Leopardenjagd. Edi Graf

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Leopardenjagd - Edi Graf

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Hunger begann erneut in ihr zu nagen, die Jungen in ihr zehrten an ihren Kräften. Wenn das Blut nun doch angenehm roch, warum sollte dann das Fleisch nicht genießbar sein? Es kam auf einen Versuch an. Noch einmal sah sie sich vorsichtig um, witterte nach allen Richtungen. Sie konnte keine Falle entdecken, keinen Feind, der sich im Schutz des dichten Blätterdachs versteckte. Ihre Zunge fuhr heraus und leckte dem Toten über das Gesicht. Sie schmeckte das Blut, das aus dem Schnitt in der Kehle über seine Backenknochen rann. Das Fleisch roch frisch und ihre Zähne begannen, die Nackenwirbel freizulegen. Noch verriet ihre Haltung Anspannung und ihr Blick drückte Argwohn aus, doch je mehr ihr Gaumen mit dem Geschmack der fremden Beute vertraut wurde, desto freier wurden ihre Bewegungen. Schließlich ließ sie sich entspannt neben dem Kadaver nieder, riss mit ihren dolchartigen Eckzähnen das khakifarbene Hemd in Fetzen und begann zu fressen.

      5

      Der erste Brief

      Hallo Linda,

      gestatten Sie mir, dass ich Sie Linda nenne, denn Ihr Nachname ist mir noch nicht geläufig. Als wir uns damals kennenlernten, waren Sie nicht verheiratet, und wie ich herausgefunden habe, sind Sie auch schon wieder geschieden. Aber das nur nebenbei.

      Der Grund meines Schreibens liegt in einem Verfahren vor ziemlich genau 14 Jahren, wenn es nach dem Willen des Hohen Gerichts gegangen wäre, hätten es sogar 15 Jahre sein müssen. Na, macht es klick? Blättern Sie doch bitte mal in Ihrem hübschen Kopf 14 Jahre zurück und schlagen Sie die Seite »12. April« auf!

      Klick?

      Oder das Kapitel »Mein Karrieresprungbrett«.

      Klick?

      Denn als solches darf ich mich doch sicher bezeichnen? Ich habe sehr wohl mitverfolgt, wie es mit Ihrer Karriere voranging, nachdem ich Ihnen durch mein Zutun auf die Sprünge geholfen hatte, wenn auch unfreiwillig, wie Sie zugeben müssen. Na, hat es immer noch nicht klick gemacht? Haben Sie mich wirklich schon vergessen, in nur 14 Jahren?

      Nun, ich kann Ihnen versichern, ich habe Sie nicht vergessen. Sie und die anderen, die mir mein Leben um 14 Jahre verkürzt haben.

      Klick?

      Ich habe weder vergessen noch vergeben.

      Als gebildete Journalistin werden Sie mit den Klassikern der deutschen Dichtung vertraut sein. Wovon ist wohl die Rede, wenn Schiller in Wilhelm Tell sagt: »Ihr Genuss ist Mord und ihre Sättigung das Grausen«?

      Nun, ich will Sie gern ein bisschen auf die Folter spannen, meine Liebe.

      Von Mord wird bald die Rede sein. Und das Grausen werden Sie kennenlernen.

      Aber im Gegensatz zu mir damals werden Sie eine kleine Hoffnung haben: Bringen Sie endlich die Wahrheit ans Licht!

      Ach, und noch etwas, so ganz nebenbei. Behalten Sie den Inhalt meiner Briefe für sich. Das geht nur uns beide etwas an.

      Hochachtungsvoll

      Chui

      6

      Linda Roloff betrachtete das Bild, das auf ihrem Nachttisch stand, ihre Finger strichen über das reflexfreie Glas, und sie versuchte, sich das Kribbeln in Erinnerung zu rufen, das sie gespürt hatte, wenn ihre Fingerkuppen über seinen Dreitagebart geglitten waren. Sie versuchte, sich seinen Geruch zu vergegenwärtigen, diesen wilden Buschgeruch, unparfümiert, männlich, intensiv. Den Duft seiner Haut, seiner Haare, seines Atems. Sie versuchte, seine Küsse zu spüren, seine Stimme zu hören, sein Lachen. Und dann versuchte sie, ihn zu vergessen. Wenigstens für den Rest dieser Nacht. Sie brauchte dringend ihren Schlaf. Sie knipste das Licht aus und schloss die Augen. Sie hatte aufgehört, die Nächte zu zählen, die Nächte ohne eine Nachricht von Alan Scott.

      Es war wenig los gewesen – eine halbe Ewigkeit schien es ihr her zu sein – auf der Ankunftsebene des Stuttgarter Flughafens. Linda war sich ein wenig verloren vorgekommen, nachdem die Wartenden um sie herum ihre Angehörigen in Empfang genommen und mit lachenden Gesichtern das Ankunftsterminal verlassen hatten. Linda hatte in dem kleinen Blumengeschäft drei rote Rosen gekauft, mit einem kleinen grünen Anhänger, auf dem die Worte Herzlich willkommen zu lesen waren. Alan würde sich darüber freuen, hatte sie gedacht.

      Ihre Augen hatten an der großen, schwarzen Anzeigetafel geklebt, wo die gelben Buchstaben immer wieder durcheinandergerattert waren und neue Flüge angekündigt hatten. Noch immer hatten die beiden grünen Leuchtdioden neben der Flugnummer abwechselnd geblinkt, als Zeichen dafür, dass sein Flugzeug gelandet war. Sie hatte noch einmal die Flugdaten verglichen, die sie sich notiert gehabt hatte, Flugnummer, Start- und Landezeit waren identisch gewesen.

      Nervös war sie auf und ab gegangen, hatte das Klappern ihrer hochhackigen Schuhe auf dem grauen Steinfußboden gehört und wie sich ihre Schritte mit dem Rattern der Gepäckwagen, den Stimmen anderer Menschen und den wiederkehrenden Lautsprecherdurchsagen zu der bekannten Flughafengeräuschkulisse gemischt hatten.

      Sie hatte noch einmal zur Uhr gesehen, nein, sie hatte sich nicht verspätet gehabt, sie hatte außerdem jetzt schon eine knappe Stunde gewartet. Und sie hatte den Ausgang der Ankunftshalle nicht einen Augenblick aus den Augen gelassen, auch nicht, als sie sich einen Espresso in der kleinen Kaffeebar bestellt hatte.

      Sie hatte vor der Tafel gestanden, die einen Überblick über die Einrichtungen des Flughafens bot. Informationen eine Etage höher, im Abflugterminal eins. Sie hatte die Rolltreppe genommen, oben angekommen die Warteschlange am Infoschalter gesehen und war wieder nach unten gespurtet. Genervt hatte sie auf einem der schwarzen Wartestühle Platz genommen und versucht, ihren Puls unter Kontrolle zu bringen. Immerhin war es möglich gewesen, dass er den Anschlussflug in Frankfurt verpasst hatte. Doch selbst wenn, warum meldete er sich nicht?

      Der Flug Frankfurt-Stuttgart war inzwischen von der Anzeigetafel verschwunden gewesen. Sie war noch einmal zum Infoschalter gegangen und hatte ihr Glück versucht. Der Flug aus Kenya war pünktlich in Frankfurt gelandet, wo steckte Alan Scott? Noch einmal hatte sie auf der Wartebank gegenüber dem Blumengeschäft Platz genommen.

      Später hatte sie sich, nachdem sie allein vom Flughafen zurückgekehrt war, spontan zum Märchensee aufgemacht, um auf andere Gedanken zu kommen. Als sie den See später verlassen hatte, waren drei rote Rosen auf der Wasseroberfläche zurückgeblieben. Ein grünes Kärtchen mit dem Aufdruck Herzlich willkommen war allmählich im Teppich der Wasserlinsen verschwunden, die fast den ganzen See bedeckten.

      Unruhig wälzte sie sich jetzt in ihrem Bett hin und her, doch der Alptraum kehrte immer wieder. Nicht die Rosen trieben dort im See, sondern die Leiche eines Mannes. Schweißgebadet wachte sie auf.

      Sie hatte das Gesicht des Toten erkannt.

      7

      Donnerstag, 24. August 2006, Alter Landungssteg, Friedrichshafen

      Lichtblitze, grell, schnell, hell, in regelmäßigem Abstand von 30 Sekunden, ein kalter Wind aus Südwest, Stärke sieben, die Oberfläche des Sees aufpeitschend, Regen, der fast waagerecht durch die Luft zu jagen schien. Unwetter.

      Die Sturmwarnung hatte schon vor drei Stunden die letzten Segler in die sicheren Häfen getrieben, und selbst die Fischer waren angesichts der Witterung an diesem Spätsommerabend nicht mehr hinausgefahren. Nur die Fähre pflügte zielstrebig dem Aussichtsturm an der Mole zu, dessen Treppengerüst skelettgleich in den wolkenverhangenen Abendhimmel ragte und die Einfahrt zum Hafen markierte.

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