Der Muttermörder mit dem Schal. Bernd Kaufholz

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Der Muttermörder mit dem Schal - Bernd Kaufholz

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langer Zeit durch Verbluten zum Tode geführt“ und die Handlungsfähigkeit „zunächst kaum oder nicht wesentlich beeinträchtigt“. Beide Stiche seien „mit erheblicher Kraft und Wucht geführt worden. Zeitlich müssen sie kurz hintereinander erfolgt sein.“

      Am 16. Januar 1963 wird Walter Buckow im Salzwedeler Untersuchungsgefängnis „nachvernommen“. Er bleibt dabei, dass er sich an Einzelheiten der Tat nicht erinnern könne. „Ich war betrunken. Und bei mir ist es eigentümlich. Wenn ich viel getrunken habe, sieht man mir das äußerlich und körperlich nicht an. Aber der Alkohol steigt mir direkt in den Kopf, und ich kann dann nicht mehr klar denken.“

      Doch Vernehmer Leutnant Krüger lässt sich damit nicht abspeisen. Er fragt wieder und wieder. Und die Erinnerung scheint bei dem Lagerarbeiter dann doch noch stellenweise aufzublitzen. Allerdings weicht die Schilderung der Tat erheblich von der aus seiner ersten Vernehmung ab. „Draußen habe ich von Büntje Stöße vor die Brust bekommen und bin nach hinten umgefallen. Büntje hat sich links neben mich gekniet und drückte mich mit der rechten Hand am Hals nieder. Mit der anderen Faust schlug er mich.“

      Der Angeklagte habe versucht, mit der rechten Hand sein Gesicht zu schützen und mit der linken das Taschenmesser herausgeholt. Das habe er erst „mit Daumen und Zeigefinger etwas geöffnet und dann an seinem Stiefel ganz“. Davon, dass der Stendaler angeblich auf ihm gelegen hat, ist nun keine Rede mehr.

      Buckow räumt ein, dass „keine Gefahr für sein Leib und Leben bestanden“ habe. Doch erzählt er nun, dass es nach den ersten Stichen „einen erbitterten Kampf um das Messer gegeben“ habe. Dabei sei es zu dem tödlichen Halsstich gekommen.

      Aufgrund der unglaubhaften Aussagen setzt der Kreisstaatsanwalt in der Untersuchungshaftanstalt Salzwedel eine Tatrekonstruktion an. Dabei muss sich Buckow auf die Erde legen und Kripo-Leutnant Krüger übernimmt die Rolle des Opfers. Und schon als der Tatverdächtige auf die von ihm beschriebene Weise das Messer aus der Tasche nehmen und es öffnen soll, ergeben sich Widersprüche. Aufgrund seiner kurzen Arme ist es Buckow kaum möglich, das Messer aus der Tasche zu ziehen und im Liegen zu öffnen. Als er die Messerstiche andeuten soll, wird deutlich, dass er in dieser Lage gar nicht an sein Opfer herangekommen wäre. Ein Stich in den Hals ist ausgeschlossen.

      Am 18. Januar wendet sich Buckow an den Leiter des Salzwedeler Untersuchungsgefängnisses, Polizeimeister Schwarz. Er bittet um eine Unterredung mit der Kripo. Er wolle „zu seiner Straftat etwas richtig stellen“. Er sei bereit, „ein volles Geständnis abzulegen“.

      „Ich habe mein Messer schon im Hausflur gezogen“, sagt er Schwarz. „Büntje ist gar nicht dazu gekommen, nur ein Wort zu sagen. Nachdem er den ersten Stich in die Rippen gekriegt hat, hat er sich nach vorn gekrümmt. In dem Moment habe ich nochmal zugestochen.“

      Zwei Tage später wird der Fleetmarker erneut aus der Zelle zum Verhör gebracht. Zum dritten Mal schildert er die Tat und zum dritten Mal anders. Im Stehen sei es zu der Auseinandersetzung gekommen, nachdem Büntje ihn an der Jacke gehalten und gesagt habe: „Was willst du denn?“ – „Ich habe ihn weggestoßen und bekam so die Hände frei.“ Er habe mit der rechten Hand den Angreifer auf Distanz gehalten, mit der linken zum Messer gegriffen und „sofort heftig und mit voller Wucht gegen die rechte Körperseite Büntjes zugestoßen“. Als dieser danach mit dem Kopf etwas nach unten gekommen sei, habe er ein viertes Mal zugestochen.

      Doch Mitte März 1963 revidiert er seine Aussage und gibt an, dass der von ihm „geschilderte Tatverlauf nicht den Tatsachen entspricht“. Im Untersuchungsgefängnis habe ihm ein Mithäftling empfohlen, die Wahrheit zu sagen. „Heinz Scharff* hat gesagt: ‚Dann kommst du besser weg.‘ Ich habe ihm geantwortet, dass ich mir dann etwas ausdenken muss, weil ich so blau war, dass ich mich kaum noch erinnern kann. Beim nächsten Verhör habe ich mir deshalb etwas ausgedacht.“

      Nun gibt er zu Protokoll, dass er sich von dem Moment an, wo er das Lokal verlassen hat, an nichts mehr erinnern könne. „Zur Besinnung kam ich erst, als Büntje vor mir zusammenbrach. Wie die Auseinandersetzung vor der Gaststätte begann und was passiert ist, kann ich nicht sagen.“

      Kreisstaatsanwalt Krieg beschreibt in einer Aktennotiz das Verhalten Buckows während seiner Aussage am 13. März als „verstockt“. Der Beschuldigte habe einen „unehrlichen Eindruck hinterlassen“. Er habe zum Ausdruck gebracht, dass er beim kommenden Prozess bei dieser Darstellung bleiben werde.

      Eine Woche später erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage vor dem Kreisgericht Salzwedel. Doch die Strafkammer weist den Fall an die Staatsanwaltschaft zurück und ordnet Nachermittlungen an. Grund sind die verschiedenen Darstellungen Buckows zum Tathergang. Das Gericht listet fünf Fragen auf: Wie hat der Angeklagte das Messer beim Stechen wirklich gehalten? Welcher Stich wurde als erster geführt? War das Opfer dem Täter zugewandt oder stand es mit dem Rücken zu ihm? Wie, aus welcher Messerhaltung und aus welcher Richtung wurden die Stiche geführt? Lassen die Blutspritzer an der Kleidung des Täters Aussagen zu, ob die Stiche stehend geführt wurden und aus welcher Richtung?

      Oberarzt Wolff erstellt ein Zusatzgutachten. Er bietet zum Tatablauf zwei Varianten an: 1. Büntje gelang es, Buckow zu Boden zu werfen, und kam auf ihm zu liegen. Buckow griff zum Messer, stach ihm in die linke Seite, dann schob er ihn zur linken Seite hinunter. 2. Die beiden Männer standen sich gegenüber. Beide Varianten stünden nicht im Widerspruch zu den Sektionsergebnissen.

      Zur Reihenfolge der Stiche sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass zuerst der Stich in die Brust erfolgte.

      Am 1. April 1963 wird die Tat zum zweiten Mal rekonstruiert. Doch auf große Unterstützung durch Buckow können die Ermittler diesmal nicht zählen. Erst nach langem Zureden sagt der Altmärker, dass er lediglich in der Lage sei, die Endphase der Auseinandersetzung zu schildern. Nach dem letzten Stich sei Hansi Büntje „in sich zusammengebrochen“.

      Ergänzt durch die Nachermittlungen, die jedoch kaum neue Anhaltspunkte gebracht haben, setzt das Kreisgericht Salzwedel einen Termin für die Hauptverhandlung fest. Und am 3. Mai 1963 wird Walter Buckow von der Strafkammer wegen Totschlags zu einer Haftstrafe von acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Strafrahmen liegt zwischen fünf Jahren und lebenslänglich. Eine Notwehrsituation habe nie zur Debatte gestanden, sagt Kreisgerichtsdirektor Hanschmann in seiner Urteilsbegründung. Auch die Alkoholeinwirkung könne nicht als mildernder Umstand gewertet werden. Für den Angeklagten spreche lediglich seine Jugend, so der Jurist.

      Der Anwalt des Verurteilten legt Berufung ein. Dr. Schrodt stützt sich dabei hauptsächlich auf die aus seiner Sicht „ungenügende Aufklärung und unrichtige Darstellung des Sachverhalts“. Außerdem sieht er in der Tatsache, dass sein Antrag, die Polizisten Michel und Bierstedt als Zeugen zu vernehmen, vom Gericht abgelehnt wurde, eine nicht zu akzeptierende Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeit seines Mandanten. Auch die Gutachten seien nicht sehr erhellend. Auf keinen Fall liege der Paragraph 112, Totschlag, vor. Schrodt rügt zudem die Höhe der Strafe. Acht Jahre Zuchthaus seien viel zu viel. Buckow sei bisher unbestraft und das spätere Opfer habe ihn angegriffen.

      Der III. Strafsenat des Magdeburger Bezirksgerichts verhandelt die Berufung am letzten Maitag des Jahres 1963 und ändert das Urteil des Kreisgerichts Salzwedel ab: „Der Angeklagte wird wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.“ In keiner Phase des Verfahrens habe der Angeklagte zugegeben, den Getöteten bewusst in den Hals gestochen zu haben. „Dies hätte das Kreisgericht beachten müssen. Denn erst dann wäre ein Tötungsvorsatz gegeben und somit Totschlag“, führt Oberrichter Neuhof aus. „Nur beim Zielen auf den Hals musste der Angeklagte wissen, dass dieser Stich zum Tode führt (…).“ Trotzdem bleibt das Gericht bei der Strafhöhe. Das Urteil ist damit rechtskräftig.

      Doch damit ist der Generalstaatsanwalt der DDR in Berlin nicht einverstanden. Er stellt an den Präsidenten des Obersten

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