Leopardenjagd. Edi Graf

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Leopardenjagd - Edi Graf страница 8

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Leopardenjagd - Edi Graf

Скачать книгу

25. August 2006, Tübingen

      »Machst du eigentlich noch was anderes außer arbeiten?«, fragte Babs Wagner, als sie morgens um acht Uhr in die Redaktion kam und Linda Roloff schon am PC einen Beitrag abhörte. »Oder bist du für den Frühdienst eingesprungen?«

      Linda Roloff, der man die Ende 30 nicht ansah, schien ihre Kollegin nicht bemerkt zu haben. Ihre braunen Augen, von denen einige ihrer Freunde behaupteten, sie seien ebenso schwarz wie ihre Haare, starrten auf den matten Bildschirm des Computers, die kleinen runden Kopfhörermuscheln klebten auf ihren Ohren und schotteten sie ab von den Geräuschen der realen Welt. Babs beobachtete die blauen Balken der Anzeige, die Kurven und Amplituden der aufgenommenen Töne, die auf dem Bildschirm von rechts nach links liefen, zwischendurch, wenn Linda einen Schnitt setzte, stehen blieben, dann weiter scrollten, bis schließlich das Ende des Beitrags erreicht war. Sie sah zu, wie Linda den fertig geschnittenen O-Ton abspeicherte, mit einem Löschschutz versah und schließlich die Kopfhörer in den Nacken schob, wo das schwarze Kabel wie eine weite Kette um ihren Hals hing.

      Jetzt endlich sah sie auf und bemerkte Babs, die mit müdem Blick den Schreibtisch gegenüber betrachtete und mit einem lauten Seufzer das Chaos aus Papierstapeln, CDs, Dat-Kassetten und Notizzetteln begrüßte, das über Nacht wieder einmal von keinem Heinzelmännchen geordnet worden war. Montagmorgen und die Woche nimmt kein Ende – der Spruch klebte am unteren Ende ihres PCs und spiegelte die Stimmung wider, mit der Babs morgens um diese Zeit ihr Arbeitszimmer betrat, auch wenn heute schon Freitag war. Es war wieder spät geworden gestern Abend, nachdem sie mit zwei anderen Kolleginnen im Sudhaus beim Konzert von Kick La Luna gewesen war. Linda hatte keine Lust gehabt, mitzugehen.

      »Hey, Babs, hab’ dich gar nicht reinkommen sehen«, sagte Linda tonlos, streifte ihre Kollegin nur mit einem flüchtigen Blick, wandte sich wieder der Anzeige auf dem Monitor zu und griff die Kopfhörermuscheln, um sie erneut über die Ohren zu stülpen.

      »Warte mal!«, sagte Babs jetzt laut und griff nach Lindas Handgelenk, um das Aufsetzen der Kopfhörer zu verhindern.

      »Ich muss den Beitrag fertig machen, er soll um halb zehn in den News laufen!«, zischte Linda und entwand sich ihrem Griff.

      »Okay, dann eben danach«, meinte Babs und nahm an ihrem Schreibtisch Platz. »Ich möchte doch nur fünf Minuten mit dir reden. Findest du nicht auch, dass das für zwei gute Freundinnen drin sein müsste?«

      Linda, die die Kopfhörer noch nicht aufgesetzt hatte, hielt in ihrer Bewegung inne und holte laut hörbar Luft.

      »Hattest du noch nie das Gefühl, nein, den Wunsch, einfach mal allein sein zu wollen, für dich, ganz allein, ohne die …«, sie zögerte, »… Fürsorge anderer? Lass mich einfach in Ruhe!«

      Das klang schroff, ziemlich schroff sogar, und wenn sie sich nicht so lange gekannt hätten und Babs Linda zu ihren besten Freundinnen zählte, wäre sie einfach aufgestanden und aus dem Raum gegangen, hätte sich einen Kaffee geholt und für den Rest des Tages schweigend weitergearbeitet. Seit Linda aus Südafrika zurückgekehrt war, hatte sie sich zurückgezogen, abgeschottet, ihren Liebeskummer in sich hineingefressen. Doch wie hatte Clemens, Babs neuer Freund, zu ihr gesagt: So wie die sich abschottet, braucht sie gerade jetzt jemanden, der ihr zuhört. Lass nicht locker, warte den passenden Moment ab und bring sie zum Reden!

      »Nein, das werde ich nicht tun!«, sagte Babs deshalb und fixierte Linda, die ihrem Blick jedoch auswich. »Glaubst du vielleicht, es macht Spaß zuzusehen, wie du dich kaputtmachst? Wie du dich in deiner Arbeit vergräbst und alles in dich hineinfrisst? Meinst du wirklich, es wird besser, wenn du mit niemandem darüber redest? Linda, bitte! Wir haben bisher noch immer alles in den Griff bekommen! Weißt du noch, was du nach der Scheidung von Rob zu mir gesagt hast? Ohne dich hätte ich das alles nicht geschafft! Und jetzt? Jetzt willst du allein stark sein, und ich soll zusehen, wie du dabei krepierst? Ich mach dir jetzt einen Vorschlag, und das Angebot wird nicht wiederholt. Ich warte um halb elf auf dich im Bistro am Neckar. Ich hab heut keinen Termin und nehme mir die Zeit, weil du es mir wert bist. Wenn du keinen Bock hast, okay, aber komm dann nicht in ein paar Tagen zu mir, um dich auszuheulen! Ich hab jetzt lang genug zugesehen. Und tschüss!«

      Babs stand auf und eilte nach draußen. Ihr Monolog hatte seine Wirkung nicht verfehlt und im Augenwinkel hatte sie bemerkt, dass Lindas Augen feucht schimmerten. Sie musste am Ende sein. Es war Zeit, dass sie aus dem Loch kroch, in das sie gefallen war.

      Babs lief auf dem langen Korridor vor den Redaktionsbüros Ingo Dossenberg über den Weg. Er war neu im Team, älteres Semester, aber sportliche Figur, auf jugendlich getrimmt, groß gewachsen. Keiner wusste so richtig, was er vorher gemacht hatte, aber seine Stimme am Mikrofon klang sonor, seine Beiträge waren professionell, seine Recherchen exakt. In dieser Woche war er CvD, Chef vom Dienst.

      »Ich habe einen Termin für dich«, sagte er, als sie dem Ausgang zustrebte. »Oder soll ich Linda fragen?«

      »Nein«, sagte Babs. »Wann ist es?«

      »Heute Mittag um vier. Eine PK in Friedrichshafen. Die sind am See grade knapp mit Reportern, wegen Interboot und Krankheitsfällen. Könntest du hin?«

      »Um vier?« Das war zu schaffen. Eine Pressekonferenz dauerte nicht zu lange, sie würde um 20 Uhr wieder zurück sein. »Worum geht’s denn?«

      »Ein Toter, direkt am See, hing auf dem Ast einer Kastanie. Komische Sache. Sie sprechen schon von einer Baumleiche. Bei der PK soll Näheres bekannt gegeben werden. Machst du’s?«, fragte Ingo Dossenberg.

      Babs nickte.

      10

      Der zweite Brief

      Hallo Linda,

      Rache, richtig. Ich bin mir sicher, dass Sie es ohne fremde Hilfe herausgefunden haben: Ihr Genuss ist Mord und ihre Sättigung das Grausen. Und ihre Zahl ist die 6, möchte ich noch anfügen.

      Der Rächer hat sein Werk bereits begonnen, das darf ich Ihnen verraten, Verehrteste. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis auch Sie davon profitieren werden. Rein beruflich natürlich. Sie werden darüber berichten, und es wird Kohle dafür geben. Schlagen Sie sie nicht aus! Und berichten Sie detailgetreu.

      Übrigens – haben Sie schon begonnen, die Wahrheit zu suchen?

      Es ist die einzige Möglichkeit, Ihr Leben zu retten.

      Hochachtungsvoll

      Chui

      11

      Der Herbst lag schon spürbar in der Luft an diesem Vormittag, auch wenn sich die Sonne immer wieder einen Weg durch die Wolkenlücken bahnte und ihre Strahlen wie gleißende Sterne auf der grünblauen Oberfläche des Neckars hüpften. Wie schwimmende Farbtupfer trieben die ersten Blätter flussabwärts, dem Stauwehr entgegen, vor dem sich das Wasser in einem spiegelnden See sammelte und jede Fließbewegung zum Stillstand zu kommen schien.

      Viel zu früh, jetzt, Ende August, sinnierte Babs Wagner und sah den Stockenten zu, die im Flachwasser vor der Platanenallee nach Nahrung suchten. Vom Erkerfenster des Cafés im Haus neben der Eberhardsbrücke blickte sie über den schmalen Flussarm, auf dem sich an lauen Sommerabenden Touristen und Studenten in den langen Holzkähnen stromaufwärts entlang der alten Stadtmauer bis unter die Türme des Schlosses Hohentübingen stochern ließen.

      Lange her, dachte Babs, zuletzt hatte sie zusammen mit Linda einen solchen Stocherkahnausflug gemacht. Lindas kleine

Скачать книгу