Pappelallee. Andreas H. Apelt

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Pappelallee - Andreas H. Apelt страница 6

Pappelallee - Andreas H. Apelt

Скачать книгу

kranke feuchte Wand hinter dem Stammtisch. Dort wo der Schimmel kniehoch steht.

      Die Wand hat die Blattern, weiß Schüller. Und der muss es wissen. Das ist in alten Häusern wie eine Seuche, erklärt er bedeutungsschwer. Dabei wedelt er sich mit seinem Hut frische Luft zu.

      Die Blattern!, lacht Lothar. Von wegen!

      Was denn sonst?, sagt Schüller.

      Ja, was denn sonst.

      Warum auch nicht. Also.

      Zu viel Wasser, sagen die Leute. Die Feuchtigkeit steigt aus den Grundmauern bis ins Erdgeschoss. Und wenn man wartet und nichts macht, steigt er auch noch weiter, hinauf bis zum ersten Stock. Dann ist der Putz wie ein vollgesaugter Schwamm, nur schwerer. Und zum Schluss fällt er ab. Da muss man aufpassen, dass man den Dreck nicht auf den Kopf bekommt. Kann nämlich schmerzhaft sein.

      Schöne Bescherung.

      Wenigstens die vielen Tierchen, die die Wand wie einen Fels erklimmen, fühlen sich wohl. So sagt es Angie, wenn sich einer über die kranke Wand beschwert. Ist schließlich nicht ansteckend.

      Wenn nur nicht immer der Gestank wäre.

      Gestank?

      Hat schließlich auch was, so ein süßlicher Geruch. Fast anziehend, sagt einer der Müllfahrer und atmet tief ein. Wie nach Verwesung.

      Verwesung, das hört sich auch nicht besser an! Da kann man auch gleich von den Blattern reden.

      Eben nicht, denn diese Verwesung hat noch eine andere Bedeutung. Das ist wie das geadelte Verderben. Und damit hat sie einen gewissen Charme. Aha! Aber so quer denkt nur einer im Luftikus, und der ist noch gar nicht da. Ja, der Hülsmann würde solche Erklärungen finden und dabei den Boden unter den Füßen verlieren. Künstler eben, Lebenskünstler noch besser.

      Also doch Verwesung, wiederholt der Mann von der städtischen Müllabfuhr.

      Und es riecht nach Liebe, ergänzt sein Nachbar. Fleisch, Schweiß und Liebe. Dabei kreist seine Zunge um den geöffneten Mund.

      Und das ist dann fast der Höhepunkt. Es sei denn, Angie kommt vorbei und hinterlässt den Duft eines unbekannten Parfüms. Und dieser Duft mischt sich mit dem Geruch nach Verwesung. Der Tod könnte süßer nicht sein.

      Kein Wunder, wenn einige der Gäste die Augen schließen. Und dabei das Luftikus verlassen, auf dem Weg ins Paradies.

      Da muss dann schon der Wirt selbst eingreifen. Von wegen Umsatz und so. Oder eine der Damen.

      Hört auf zu träumen, ertönt auch schon eine kräftige Frauenstimme. Wobei die Dame wohl ahnt, keinen Platz in dem Männertraum zu finden.

      So gehen die Augen wieder auf. Nicht im Paradies, sondern im Luftikus. Und dann ist sie schon da in ihrer ganzen Fülle. Gerda. Zu bieten hat auch sie was. Breite kräftige Arme, die sie quer über den Tisch legt und ein pausbäckiges rundes Gesicht, in das eine schwere Brille rutscht. Also meine Herren!

      Gut. Dann eben Gerda. Frauen sind im Luftikus ohnehin rar.

      Und Gerda ist zufrieden, trotz Konkurrenz. Muss ja nicht immer gleich ein Schieber sein oder gar ein Fleischermeister. Nach ein paar Doppelten sehen die Männer eh alle gleich aus.

      Der feuchten Wand hilft kein Doppelter. Sie kann ja nicht mal eine Tapete tragen! So haben es die Maler nach einer ausgiebigen Untersuchung festgestellt und es gar nicht mehr versucht. Den Tapetenkleister haben sie lieber gegen ein paar Frischpils vom Tresen und einem sensationellen Augenaufschlag von Angie getauscht.

      Vor die Wand schiebt man besser die Musikbox. Dann sieht man den Schimmel nicht mehr.

      Also muss die Box wieder her und Elvis oder besser gleich Freddy Quinn. Den versteht man wenigstens. Und er ist Stammkunde, so wie die meisten hier. Jedenfalls akustisch. La Paloma ohé und so. Ach wie schön!

       La Paloma, ohé, einmal müssen wir geh’n

       ,einmal schlägt uns die Stunde der Trennung.

       Einmal komm ich zurück.

      Ins Luftikus kommt man immer zurück. Womit wir dann wieder beim Tanz sind. Samstagabend oder Freitag, wie gehabt. Aber immer nur dann, wenn sich jemand findet, die Box mit einer Münze zu bestücken und den Tanz eröffnet. Oft ist allerdings das Klappern des Ventilators über dem Eingang lauter als die Musikbox. Da wissen die Tanzpaare dann nicht, ob sie nach Platte oder Ventilator tanzen. Aber auch das ist egal.

      Wenigstens es dreht sich, sagen die Gäste.

      Angie hat dann Mühe, das Lokal wieder zum Stehen zu bringen, denn auch ihr wird ganz schwindlig.

      Noch eine Trommel Pils und die Kurzen nicht vergessen! So geht das in einer Tour. Immer und immer wieder. Nicht mal der dicke Wirt hinter dem Tresen hat dann was zu lachen. Aber warum sollte er auch, ist ja nicht zum Vergnügen da.

      Vier Schritte vor, vier Schritte zurück. Mehr kann der junge Mann nicht gehen. Dann nimmt er auf einem der knarrenden Holzstühle Platz und schaut zum Generalsekretär auf. Der lächelt, wie er immer lächelt. Erstarrt und künstlich.

      Mein Dorian Gray, denkt Hülsmann. Denn auch der Generalsekretär wird nicht älter. Seit Jahren lächelt er von den Wänden der Republik. Die Zeit hat ihm nicht eine einzige Falte angehangen. Dabei ist er noch älter als Hülsmanns Großvater.

      Der Großvater kann vom ewigen Leben nur träumen. In einem Pflegeheim in Templin, Uckermark, ringt er täglich mit dem Tod. Es gibt kaum Hoffnung, sagen die Ärzte. Vielleicht noch ein paar Monate. Das Leben ist eben endlich.

      Endlich! Endlich ist auch der Warteraum. Hans Hülsmann geht wieder vier Schritte. Vier Schritte nach vorn, vier Schritte zurück.

      Hülsmann ist Künstler. Auch wenn er sich so gar nicht sieht. Denn eigentlich ist er Kulissenschieber oder Theaterhandwerker, wie es offiziell heißt. Volksbühne, altes ehrwürdiges Haus.

      Hülsmann liebt das Theater. Vielleicht weil er darin die Welt erblickt. Das große Welttheater, sagt er, ist wie ein Buch. Hülsmann ist der Leser dieses dicken Buches, still und unaufgeregt. Fast ein wenig abgeklärt für seine achtundzwanzig Jahre. Auf jeden Fall hat der den Frieden mit sich gefunden, weiß schon der Lothar zu berichten. So wie der auf die Welt schaut, mit diesem verklärten Blick.

      Den Frieden hat Hülsmann weniger dem verklärten Blick zu verdanken als zwei anderen Dingen. Einem Zaubermantel und einem Buch aus braunem Schweinsleder, das er unter der Weste trägt. Der Mantel hängt an der heimischen Garderobe und kann unsichtbar machen. Eine Eigenschaft, die in schlechten Zeiten ihr Gold wert ist. Was natürlich auf der Hand liegt. Und dennoch nicht vergessen werden soll.

      Mystisch ist es in jedem Fall. Fast wie im Märchen, mit Feen, Einhörnern, Zauberstäben, Hexen und magischen Steinen. Jedenfalls glaubt das Ottmar Graustock, und der könnte es ja wissen. Nicht nur weil er Hülsmanns Freund und Nachbar im Haus Gethsemanestraße 5 ist. Nein, der Graustock studiert immerhin Theologie und das will was heißen in einer Welt, in der zwar Generalsekretäre nicht altern, aber ansonsten Gott für tot gehalten wird. Aber das ist eine andere Geschichte.

      Das

Скачать книгу