Männerblues. Bernhard Spring
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Eine für Thamms Geschmack etwas zu pummelig geratene Frau trat mit einem Satz aus der Hecke, stellte sich direkt neben Thamm auf und beugte sich tief über den Kinderwagen, um einen Blick hineinzuwerfen. „Ich darf doch mal?“, fragte sie, noch bevor Thamm reagieren konnte, und dann kam nur noch ein „Och, ist der niedlich“ und „Sind sie nicht süß, wenn sie schlafen?“ aus dieser Frau geseufzt, und Thamm fragte sich resigniert, warum ausgerechnet er das Pech hatte, so einer bescheuerten Vorstadtschnepfe in die Arme zu laufen.
„Also, Herr Thamm!“, stieß sie plötzlich empört aus, kaum dass sie wieder aus dem Kinderwagen aufgetaucht war. „Sie glauben ja gar nicht, wie froh ich bin, Sie zu sehen. Es ist einfach furchtbar!“
Thamm versuchte verzweifelt, sich an die Frau zu erinnern, aber umsonst. Je mehr er drüber nachdachte, umso sicherer wurde er sich, dass er diese Schrapnelle noch nie zuvor gesehen hatte. Was ihr vertrauliches Getue für ihn noch belämmerter werden ließ. Aber was hatte Anja gesagt? „Wir müssen hier noch ne Weile wohnen … “ Und so quetschte sich Thamm ein möglichst nettes „Aha?“ raus und machte ein erstauntes, möglichst nicht allzu spöttisches Gesicht.
„Ach Gott!“, entfuhr es der Frau und mit der Rechten griff sie sich an die Brust. „Glauben Sie ja nicht, dass ich Sie belästigen will!“ Zu spät, dachte Thamm und verkniff sich nun doch ein ironisches Grinsen. So allmählich ahnte er, worauf das hier hinauslaufen würde.
„Und ich dachte ja, die Leute würden von sich aus aufhören“, fuhr die Frau in einem jammernden Ton fort. „Immerhin, wo Sie doch bei der Polizei sind.“ Also doch, dachte er. Die Frau mit der Hand beim Herzen merkte nichts von Thamms verbissenem Gesichtsausdruck. Oder passte er am Ende zu ihrem Thema?
„Ein Lärm, sag ich Ihnen!“, empörte sie sich nun. „Diese jungen Leute in der Fieselerstraße, gleich da hinten … “ Sie bemühte sich, um die Straßenecke zu zeigen, was ihr nicht gerade sonderlich gut gelang. „Furchtbar, sage ich Ihnen. Und da sag ich zu meinem Mann – der muss ja auch früh raus – da sag ich also, ja der Herr Thamm, wenn der da mal nur kurz ein Auge drauf werfen würde, dann wär da aber Ruhe!“
Und mit einem Mal war da wirklich Ruhe. Die Frau hatte sich ausgequatscht und erwartete nun mit hoffnungsvollem Blick eine Reaktion von ihrem Herrn Thamm. Und der war nun aber alles andere als gnädig gestimmt. Erst erschreckte ihn das Weib zu Tode, dann gaffte sie völlig ungeniert in den Wagen rein – und hinterher machte sie ihn einfach mal schräg von der Seite an, von wegen Hauptsache irgendein Polizist! Und noch am Sonntag! Thamm zwang sich zu einem übersüßen Grinsen.
„Es tut mir wirklich leid“, setzte er an, „aber das ist dann wohl eher ein Fall für die Schutzpolizei. Da müssten Sie mal auf die Wache … “
„Ja, aber kennen Sie denn da keinen? Das kann doch nicht so weitergehen!“, fiel ihm die Frau aufgeregt ins Wort. Aber Thamm schüttelte nur den Kopf.
„Leider kann ich da nichts machen. Da müssten die jungen Leute aus der Fieselerstraße Sie schon umbringen. Aber dann wäre ich sofort für Sie da. Einen schönen Sonntag noch.“
Und damit ließ Thamm die verdutzte Frau stehen. Die plötzliche Bewegung des Kinderwagens rüttelte Benni nun endgültig aus dem Schlaf.
„Siehst du“, sagte Thamm zu ihm, „ich hab’s dir doch gesagt: Wir sind hier die einzigen Normalen.“
Benni atmete gleichmäßig. Nichts deutete darauf hin, dass er in nächster Zeit aufschrecken oder nach Milch schreien könnte. Und auch Anja konnte zur Ruhe kommen, denn nachts setzte sie den vierstündigen Rhythmus, der tagsüber galt, aus. Nachts galten andere Spielregeln.
„Schläfst du schon?“, fragte Thamm leise in das Dunkel des Schlafzimmers hinein. Draußen ging der Regen monoton plätschernd nieder, prasselte auf das Dach, von weit entfernt donnerte es, ohne wirklich laut herüberzuschallen. Thamm horchte zu Anja rüber – eine Antwort blieb aus.
Aber was heißt das schon, dachte er und tastete sich vorsichtig über die Matratze. In diesem Moment kam ihm das Bett elend breit vor. Und sie lag ausgerechnet am äußersten Ende! Er hatte aber auch ein Glück heute!
„Hey, schläfst du schon?“, fragte er wieder, als er sie endlich erreicht hatte. Aber auch jetzt gab sie keinen Mucks von sich. Thamm hob ihre Decke an und kroch darunter. Ihre Oberschenkel strahlten eine unglaubliche Wärme aus. Aber trotzdem schmiegte sich Thamm langsam an sie, an ihren Hintern, ihren Rücken. Und noch immer rührte sich Anja keinen Zentimeter. So fest kann doch gar keiner schlafen, wunderte sich Thamm.
Wie aus Versehen legte er seine Hand auf ihr Bein, genau dahin, wo das Nachthemd aufhörte. Wieder nichts, keine Bewegung. Anja schlief tief und fest.
Jetzt kam es darauf an, nichts zu überstürzen. Sie hatten es schon oft gemacht, ohne dass beide vorher wach waren. Und selbst dann – es war ja nicht so, dass sie sich gegenseitig kurz vorher noch irgendwelche Einverständniserklärungen überreichen würden! Und wenn er sich geschickt anstellte und sie ganz langsam und gemächlich aus ihrem Schlaf holte, dann würde sie nichts dagegen einzuwenden haben. Dann würde der kleine Überfall rückwirkend abgesegnet werden und alles wäre in bester Ordnung.
Trotzdem war Thamm etwas mulmig zumute. Es hatte schon oft geklappt, okay. Aber eben nicht immer. Und dann konnte Anja auch austicken, und zwar vom Feinsten, wahrscheinlich sogar zu Recht, denn auf die Nette war das ja nun nicht gerade. Außerdem – wollte er wirklich so den Einstand nach Bennis Geburt feiern? Aber vielleicht war es ja genau so die richtige Art, vielleicht musste es beim ersten Mal danach einfach so halb von selbst ablaufen und dann war der Knoten geplatzt.
Scheiße, du denkst zu viel, ermahnte sich Thamm und seufzte unterdrückt auf. Dann aber ging er es an, schob seine Hand unter ihr Nachthemd und ließ sie wie von allein nach oben gleiten. Nicht zu leicht, dass es kitzelte, nicht zu fest, dass sie gleich aufwachte. Einfach so eben. Den Daumen nicht zu sehr in die Mitte, da geht sie gleich an die Decke, dachte er, die Fingerkuppen nicht zu weit nach außen, das kitzelt wieder. Gott, ein Stress! Er hatte den Kopf zu voll, war nicht locker. Wie sollte das was werden?
Aber Thamm wollte es jetzt wissen, der verdammte Knoten sollte endlich platzen. Gordischer Knoten, dachte er, einfach zerkloppen und Ruhe ist.
Mit einer sicheren Bewegung seiner Hand schob er ihr linkes Bein nach vorn, sodass sie zur Hälfte auf dem Bauch lag, das eine Bein gestreckt, das andere leicht angewinkelt. Der schwerste Teil war getan. Nun hieß es, sich allmählich ranzupirschen. Wieder fuhr er ihr mit der Hand über den Schenkel, erreichte den Po, fühlte das Höschen und tastete nun ganz sanft an dem Stoffbund entlang. Es konnten nur noch Millimeter sein …
Genau in diesem Moment tauchte ein flackernder Blitz, der direkt vor dem Schlafzimmerfenster niederzugehen schien, den Raum in ein so grelles Licht, dass Anja kurz davon geblendet wurde und zusammenfuhr. Instinktiv schlug sie Thamms Hand zwischen ihren Beinen weg. Und war bei all dem noch nicht einmal richtig wach geworden.
So eine Scheiße, dachte Thamm verärgert. Dieser verdammte Blitz hatte ihn restlos aus dem Konzept gebracht. Und was nun? Alles auf Neustart – oder sollte er nach Anjas Abwehr lieber keinen zweiten Versuch unternehmen? Thamm zermarterte sich das Hirn, wie um alles in der Welt er sein beschissenes Sexualleben wieder zum Laufen bringen könnte und ob heute Nacht der geeignete Moment dafür war – da dröhnte der Donner schier ohrenbetäubend durch den Regen. Der enorme Knall hatte nur den Bruchteil einer Sekunde angehalten – Anja hatte diesmal überhaupt nicht reagiert, aber nebenan machte sich nun Benni bemerkbar. War ja klar – auch das noch, ächzte