Der Muttermörder mit dem Schal. Bernd Kaufholz

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Der Muttermörder mit dem Schal - Bernd Kaufholz

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dann Montag.“ Als die Frau schon an der Tür steht, ruft der ABV noch: „Und bringen Sie den Brief mit.“

      „Kurios, um nicht zu sagen verdächtig“, meint Wolters, nachdem die Frau gegangen ist. Litte nickt nur und ruft den Sachbearbeiter in der Meldestelle an. Er richtet ihm aus, dass er Minna Brauer am Montag sofort zu ihm ins Dienstzimmer schicken soll.

      Zwar kommt die Frau am Montag, doch den Brief hat sie nicht dabei. „Ich habe ihn leider schon verbrannt“, erklärt sie. Aber inzwischen habe Paul ihr erneut geschrieben. Sie legt einen Zettel auf den Tisch des ABV: Unterschrift „Paul“. Er trägt das Datum 14. Dezember 1963. Der ABV liest, dass der Ehemann Minna Brauers mit einer Frau in Richtung Grenze unterwegs ist. „Und der Umschlag?“, fragt Litte. Den habe sie auch verbrannt. Aber der Brief sei am 14. Dezember in Haldensleben abgestempelt worden, könne sie sich genau erinnern. Das kommt dem Polizisten seltsam vor. Denn er weiß, dass die Post von Haldensleben nach Weferlingen wenigstens zwei Tage unterwegs ist. Doch vorerst behält er seine Gedanken für sich. Er nimmt unter der Tagebuchnummer 1196/​63 die Anzeige auf.

      Eines Tages Ende November 1963 in den Vormittagsstunden sei ihr Ehemann aus der Wohnung gegangen, ohne sie wissen zu lassen, wohin. Auf die Frage nach dem Eheverhältnis sagt die 54-Jährige: „In den ersten Jahren war es nicht geordnet. Ich habe öfter mal Schläge von meinem Mann gekriegt.“ In den letzten Jahren seien sie jedoch gut miteinander ausgekommen.

      Am 9. oder 10. Dezember habe sie einen Brief von ihrem Mann bekommen. Darin habe er geschrieben, sie solle seine Bekleidung zurechtlegen, da er seine Sachen in den nächsten Tagen abholen wolle. „Außerdem sollte ich zur Polizei und ihn abmelden und veranlassen, dass seine Rente nach Haldensleben überwiesen wird.“

      Im zweiten Brief vom 14. Dezember habe Paul mitgeteilt, dass sie ihn nicht abzumelden braucht. Er habe geschrieben: „Wir sind unterwegs zur Grenze. Meine Rente schenke ich dir zum Abschied.“

      Bei ihren Töchtern in Magdeburg und Gerbstedt habe sie sich noch nicht erkundigt. „Ich glaube nicht, dass sich mein Mann bei ihnen aufhält.“ Lediglich ihrer Schwester in Neu-Hillersleben habe sie geschrieben. „Doch sie hat geantwortet, dass Paul nicht dort ist.“

      Abschließend sagt sie dem ABV noch, dass ihr Mann ohne Papiere gegangen sei. „Ich habe seinen Ausweis und alle persönlichen Unterlagen in der Schublade unseres Stubenschrankes gefunden.“

      Der ehrgeizige Ortspolizist versucht am nächsten Morgen Licht in die mysteriöse Sache zu bringen. Er klingelt in der Straße der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft Nr. 20 an den Türen der drei Familien, die dort neben den Brauers wohnen. Die Mieter sind sehr erstaunt, dass sich Paul Brauer von seiner Ehefrau getrennt haben soll. Der ABV erfährt die Geschichte von dem angeblichen Unfall, die Minna Brauer im Haus verbreitet hat. Die Mieter schütteln die Köpfe darüber, dass ihnen die 54-Jährige „so viele Lügen aufgetischt“ hat. Besonders verärgert ist Wilhelm Samt*. Am nächsten Tag passt er Minna Brauer ab und stellt sie zur Rede. „Ich dachte doch immer, dass Paul zurückkommt“, sagt sie kleinlaut. „Ich habe mich einfach geschämt, die Wahrheit zu sagen.“

      Die Sache lässt Litte keine Ruhe. Am 18. Dezember geht er zu Minna Brauer. Er hofft, dort vielleicht doch noch den angeblich verbrannten Brief und das Couvert des zweiten Schreibens zu finden. Und die Frau zeigt sich sehr kooperativ. „Hier, Herr Litte, hier ist meine ganze Post. Gucken Sie selbst nach.“ Doch das Gesuchte ist nicht darunter.

      „Wenn Sie nicht glauben, dass mein Mann weg ist, können Sie sich die Wohnung ansehen. Ich habe nichts zu verbergen.“ Minna Brauer öffnet die Schränke und hält die darin hängende Bekleidung zur Seite, um zu zeigen, dass ihr Mann nicht da ist. Der ABV lässt sich vom sicheren Auftreten der 54-Jährigen überzeugen.

      Kurz nach Weihnachten bekommt Litte vom Weferlinger Bürgermeister die „kollektive Beurteilung“ des Verschwundenen. Brauer sei seit „jeher Gelegenheitsarbeiter gewesen, der es nirgendwo lange aushielt und an einem festen Arbeitsverhältnis nicht interessiert war“. Wenn Geld da war, habe der Invalidenrentner mit seiner Frau „einen guten Tag in Gastwirtschaften verlebt. War das nicht der Fall, wurde versucht, auf Pump zu leben.“

      Da Litte weiß, dass Minna Brauer mit Brunhilde Bosse* und Grete Ebel, die in derselben Straße wohnen, freundschaftlich verkehrt, bittet der Abschnittsbevollmächtigte die beiden Frauen, beim nächsten Treffen das Gespräch auf den Vermissten zu bringen. Am 2. Januar 1964 erzählt Minna Brauer, dass sie das Bett ihres Mannes in den Stall gestellt habe, weil sie nicht mehr daran glaube, dass er wiederkommt. Dabei hinterlässt sie einen ungewöhnlich aufgeregten Eindruck. Als die beiden Frauen bohren und Näheres wissen wollen, steht Minna Brauer abrupt auf und verlässt die Wohnung Grete Ebels.

      Nachdem Litte von diesem Vorfall erfahren hat, besucht er die Toilettenfrau auf ein Neues. Sie teilt ihm mit, dass sie immer noch hofft, dass ihr Paul eines Tages, wenn sie von der Zuckerfabrik kommt, in der Stube sitzt.

      Die Kripo des Polizeikreisamts hat inzwischen auch Nachforschungen angestellt, um etwas über den verbrannten Brief in Erfahrung zu bringen. Doch Postzustellerin Helga Sokolowsky* kann nicht weiterhelfen. Sie kann sich nicht entsinnen, ob sie Minna Brauer vor Weihnachten etwas zugestellt hat. „Gerade vor dem Fest kommt so viel Post, ich weiß es einfach nicht.“

      Minna Brauer erhält eine Vorladung ins Polizeikreisamt. Dort wird ihr der Text aus dem angeblichen Brief ihres Mannes diktiert:

      „Du brauchst mich nicht ab zumelden denn wir sind unter wegens zur Grenze meine Rente die schenke ich dir zum Abschied. Paul.“

      Sie muss die Zeilen zehnmal schreiben. Der Originalzettel und das Vergleichsmaterial werden nach Magdeburg an das Dezernat Kriminaltechnik der Bezirkspolizeibehörde geschickt.

      Auch die sogenannten Nachermittlungen durch Kriminalisten des Haldensleber Polizeikreisamts bringen kein Licht in den Fall. Allerdings geben die gesamten Umstände und das Verhalten Minna Brauers den zuständigen Kriminalisten zu denken. Im Abschlussbericht kommt Unterleutnant Fechner von der Abteilung Kriminalpolizei des VPKA Haldensleben deshalb zu dem Schluss: „Auf Grund der geschilderten Sachverhalte ergibt sich der dringende Tatverdacht, dass die Frau Brauer ihren Ehemann auf irgendeine Art und Weise beiseitegeschafft hat und somit ein Verbrechen gemäß Paragraph 211 (Mord, B. K.) oder 212 (Totschlag, B. K.) des StGB zu vermuten ist.“

      Das Protokoll landet auf dem Tisch des Kripochefs der Bezirkspolizeibehörde in Magdeburg. Polizeimajor Zirm weist an, dass sich die Mordkommission des Falles annehmen soll. Mitarbeiter der MUK fahren am 14. Januar 1964 nach Haldensleben zum Polizeikreisamt und lassen sich die bisherigen Untersuchungsergebnisse vorlegen. Der Leiter der Mordkommission merkt kritisch an, dass bei den geführten Ermittlungen „die Version eines Verstoßes gegen das Passgesetz (Westflucht, B. K.) zu sehr im Vordergrund stand und die Version eines Verbrechens gegen das Leben des vermissten Brauer weniger oder kaum berücksichtigt wurde“.

      Als erste Konsequenz wird das Verfahren sofort in die Zuständigkeit der Bezirkspolizei übernommen. Von nun an sind Polizeihauptmann Winter und seine MUK zuständig. Als zweite Maßnahme wird ein Mordermittlungsverfahren gegen Minna Brauer eingeleitet. Der Chef der Mordkommission weist an: Heute noch Zeugen verhören, morgen Minna Brauer festnehmen und als Beschuldigte vernehmen, gleichzeitig Wohn- und Nebenräume der Frau durchsuchen.

      Winter will Spuren eines Gewaltverbrechens finden. Nötigenfalls durch Wasserstoffsuperoxyd, wodurch nicht mehr erkennbare Blutspuren sichtbar gemacht werden können. Wohnung, Stallungen, Keller, Hof und Garten sollen gründlich untersucht werden. „Vielleicht hat die Frau ja die Leiche ihres Mannes irgendwo versteckt“, vermutet der erfahrene Kriminalist. „An verdächtigen Stellen graben“, gibt er seinen Leuten mit auf den Weg.

      Der Haldensleber Kreisstaatsanwalt unterschreibt

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