Der Muttermörder mit dem Schal. Bernd Kaufholz
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Am 17. November sitzt Minna Brauer zum zweiten Mal vor Polizeileutnant Kühnhardt. Es geht um einen Brief, den sie vor ihrer Festnahme an ihre Tochter in Gerbstedt im Kreis Hettstedt geschrieben, aber nicht abgeschickt hat. Einen „Abschiedsbrief“, wie sie sagt. Denn sie habe vorgehabt, sich umzubringen. Inhalt des weißen Umschlags seien 240 Mark und die Kohlenkarten für 1963 und 1964 gewesen.
„Ich hatte eine größere Menge Schlaftabletten genommen und war gerade dabei, eine Marke auf den verschlossenen Umschlag zu kleben, da ist der ABV, Herr Litte, gekommen. Er wollte mit mir über meinen vermissten Mann sprechen.“
Kühnhardt will wissen, wie oft sie noch die Rente ihres Mannes unrechtmäßig in Empfang genommen habe. „November und Dezember“, antwortet Minna Brauer. „Insgesamt 268 Mark.“ Sie bietet an, den Betrag mit den 240 Mark aus dem Brief und mit 20 Mark, die sie ihrer Nachbarin geliehen habe, an die Sozialversicherungskasse zurückzuzahlen.
Dann fragt der Kriminalist noch einmal, wie viele Tabletten sie in dem restlichen Bier aufgelöst habe. „Drei“, so die Antwort.
Die Staatsanwaltschaft hebt am 17. November die Beschlagnahmung der 240 Mark aus dem Umschlag auf, da das Geld aus einer strafbaren Handlung stammt, und überweist es an die Sozialversicherung.
Am nächsten Tag geht ein Fernschreiben der Magdeburger Mordkommission an das Polizeikreisamt in Hettstedt. Darin wird angefragt, ob die Tochter der geständigen Mörderin als Zeugin vernommen werden kann – sie ist hochschwanger. „(…) ferner wird gebeten, ihr mitzuteilen, dass ihr Vater am 4. November verstorben ist und sich ihre Mutter in Untersuchungshaft befindet.“
Hettstedter Kriminalisten unterrichten Isolde Sack* am 18. November über den Fall. Die 26-Jährige reagiert auf die Verhaftung der Mutter „sehr gelassen“, wie der Magdeburger Mordkommission in einem Antwortfernschreiben mitgeteilt wird.
Am 5. Februar wird die junge Mutter in Magdeburg vernommen. Sie teilt Hauptmann Winter mit, dass sie in der letzten Zeit nur noch brieflichen Kontakt zur Mutter hatte. Zwei Jahre sei es her, dass sie Vater und Mutter das letzte Mal gesehen hat. Sie bestätigt, dass sich ihre Eltern „nie gut vertragen haben“. Beziehungen ihres Vaters zu anderen Frauen habe sie nie feststellen können. Dass der Vater vermisst wurde, habe ihr die Mutter nicht geschrieben.
Am 10. Februar 1964 trifft das Gutachten der chemischen Untersuchung von Leber und Niere des Ermordeten vom Bezirkshygieneinstitut ein. Darin wird festgestellt, dass in beiden Organen Glutethimid nachgewiesen wurde; ein Wirkstoff, der sich in den Medikamenten „Elrodorm“ und „Doriden“ befindet. Eine mengenmäßige Bestimmung sei nicht möglich gewesen.
Und noch ein Gutachten bekommt die Mordkommission am selben Tag auf den Tisch: Die nervenfachärztliche Untersuchung in der Medizinischen Akademie Magdeburg hat ergeben, dass bei Minna Brauer zwar „eine gewisse intellektuelle Minderbefähigung“ bestehe, diese schränke jedoch „die Fähigkeit der Angeschuldigten, das Gesetzwidrige ihrer Handlungsweise zu erkennen oder sich einer Erkenntnis entsprechend zu verhalten, nicht in erheblichem Maße ein“. Die volle strafrechtliche Verantwortlichkeit müsse bejaht werden.
Der Fall steht kurz vor seinem Abschluss und die Kripo ist bereits dabei, den Abschlussbericht aufzusetzen, da verlangt Minna Brauer, dass sie erneut gehört wird. Vor Staatsanwalt Kiehl widerruft sie am 15. Mai 1964 ihr Geständnis: „Ich habe das nur gesagt, weil ich Hermann Hoppe* nicht ins Gefängnis bringen wollte.“
Hoppe wohne in Weferlingen und mit ihm habe sie 1941 ein halbes Jahr lang ein intimes Verhältnis gehabt. „Es muss im Jahr 1962 gewesen sein, da hat er mich gefragt, ob ich mich nicht von meinem Mann scheiden lassen und mit ihm zusammen sein will. Das habe ich abgelehnt.“ – „Dann mache ich das mit Zwang“, soll Hoppe daraufhin gesagt haben. Eines Tages 1963 habe er sie dann abgepasst, als sie gerade von der Mittagsschicht kam. „Er umarmte mich gleich und gab mir einen Kuss. Ich habe ihm eine Backpfeife gegeben. Doch er hat nur gelacht und gesagt: ‚Dich kriege ich doch noch.‘“
Am 3. November 1963 habe Hoppe sie auf ihrem Weg zur Nachtschicht auf der Allerbrücke erneut abgefangen. „Heute komme ich das letzte Mal und die Folgen trägst du“, soll er gedroht haben. Auf diese Szene sei ihr Mann zugekommen. „Ich habe Hoppe darauf aufmerksam gemacht. Er hat sich auf sein Fahrrad gesetzt und ist weggefahren.“ Ihr Mann habe das von Weitem gesehen, habe sich umgedreht und sei gegangen.
„Als ich am nächsten Morgen von der Schicht kam, hing mein Mann an einem Strick an der Türklinke. Auf dem Tisch stand ein Wasserglas. Daneben lagen drei leere Schachteln Schlaftabletten.“ Nachdem sie den Strick durchgeschnitten hatte, habe sie den Toten im Keller vergraben.
Der Staatsanwalt will wissen, warum sie ihren Mann vermisst gemeldet und überall die Geschichte von der Westflucht mit der anderen Frau erzählt habe? „Weil ich alles auf mich nehmen wollte. Ich dachte, dass Herr Hoppe bei meinem Mann war, mit ihm über mich gesprochen und sich Paul danach umgebracht hat.“
Doch der Staatsanwalt ist nicht im Geringsten überzeugt. „Sie lügen, Frau Brauer“, sagt er ihr auf den Kopf zu. Aber die Untersuchungsgefangene ist stur: „Ich bleibe bei meiner jetzigen Aussage. Vergraben habe ich meinen Mann deshalb, weil ich ihn noch so lange bei mir behalten wollte, bis ich genügend Geld für sein und mein Begräbnis gespart habe.“
Die Staatsanwaltschaft weist Nachermittlungen an und verlängert die Frist für den Abschlussbericht.
Die geschiedene Ehefrau Hoppes wird als Zeugin gehört. Hermann Hoppe ist am 17. Januar 1963 nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Hedwig Hoppe weiß, dass ihr Mann während des Krieges ein Verhältnis mit Minna Brauer hatte, meint jedoch zu der Frage, ob ihr Mann in den letzten Monaten versucht habe dieses Verhältnis wiederzubeleben: „Das halte ich für ausgeschlossen.“
Minna Brauer sitzt im Magdeburger Untersuchungsgefängnis. Es ist Freitag – Wäschetausch. Jede Woche bringt ihr ihre Tochter Lieselotte frische Wäsche. Als sie das Päckchen aufmacht, findet sie darin auch eine Seifendose mit einem Zettel. Darauf steht: „Minna Brauer! Ich stehe draußen – alle viere – Isolde.“
Da sie von ihrem Zellenfenster aus auf die Straße blicken kann, schaut sie sofort hinunter. Sie sieht ihre Tochter Isolde, die aus dem Kreis Hettstedt gekommen ist. Sie steht jedoch zu dicht an der Mauer, so dass die Gefangene nur ihren Kopf sehen kann. Sie ruft der Tochter zu: „Geh ein Stück zur Straße hin.“ Dann kann sie die Töchter und ihre zwei größeren Enkeltöchter sehen. Nur das Neugeborene im Kinderwagen kann sie nicht richtig erkennen. Sie ruft erneut durch die Gitter, Isolde solle den Kinderwagen etwas ankippen. Doch das versteht die Tochter nicht. Ein weiteres Mal kann die Mörderin nicht rufen, denn draußen auf dem Gang geht eine Wachtmeisterin vorbei.
Am 4. Juni 1964 wird Minna Brauer von zwei Kriminalisten verhört. Dabei nimmt sie ihren Widerruf zurück. „Mein Mann starb nicht durch den Strick. Und auch Hermann Hoppe habe ich im vergangenen Jahr am 3. November nicht getroffen.“ Es habe sich alles so abgespielt, wie sie es in ihrem Geständnis erzählt hat. Die Geschichte habe sie erfunden, weil sie gehofft hatte, Hermann Hoppe gegenübergestellt zu werden. „Ich wollte ihn noch einmal sehen und sprechen, weil mich mit ihm schöne Erinnerungen verbinden.“
In einem Detail korrigiert sie jedoch ihre Aussage: „Es waren nicht drei, sondern zwanzig Tabletten, die ich Paul in die Flasche getan habe.“ Zuvor hätten sie und ihr Mann „Dreierlei Tropfen“ genommen, weil sie es „mit dem Magen“ hatten. Nachdem sich ihr Mann nun gewundert habe, warum sein Bier so bitter schmeckte, hatte sie ihn beruhigt: „Das liegt an den