Pappelallee. Andreas H. Apelt
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Der muss man aufpassen, dass der nicht am nächsten Stromkabel klebt, sagt Schüller und lacht. Solche Versprechen sind lebensgefährlich, noch dazu im Luftikus.
Also beruhigt euch mal, sagt da der Wirt. Für Politik ist hier kein Platz.
Nein, bestätigt Lothar, und wischt sich den Bierschaum von den Lippen. Die Herren sollen mit ihrem Sozialismus bleiben, wo der Pfeffer wächst. Also Prost.
Prost.
Womit wieder genug Bier fließt. Berliner Pilsner!
Gut, also noch einmal: Das Leben geht weiter. Das ist so ein Satz, wie man ihn so dahinspricht, wenn man wie Lothar am Tresen steht und die Hände in den Hosentaschen vergräbt. Und wenn man sonst nichts weiter zu sagen hat. Und doch erschließt sich im Satz für Hülsmann eine besondere Bedeutung, denn trotz aller Gedanken, die dem jungen Mann durch den Kopf gehen, wäre es manchmal gut zu wissen, dass das Leben weitergeht. Und das am besten jenseits des Blickfeldes des Generalsekretärs. Aber Hans Hülsmann hört ihn ja nicht, diesen Satz. Noch nicht, denn er wartet noch immer in diesem Gebäude der Volkspolizeiinspektion Prenzlauer Berg. Später, ja später wird er ihn hören, wenn er das gelbe Backsteingebäude wieder verlassen kann. Der Weg wird ihn die Schönhauser Allee entlang, dann an der Dimitroff halb rechts in die Pappelallee führen.
Wohin denn auch sonst?
Luftikus, um genau zu sein, hinterer Tisch in der äußersten Ecke noch genauer. Und er wird bei Angie, der einzigen Kellnerin des Luftikus, ein Bier bestellen. Am besten ein großes.
3
Nun also Angie. Was für ein Name!
Aber schön ist er trotzdem.
Nur dass er gar nicht in das Luftikus passt. Angie! Schreiben kann das keiner. Jedenfalls nicht im Luftikus. Schon weil es ausländisch ist. Egal.
Aber Angie passt ja auch nicht ins Luftikus.
Das will nur niemand zugeben. Vielleicht der Hülsmann, der würde es sagen, aber nur weil er immer sagt, was er denkt. Und das auch noch so unverblümt, dass manch einem da schon die Nackenhaare hochstehen. Und zwar richtig!
Dabei braucht es der Hülsmann gar nicht zu sagen. Er könnte es auch schreiben, denn Hülsmann schreibt viel. Ein richtiger Schreiberling, sagen die Leute.
Doch Hülsmann ist noch lange nicht da. Er sitzt nun schon die vierte geschlagene Stunde in der Volkspolizeiinspektion. Und wartet. Wartet auf die Klärung eines Sachverhalts. Das hört sich dann verdammt nach Verhör an. In Gesprächen lassen sich nämlich keine Sachverhalte klären. Nicht in der Schönhauser Allee 22.
Also dann doch so ein Verhör. Da kennen die sich aus mit. Die, in der Schönhauser. Das weiß doch jedes Kind.
Auch Angie würde das wissen. Doch Angie will es nicht wissen. Sie hat mehr zu tun. Gerade jetzt, wo der dicke Zeiger der Wanduhr auf die Sechs rutscht. Dann ist es so weit.
Angie drückt das Aluminiumtablett, auf das sie Kaffeekännchen, Tasse und Untertasse gestellt hat, in den schmalen Bauch und läuft durch das Lokal. Vorbei an dem klappernden Ventilator über dem Eingang, der alten Musikbox und den schwitzenden Wänden. Vorbei an den drängelnden Kohleträgern, die am Abend mit weißen Hemden und schwarzen Kragen im Luftikus erscheinen und den verblühten Damen in bunten Blümchenkleidern ihre Aufwartung machen. Vorbei an den Schlossern mit den zernarbten Händen, den verschwitzten Möbelträgern, übel riechenden Müllfahrern und den Zimmerleuten aus Michas Brigade, die ihre Fingerstumpen hinter gefüllten Gläsern verstecken.
Angie! Ein Dutzend Augen laufen ihr nach, ihrem wehenden, hennagefärbten Haar, den schwingenden Hüften und den elegant gesetzten Schritten. Sie laufen ihr nach mit einem Blick, der vielsagender nicht sein kann. Vom Tresen bis hinten zum letzten Tisch, dem vor dem Klo. Angies Laufsteg, hat Hülsmann einmal gesagt, was Angie als Kompliment auffasste, sodass der Hülsmann das lieber nicht kommentierte. Und die Männer hinter den Biergläsern haben ihn ohnehin nicht verstanden, vielleicht weil sie sie gar nicht wissen, was ein Laufsteg ist.
Am letzten Tisch bleibt Angie stehen, stellt Kaffeekännchen, Tasse und Untertasse ab und macht eine leichte Verbeugung. Dabei fällt ihr ein Lächeln aus dem Gesicht, das nicht nur ihre großen weißen Zähne zeigt, sondern auch die Augen leuchten lässt. Und das sind große Augen, rehbraune Kulleraugen. Dann zieht sie den kurzen Rock wieder gerade, kneift die Augen zusammen und wirft das Haar über die Schulter. So bleibt sie noch eine Weile stehen. Lange genug, dass die Männer im Gang und am Tresen sich noch das Feuchte aus den Mundwinkeln wischen können.
Das eingefallene alte Männlein am Tisch nimmt kaum Notiz von seiner Bedienung. Ungerührt sitzt es da, im Anzug aus feinem Zwirn und mit einem großkarierten Binder. Nur langsam hebt es den greisen Kopf mit den herausgetretenen Backenknochen. Aber Chefs können sich das leisten. Die Angestellten mit Nichtbeachtung strafen.
Jeder andere Gast hätte jetzt mindestens eine halbe Stunde auf Angies nächste Lieferung gewartet. Und das wäre noch eine milde Strafe. Denn Angie kann auch ganz anders. Schon bei einer Wiederholungstat würde der Gast schlichtweg verdursten!
Aber Chefs dursten nie. Kaffee trinkend thront das alte Männlein an seinem Einzeltisch und schreibt Abrechnungen. Jeden Tag. Mindestens dreißig Jahre macht es das so, sagt der Wirt. Und der muss es als Sohn ja wissen. Irgendwann wird er auch mal am Ecktisch sitzen und den Chef spielen. Aber erst wenn sein Sohn den Tresen übernimmt. Doch das kann noch dauern. Können ja nicht loslassen, die Alten!
Lothar nickt vom Tresen aus dem alten Mann zu.
Auch der Mann nickt. Dabei hat er den langen, aber schmalen Raum im Auge. Und die Gäste.
Ehrfürchtig schlagen die Männer einen großen Bogen um den Chef. Nur Angie, die schöne Angie, die den Kaffee bringt, darf an den Tisch. Die Uhr kann man danach stellen. Sonst bleibt der Tisch leer.
Fünf Kellnerinnen hat der schon überlebt, sagen die Leute. Fünf Kellnerinnen in dreißig Jahren. Da sind die davor, als er noch am Tresen stand, gar nicht mitgerechnet.
Aber so eine prallbusige mit großen braunen Augen war noch nie dabei, sagt einer der Zimmerleute mit den fehlenden Fingern.
Zitternd führt der Alte die Tasse zum Mund. Über die weiße schmale Hand ziehen sich kleine rote Adern. Zwei dicke Goldringe glänzen. Aber wieder nippt er nur. Ein Kännchen pro Abend, zwei am Tag.
Die Angie schafft er auch noch, flüstert eine der verblühten Damen vom Tresen und kichert.
So ein knackiges junges Ding, schnalzt ein kräftiger Kohlenträger. Da würde ich nicht lange fackeln.
Die Dame unterbricht ihr Kichern und macht große Augen. Von wegen, raunt sie den Mann an. Nicht mal berühren würdest du die!
Der kräftige Kerl kratzt sich mit seiner rechten großen Pranke am Kopf. Der Kopf ist rot. Sagen muss er nichts mehr, denn die Umstehenden lachen schon. Und dann schauen sie neidisch auf den runden Stammtisch. Denn nur die Gäste am Stammtisch klopfen im höchsten Glücksrausch mal auf Angies Hintern. Natürlich nur, wenn das Trinkgeld stimmt.
Aber das ist selten.
Meistens lassen