstgefällig waren, wirkten abgehackt und fahrig. Dazu stand sein Haar widerspenstig vom Kopf ab. Thiemo musste sich mehrfach mit der Kleisterhand hindurchgefahren sein.
Sie wollten in zwei Wochen einziehen und es war nicht sicher, ob sie es schafften, bis dahin mit jedem Zimmer fertig zu werden. Thiemo kam ständig so spät von der Arbeit, dass Linda ihn, außer auf der Baustelle, fast nur noch schlafend zu Gesicht bekam. Und die Wochenenden verbrachten sie zur Zeit mit irgendwelchen Malerarbeiten oder anderem Kleinkram. Meist bekamen sie sich irgendwann in die Wolle und Thiemo rannte vor die Tür, um sich zu beruhigen.
Linda reichte ihm den Quast und er verschmierte damit den Kleister an der Rückseite der Tapete.
»Wir sollten den Maler kommen lassen«, sagte Thiemo. Er riss wütend die ganze Bahn ab, weil sie sich oben schon wieder löste. »Mir fehlt einfach die Ruhe.«
»Ich glaub auch«, sagte Linda. »Ein Cappuccino wäre jetzt wohl nicht verkehrt!« Sie flüchtete in den Raum, der einmal die Küche werden sollte.