Zorn und Zärtlichkeit. Peter Gerdes

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Zorn und Zärtlichkeit - Peter Gerdes

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Spuren zu gefährden. Alle Winkel und Stöße innerhalb der Kiste waren mit einer weißen Masse abgedichtet. Vermutlich Silikon, sauber aus einer Patrone in alle Ritzen gedrückt und glattgestrichen. Da hatte einer sorgfältige Vorbereitungen betrieben. Warum eigentlich? Und wie sorgfältig? Vielleicht hatte der Täter die Silikonwürste ja mit dem Finger geglättet.

      Mit einer Kopfbewegung wies Stahnke einen der Techniker auf die Dichtungen hin. Die Antwort bestand aus einem müden Nicken und einem Rollen der Augen. Man sollte den Leuten eben nicht ihren eigenen Job erklären, dachte der Hauptkommissar. Es reichte, wenn de Beer das tat.

      Die Leiche war inzwischen auf eine Plane gebettet worden, und Dr. Mergner hatte mit einer ersten, flüchtigen Inaugenscheinnahme begonnen. »Fitter alter Knabe«, meinte der Mediziner und zwinkerte hinter seinen flaschenbodendicken Brillengläsern. Seine eigenen Haare waren deutlich spärlicher und weißer als die des Toten, dafür sträubten sie sich in alle Richtungen. »An die achtzig Jahre, würde ich sagen, vielleicht älter. Kriegsgeneration. Da, eine Narbe an der Schulter. Dies hier am Unterarm könnte eine weitere sein. Und wer weiß, was da noch alles unter der Wäsche ist.«

      »Diese Narben scheint er ja wohl auf jeden Fall überlebt zu haben, richtig?«, unterbrach Stahnke den Pathologen. »Mich würde vor allem die mutmaßliche Todesursache interessieren.«

      Mergner rollte seine Augen exakt so wie zuvor der Kriminaltechniker. »Nun geht das wieder los! Stahnke, werden Sie nicht albern. Wurde dieser Corpus nicht eben erst aus einer wassergefüllten Kiste gezogen? Einer verschlossenen noch dazu, wie der Leichenfinder zu Protokoll gegeben hat? Da werden Sie ja wohl nicht erwarten, dass ich vorschnell diagnostiziere, der Mann sei ertrunken. Denn wenn das stimmt, wäre dafür kein Ruhm zu ernten. Falls das aber nicht stimmt, und dafür bleiben ja immerhin ein paar Prozent Restwahrscheinlichkeit, hätte ich mich mit einer vorschnellen Festlegung gründlichen blamiert. Sie verstehen?«

      »Natürlich«, erwiderte Stahnke in beschwichtigendem Ton. »Zumal der ganze Keller ja völlig unter Wasser stand.«

      Diesmal war Mergners Blick voller Verachtung, und der Doktor würdigte den Hauptkommissar keines weiteren Kommentars.

      »Eine Kiste mit Wasser, ein gefesselter Mann«, murmelte Stahnke vor sich hin. »Woran erinnert mich das?«

      »Waterboarding«, antwortete Kramer, der wieder einmal direkt neben Stahnkes rechtem Ellenbogen aus dem Boden gewachsen zu sein schien, ohne zu zögern. »Folter durch scheinbares Ertränken. Wird von den Amerikanern gerne angewandt. Gewöhnlich aber nicht hier bei uns.«

      »Waterboarding?«, fragte Stahnke. »Geht das nicht anders?«

      »Stimmt schon«, bestätigte Kramer. »Bei den Amis wird der Delinquent rücklings auf ein schräges Brett geschnallt, so dass der Kopf tiefer liegt als die Füße, dann wird ihm Wasser so übers Gesicht und in Mund und Nase geschüttet, dass das Opfer zu ertrinken glaubt. Was meistens nicht geschieht, aber die Möglichkeit reicht ja, um Panik auszulösen.« Der Oberkommissar zuckte die Achseln. »Anders, klar. Aber mit dieser Kiste ginge das auch. Siehst du das kleine Loch da im Deckel? Das wurde kürzlich erst hineingebohrt, die Ränder sind frisch. Der Durchmesser entspricht dem eines Gartenschlauchs. Stell dir mal vor: Delinquent da hinein, Deckel zu, Schlauch ins Loch, und dann Wasser marsch. Nicht zu schnell natürlich, damit das Opfer auch Zeit hat, vor Angst fast wahnsinnig zu werden.«

      Stahnke bekam eine Gänsehaut. Er starrte Kramer mit großen Augen an. »Du bist ja richtig zu Spekulationen aufgelegt! Und dann auch noch zu so brutalen. Gab es gestern einen James Bond im Fernsehen?«

      »Nein«, erwiderte Kramer ungerührt. »Aber eine Doku aus dem Irak.«

      Stahnke nickte. Seine Gänsehaut blieb. »Was die Details angeht, sind solche Typen bestimmt nicht kleinlich«, sagte er betont forsch. »Andere Länder, andere Foltersitten, nicht wahr? Und wer foltert, nimmt immer auch billigend in Kauf, dass der Gefolterte Schaden nimmt oder stirbt. Was meinst du – war dies hier ein versehentlicher Tod? Irgendwer versuchte von diesem Mann eine Information zu erzwingen, und er ist ihm unter den Händen weggestorben? Sozusagen ein Betriebsunfall?«

      »Nicht unbedingt. Vielleicht hat der Täter ja auch alles bekommen, was er wollte, und hatte keine Verwendung für einen lästigen Zeugen.«

      »Ertränkt also, nicht ertrunken«, konstatierte Stahnke.

      Kramer nickte.

      Stahnke schaute auf das Gesicht des Toten, dessen Schädel gerade von Mergner befingert wurde. Sah der womöglich aus wie ein Iraker? Eher nicht – allerdings mochte die Blässe des Todes den Eindruck verfälschen. Wie auch immer, Kramers Agentenphantasien waren doch sehr weit hergeholt. Immerhin befanden sie sich hier in Leer, einer Kleinstadt im äußersten Nordwesten der Bundesrepublik, gleich hinterm Deich und vor der holländischen Grenze. In dieser Ecke tummelten sich gewiss keine gewalttätigen Islamisten und deren Gegenspieler, die Geheimdienste gewalttätiger Großmächte.

      Oder?

      »Aha.« Das war Mergner. Gegen seinen Willen hatte er sein Protestschweigen gebrochen. »Schwellungen am Hinterkopf! Unter dem beneidenswert dichten Haarschopf nicht zu sehen, sondern nur zu ertasten. Mehrere Schwellungen. Der Mann wurde also vermutlich bewusstlos geschlagen.«

      »Während er in der Wasserkiste lag?«, fragte Stahnke. »Oder vorher?«

      Mergner stemmte die Hände in die Hüften und wackelte mit dem Kopf. »Vorher, nachher, vielleicht auch zwischen zwei Anwendungen!«, keifte er mit verstellter Stimme. »Mann, Stahnke! Lernen Sie es denn nie?«

      »Wer weiß?«, raunte der Hauptkommissar und wandte sich wieder Kramer zu. »Als Erstes müssen wir wissen, wer der Tote ist. Irgendwelche Anhaltspunkte?«

      »Keine Papiere, wie gesagt«, resümierte Kramer. »Die beiden Handwerker, die den Mann gefunden haben, kennen ihn nicht. Hier gibt es keine Hausbewohner, die man fragen könnte; das Gebäude steht leer. Sowie wir die Fotos haben, klappern wir die Nachbarn ab, vielleicht hat ihn einer von denen schon mal gesehen. Parallel Abnahme und Abgleich der Fingerabdrücke. Wenn das alles nichts bringt, müssten wir an die Presse gehen.«

      Stahnke nickte. Mehr fiel ihm dazu auch nicht ein; Kramer war wieder einmal perfekt. Man konnte ihn getrost in Eigenregie machen lassen. Der Hauptkommissar nickte versonnen, dann zuckte er plötzlich zusammen. De Beers Worte waren ihm wieder eingefallen. »Einen Stahnke kann hier wirklich keiner gebrauchen!« – Hatte der Mann damit womöglich recht?

      6.

      Zum Gallimarkt durfte sie, das hatte Mama ihr erlaubt. Aber von Stinus abholen lassen wollte sich Erika auf keinen Fall, wenigstens nicht zu Hause. Mama würde die Augen zusammenkneifen, Fragen stellen und womöglich ihre Erlaubnis im letzten Moment widerrufen. Das durfte nicht passieren. Der Handel musste erfüllt werden. Stinus hatte seinen Teil erledigt; es blieb abzuwarten, was dabei herauskam. Aber jetzt war erst einmal sie dran.

      Also wartete sie bei ihrer Oma auf ihn. Nicht, dass die nicht auch ihre Bemerkungen machte! Sicher noch mehr als Mama. Aber sie moserte nicht, sondern stichelte höchstens. Und auf gar keinen Fall verbot sie etwas. Auch wenn sie von dem Handel zwischen Erika und Stinus überhaupt nichts wusste. Und schon gar nicht, dass dieser Handel auch für sie selbst von größter Bedeutung war.

      »Moi süchst du ut, mien Tüt!«, lobte sie Erika. Tatsächlich entsprach ihre Enkelin in ihrem langen Rock, der weißen Bluse unter der dunkelroten Jacke und mit der Schneckenfrisur ziemlich genau dem Schönheitsideal ihrer Jugend. »Moi Tüch! Tja, da kann man mal sehen, es kommt doch alles wieder.«

      Erika

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