Der Muttermörder mit dem Schal. Bernd Kaufholz

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Der Muttermörder mit dem Schal - Bernd Kaufholz

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ist ein haltloser, dem Alkohol stark zusprechender Mensch, der dafür bekannt ist, dass er in angetrunkenem Zustand stänkert. Sein Verhalten am Abend vor der Tat beweist diese Feststellung der verschiedenen Zeugen,“ endet der Antrag. Das Verfahren soll zur erneuten Entscheidung an das Bezirksgericht Magdeburg zurückverwiesen werden.

      Am 4. Oktober entspricht der 5. Strafsenat dem Antrag. Die Urteile des Kreisgerichts Salzwedel und des Magdeburger Bezirksgerichts sind somit „aufgrund von Gesetzesverletzungen“ ungültig. In erster Linie verweist der Vorsitzende Richter Graf darauf, dass die Behauptung Buckows, vor der Gaststättentür angegriffen worden zu sein „sehr fraglich“ sei. „Doch selbst wenn man das zugunsten des Angeklagten unterstellt, kann nicht außer Betracht bleiben, dass der angetrunkene Büntje nach eigenen Angaben Buckows gar nicht in der Lage war, ihm ernsthaft weh zu tun.“ Besonders nach dem Bruststich habe für Buckow keinesfalls noch eine bedrohliche Situation bestanden. Falsch sei auch die Höhe der Strafe von acht Jahren Zuchthaus, selbst dann, wenn man nur Körperverletzung mit Todesfolge zugrunde lege.

      Am 31. März 1964 verhandelt das Bezirksgericht Magdeburg zum zweiten Mal den Fall – diesmal der 1. Strafsenat. Vier Tage später spricht Richterin Schilling das Urteil: Dreizehn Jahre Zuchthaus wegen Totschlags. Der Senat macht sich in der Begründung in fast allen Punkten die Argumentation des Obersten Gerichtshofes der DDR zueigen, besonders was den Halsstich anbelangt.

      Rechtsanwalt Schrodt aus Salzwedel unternimmt einen letzten Versuch, um seinen Mandanten die lange Haftstrafe zu ersparen. Er geht am 8. April 1964 in Berufung. Doch diese wird einen Monat später vom 5. Strafsenat des Obersten Gerichts in Berlin als unbegründet verworfen.

      1972 wird Buckow aus dem Zuchthaus Brandenburg entlassen. Er muss sich drei Jahre bewähren. Der „Führungsbericht“ des Leiters der Strafvollzugsanstalt bescheinigt dem Fleetmarker eine „positive Entwicklung“. Kurz vor seinem 40. Geburtstag öffnet sich am 27. November 1972 für Buckow die Zuchthaustür.

      Es ist der 7. November 1963. Eine Frau tastet sich kurz nach Mitternacht durch ihre stockdunkle Parterrewohnung in Weferlingen bei Haldensleben. Sie hat kein Licht gemacht, damit den anderen Bewohnern im Haus in der Straße der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft nicht auffällt, dass sie zu so später Stunde noch herumhantiert. Sie schlurft in der Stube vorsichtig zwischen Plüschsofa und Radiohocker hindurch bis zur Tür mit dem Kastenschloss. Dahinter befindet sich eine eineinhalb Quadratmeter große Abstellkammer. Früher war dort der Treppenaufgang, der von der Toreinfahrt des Hauses heraufführte. Doch bereits vor einiger Zeit wurde die Außentür verriegelt.

      Minna Brauer* öffnet die Tür und fühlt vor sich die aufrecht stehende Kastenmatratze aus dem Bett ihres Mannes. Die hat sie vor einigen Tagen in den kleinen Abstellraum gestellt. Sie legt die Matratze vorerst in die Stube der Dreiraumwohnung. Dann fühlt sie nach dem Toten, der seit drei Tagen in der Kammer liegt. Es ist die Leiche ihres Mannes. Die Wanduhr über dem Sofa und neben dem gerahmten Hochzeitsfoto der Brauers schlägt ein Mal – halb eins.

      Minna Brauer, die Toilettenfrau aus der Zuckerfabrik Weferlingen, greift dem Toten unter die Arme und schleift ihn durch das Wohnzimmer bis zur Tür, die in den Hausflur führt. Zuerst öffnet sie die Tür nur einen Spaltbreit und lauscht mit angehaltenem Atem, ob sich draußen irgendetwas regt. Sie hört jedoch nur ihren eigenen, lauten Herzschlag. Sie nimmt den Leichnam hoch und stößt mit dem Fuß die Tür ganz auf. Dann trägt sie den Körper bis zur kaum 1,50 Meter hohen Tür in der Mitte des Hausflurs. Dahinter liegen die gewölbeartigen Kellerräume des alten Hauses.

      Selbst die nicht allzu große Frau kommt nur gebückt den niedrigen Kellergang und die Treppe hinunter. Sie geht rückwärts und zieht den Toten, den sie nun wieder unter die Arme gefasst hat, hinter sich her. Nach jeder der elf Stufen hält sie inne, um zu lauschen, ob ein Hausbewohner durch das Poltern der Füße auf den Stiegen wach geworden ist. Doch niemand wird aufmerksam.

      Unten angekommen steuert die 54-Jährige auf einen der fünf Lattenverschläge zu. Sie legt den Toten vor dem linken Keller gegenüber der Treppe ab und öffnet das Vorhängeschloss. Im hinteren Teil des Verschlags liegen vier Zentner Kartoffeln. Davor befindet sich eine Grube – etwa drei Spatenstiche tief und so lang und breit, dass ein Mensch mit angewinkelten Beinen darin liegen kann.

      Minna Brauer hat das Loch eine Stunde zuvor gegraben, um darin den Leichnam ihres Mannes verschwinden zu lassen. Jetzt legt sie den Toten hinein und deckt eine große Natursteinplatte darüber. Anschließend füllt sie das Kellergrab mit der ausgehobenen Erde auf, verteilt den Rest im Keller und tritt ihn fest.

      Zurück in der Wohnung legt sie sich ins Bett. Einen Plan, wie sie das Verschwinden des 64 Jahre alten Invalidenrentners erklären kann, hat sie sich bereits zurechtgelegt: „Am besten ist es, ich erzähle, dass Paul in den Westen abgehauen ist“, denkt sie beim Einschlafen. Aber erst mal sage ich gar nichts. Dann muss ich auch keine neugierigen Fragen beantworten.

      Doch im Haus und in der Nachbarschaft bleibt es nicht lange unbemerkt, dass Paul Brauer* nicht mehr da ist. Freunden und Bekannten erzählt Minna Brauer nun, dass ihr Mann im Krankenhaus liegt. Er sei mit dem Fahrrad in das Waldstück am Kalkwerk gefahren, um Tannengrün für den Totensonntag zu holen, sagt sie. Dabei sei er schwer gestürzt und ins Krankenhaus Haldensleben eingeliefert worden.

      Ende November erfährt Grete Ebel* diese Geschichte. Die Familien Brauer und Ebel kennen sich schon seit vielen Jahren und besuchen sich auch gegenseitig. Die 52-Jährige holt für einige ältere Weferlinger die Rente ab und Minna Brauer fragt deshalb: „Du, sag mal Grete, wann gibt es denn im Dezember Geld?“ Und sie fügt an: „Kannst du nicht gleich Pauls mitbringen?“ Als ihre Bekannte fragt, ob der Ehemann krank sei, antwortet Minna Brauer: „Er ist im Wald so schwer gestürzt, dass er gleich mit der Schnellen Hilfe ins Krankenhaus gefahren werden musste.“

      Mitbewohnern in der Straße der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft Nr. 20 berichtet sie, dass ihr Mann einen Unfall bei Everingen gehabt habe. Sie sei schon mehrmals im Haldensleber Krankenhaus gewesen, ihn zu besuchen. „Paul ist bald wieder gesund und kommt nach Hause.“

      Anfang Dezember besucht Grete Ebel ihre Freundin. Sie sieht den Sonntagsmantel Minna Brauers an der Flurgarderobe hängen. „Na, dann besuchst du wohl morgen Paul in der Klinik?“ Doch die Gefragte meint nur: „Nein, nein, ich kann meine Arbeit nicht versäumen.“

      Ein paar Tage später treffen sich die beiden Frauen erneut. „Du, ich habe von Paul einen Brief gekriegt – ohne Absender, aber in Haldensleben abgestempelt“, sagt Minna Brauer. „Ich soll seine Rente und seine Papiere bereitlegen. Er will in den nächsten Tagen kommen, um sie abzuholen.“ Als ihre Bekannte sie fragend ansieht, äußert die 54-Jährige einen Verdacht: „Der Paul wird wohl eine andere haben.“ Sie werde nun zur Polizei gehen, um ihn „abzumelden“.

      Ernst Litte, Abschnittsbevollmächtigter der Volkspolizei, sitzt am Vormittag des 14. Dezember in seinem Dienstzimmer in Weferlingen. Er hat an jenem Freitag eine Besprechung mit dem VP-Landgebietsinstrukteur Leutnant Wolters. In das Gespräch platzt Minna Brauer hinein. Und obwohl der Polizeiunterleutnant darauf hinweist, dass er erst am Nachmittag Sprechstunde hat, lässt sich die Frau nicht abweisen. Ihr Anliegen sei sehr wichtig. „Mach man, Genosse Litte“, sagt Wolters, „ich habe Zeit.“

      Was denn so eilig sei, will der ABV wissen. Minna Brauer legt einen Personalausweis auf den Tisch und sagt: „Ich will meinen Mann abmelden.“ Litte und sein Kollege sehen sich verdutzt an. „Wie, abmelden, wo ist er denn?“, fragt der Unterleutnant. Ihr Mann Paul sei in Haldensleben bei einer anderen, antwortet die 54-Jährige. Woher sie das denn wisse, schaltet sich Wolters ein. „Vorgestern habe ich einen Brief von ihm bekommen. Er schreibt, dass es ihm gut geht, und ich soll seine Rente abholen.“

      „Kommen

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