Krähenflüstern. Regine Kölpin

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Krähenflüstern - Regine Kölpin

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Ein seltsamer Typ. Allein der Name war lächerlich. Aber wenigstens hatte er zurückgerufen.

      Dabei war der Kerl aber wieder die Unfreundlichkeit in Person gewesen. Ganz klein und dumm hatte Hubert sich gefühlt, als er vergeblich versucht hatte, ihm von den Todesschwestern zu erzählen, die überall auf der Welt nur darauf warteten, ihre Patienten zu töten.

      »Es ist aber ein eindeutiger Fall. Ihre Mutter war hoffnungslos unterzuckert«, hatte der Kommissar ihn gleich unterbrochen. »Sie war einfach undiszipliniert. Es tut mir leid!«

      Dieser Ton ließ Hubert verstummen, obwohl er sich vorher die Worte zurechtgelegt hatte. Das höhnische Tuten, das ihm dann der Hörer entgegenspuckte, war einfach nur brutal.

      Er hatte das mit den kaputten Reifen wieder nicht sagen können. Der Kommissar hätte ihn ja ausgelacht. Der hatte seine Wahrheit schon festgelegt, da war kein Platz mehr für die Theorien eines unglücklichen Sohnes. Seine Worte wären schon im Vorfeld klar gewesen. Der Mann war wie seine Mutter und die hatte auch immer recht gehabt. Herr Lambacher! Sie sind Mathelehrer an einem Gymnasium. Da können Sie sich doch ausrechnen, wer so etwas macht. Erstatten Sie Anzeige und wir nehmen den Schaden auf.

      Und so war Huberts Verdacht, dass die Reifen etwas mit dem Tod seiner Mutter zu tun haben könnten, unausgesprochen durch sein Denken gekrochen, bis er sich irgendwann festgesetzt hatte und Stück für Stück seine Hirnwindungen zermarterte. Am Ende war ein brennender Kopfschmerz entstanden, den er mit nichts löschen konnte.

      Es gab einen Menschen in diesem Heim, der seine Mutter getötet hatte. Er konnte es nur nicht beweisen.

      Bestimmt war sie einer der Altenpflegerinnen auf den Schlips getreten. Und die war dann zum Todesengel geworden, wie die ganzen anderen Schwestern und Pfleger, die ihre Patienten getötet hatten. Hubert hatte alle Berichte, die er finden konnte, in den Nächten verschlungen.

      Er betrachtete wieder seine weißen Fingerkuppen, die am Lenkrad klebten und sich nicht lösen konnten, wischte mit der Wange über die Schultern und merkte, dass er dabei feuchte Spuren auf seiner Jacke hinterließ.

      Die zerstochenen Reifen könnten der Schlüssel sein. Aber nichts im Leben machte Hubert bei irgendeiner Sache wirklich sicher. Alle Gedanken, alle Ideen waren immer nur vage und auf Hypothesen ausgelegt, einzig die mathematischen Formeln folgten einer unumstößlichen Logik, um die er sein ganzes Leben formierte.

      Hubert glaubte aber einfach nicht, dass einer seiner Schüler die Reifen zerstochen hatte. Zum einen hatte er nie jemanden durchfallen lassen und zum anderen wohnte er in Wilhelmshaven, unterrichtete aber an dem zwanzig Kilometer entfernten Schlossgymnasium, einer privaten höheren Schule in Jever. Und wenn er ehrlich war: Den Schülern war er zu unwichtig.

      Sie nannten ihn Weichei und Muttersöhnchen, hatten herausgefunden, wie sehr er an seiner Mutter hing. Er war sicher nicht beliebt, eher die Witzfigur der Schule, weil er mit seiner Hornbrille und dem kurzgeschorenen Haar den klassischen Mathelehrer verkörperte. Außerdem war er Junggeselle, da kam es schon mal zu Sprüchen, wie: »Der sollte mal so richtig … dann ist er auch ein echter Kerl.«

      Nur, dazu brauchte Hubert keine Ehefrau, es gab in Wilhelmshaven und Umgebung genug Etablissements, die diesen Zweig seiner Männlichkeit befriedigten – und von ihm keine weiteren Verpflichtungen forderten.

      Mit diesen banalen Dingen des Lebens musste er sich nicht befassen, daher hatte er genug Zeit für seine Mutter gehabt. Sie hatten nicht ihr ganzes Leben miteinander verbringen können, zu viel Zeit war schon verschwendet worden. Da wollte er nun ausschließlich für sie da sein. Und jetzt war er allein. Ganz allein, ohne sie.

      Hubert löste eine Hand vom Lenkrad und wischte mit dem Jackenärmel über die beschlagene Scheibe, weil ihm am Seiteneingang eine Bewegung auffiel.

      Thiemo Hanken trat aus dem Haus. Er sah übernächtigt aus, vielleicht machte ihm die Geschichte doch mehr zu schaffen, als er zugeben wollte. Obwohl wahrscheinlich so oft ältere Herrschaften verschieden, dass er sich normalerweise bestimmt keine Gedanken darüber machte.

      Hubert wusste nicht, wie lange er hier noch mit dem Auto vor dem Gebäude stehen wollte, er wusste nicht einmal, was es bringen sollte. Zu Hause lag noch der Stapel mit den Leistungskursklausuren, die dringend zu bearbeiten waren. Aber irgendetwas sagte ihm, dass er hier, vor der Tür der Seniorenanlage, das finden würde, das ihn weiterbringen musste.

      Es dämmerte, als er die Pflegerin aus dem Haus gehen sah, die seine Mutter am Freitagnachmittag hätte betreuen sollen – wenn sie nicht diesem irrsinnigen Licht aufgesessen wäre und gedacht hätte, er sei anwesend. Es wäre trotzdem ihre Pflicht gewesen, reinzuschauen. Egal, was seine Mutter angeordnet hatte. Sie war schließlich verantwortlich. Hubert Lambacher ließ den Motor an und folgte der blonden Frau.

      *

      Als Thiemo in Jever ankam, war es bereits dunkel. Linda hatte Erbsensuppe gekocht und war gerade dabei, Laurin aus der Wanne zu lotsen, als er in den kleinen beengten Flur trat.

      Laurin kreischte, wollte noch sein Schiffchen fahren lassen. Heute ging es Thiemo wirklich auf die Nerven. Am liebsten wäre er auf dem Absatz umgedreht, sofort wieder in seine Wohnung nach Sande gefahren und hätte die Beine auf den Tisch gelegt. Heute Abend kam die Live-Übertragung des Spieles Werder gegen Wolfsburg. Das hätte er sich gern in Ruhe angesehen. Aber seine Wohnung war eine Baustelle. Die Jahre des Junggesellendaseins hatten mehr Spuren hinterlassen, als Thiemo vermutet hatte. Deshalb hatte er jetzt begonnen, zu renovieren. So konnte er die Wohnung schließlich keinem Nachfolger hinterlassen. Aber er wollte nicht zwischen Kleister und Tapetentisch hausen. Das wäre vermutlich noch grausamer als das Gekreische aus dem Badezimmer.

      Vielleicht hätte er sich mit Hanno zum Fußballgucken verabreden sollen, aber davon wäre Sinje wahrscheinlich nicht begeistert gewesen. Ihr schienen Hannos zwei Trainingsabende und die Wochenendspiele schon völlig zu reichen. So langsam schwante Thiemo, dass es ihm mit Linda bald nicht anders ergehen würde.

      Er fläzte sich an den Küchentisch, sagte Linda noch nicht, dass er da war. Noch ein bisschen abspannen, ausruhen, vielleicht schlief der Knirps ja gleich. Thiemo hätte gern einen Abend Ruhe gehabt. Und vielleicht auch Linda mal wieder für sich allein … Das brächte etwas Ablenkung.

      Der Besuch des schweinsäugigen Kommissars hatte ihm doch zugesetzt. Er musste morgen unbedingt noch einmal mit der zuständigen Schwester reden. Heute war er einfach zu müde gewesen. Thiemo gähnte und hoffte, dass die Geschichte im Sande verlaufen würde. Mord! Das war doch absurd. Trotzdem hätte die Schwester mal reinschauen sollen.

      Thiemo zuckte mit den Schultern. Irgendwie hatte die Lambacher mit ihrer Lampenaktion das Ganze ja selbst heraufbeschworen. Sie hatten lange diskutiert, ob sie sich daran halten sollten. Aber weil diese Giftspritze nur noch zeterte, hatte er grünes Licht gegeben.

      Eigentlich schade, dass die Frau so unangenehm gewesen war. Sie hatte trotz ihrer Behinderung nicht viel älter gewirkt als ihr vierzigjähriger Sohn. Dem Aussehen nach hätte er fast der etwas jüngere Ehemann sein können.

      Thiemo dachte, dass Elfriede Lambacher früher mit Sicherheit Format gehabt hatte. Das Blond ihrer Haare war zwar längst einem glänzenden Silbergrau gewichen, aber man konnte durchaus noch erkennen, was für ein Kaliber die Lambacher zu ihren besseren Zeiten gewesen war. Dafür hatte Thiemo einen Blick.

      »Hallo! Du bist schon da?« Linda umschlang ihn mit ihren Armen.

      »Ja, war ein dummer Tag«, sagte er.

      Linda blickte erstaunt. Es kam selten vor, dass er Schwierigkeiten zugab. Sie sagte aber nichts,

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